Das heimtückisch grassierende Corona-Virus erinnert uns daran, dass Seuchen aller Art die Menschheit immer wieder existenziell bedroht und massenweise dahingerafft haben. Davon zeugen auch Gedichte und Künstlerschicksale, die uns heutzutage wieder eher bewusst werden.
Wir erleben es zurzeit hautnah: Während eine Mehrheit der bedrohlichen Pandemie mit Disziplin und gegenseitiger Rücksichtnahme begegnet, foutiert sich eine zunehmend unbelehrbare Minderheit um sämtliche behördlich verordneten Massnahmen und fordert mit dem abstrusen Slogan ‚Freiheit statt Diktatur‘. Die Unvernunft und der Drang nach hemmungsloser Selbstverwirklichung gefährdet die Eindämmung der Ansteckungen und insbesondere Risikogruppen, die nur darauf hoffen können, dass uns keine zweite Welle erfasst und der ersehnte Impfstoff die Seuche bald einmal bannen wird.
Zeitgenössische Gravur von Marseille während der grossen Pest von 1720 / Fotos © Wikipedia
Darauf konnten die Leidgeprüften früherer Epochen nicht hoffen. Mehr als Gottvertrauen blieb ihnen nicht, sie starben weg wie die Fliegen – nicht nur der Seuchen wegen. Im Dreissigjährigen Krieg gehörte der durch persönliche Schicksalsschläge gezeichnete deutsche Barock-Dichter Andreas Gryphius (1616-1664) zu den Betroffenen, der mit seinen gemeisselten Sonetten „das Leiden, die Gebrechlichkeit des Lebens und der Welt“ eindrücklich zu Papier brachte. Im Brennpunkt seines Schaffens stand die Beklagung des Leids und des moralischen Verfalls während der Religonskriege und eine tiefe Friedenssehnsucht. Das nachfolgende Gedicht mag davon zeugen:
Menschliche Elende (Andreas Gryphius, 1637)
Was sind wir Menschen doch! Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,
Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.
Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid
Und in das Toten-Buch der großen Sterblichkeit
Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.
Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt
Und wie ein Strom verscheußt, den keine Macht aufhält,
So muß auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.
Was itz und Athem holt, muß mit der Luft entfliehn,
Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.
Was sag ich? Wir vergehn wie Rauch von starken Winden.
150 Jahre später verfasste Friedrich Schiller (1759-1805), der Medizin studierte und mittlerweile Militärarzt war, eine „Pest-Fantasie“, welche die „würgenden Seuchen und Pestilenzen“ in Sturm und Drang-Manier zum Schaudern brachte. Wenn bei ihm „giftger Nebel wallt“, dann sind damit die todbringenden Ausdünstungen, die sog. Luft-Miasmen, welche die Seuche verbreiten, gemeint. Obwohl die grossen Pestepidemien des Mittelalters in Europa seit 1720 eingedämmt waren, benutzt Schiller die Seuche auch als Metapher für fauliges Fieber im zwischenmenschlichen Bereich. Wenn Ferdinand in „Kabale und Liebe“ in Verzweiflung seine Luise vergiftet, tönt das so: „Aber wenn die Pest unter Engel wüthet, so rufe man Trauer aus durch die ganze Natur.“
Die Pest – Eine Fantasie (Friedrich Schiller, 1782)
Gräßlich preisen Gottes Kraft,
Pestilenzen würgende Seuchen,
Die mit der grausen Brüderschaft
Durchs öde Tal der Grabnacht schleichen.
Bang ergreifts das klopfende Herz,
Gichtrisch zuckt die starre Sehne,
Gräßlich lacht der Wahnsinn in das Angstgestöhne,
In heulende Triller ergeußt sich der Schmerz.
Raserei wälzt tobend sich im Bette –
Giftger Nebel wallt um ausgestorbne Städte,
Menschen – hager – hohl und bleich –
Wimmeln in das finstre Reich.
Brütend liegt der Tod auf dumpfen Lüften,
Häuft sich Schätze in gestopften Grüften –
Pestilenz sein Jubelfest
Leichenschweigen – Kirchhofstille
Wechseln mit dem Lustgebrülle,
Schröcklich preiset Gott die Pest.
Auf andere Weise heimgesucht und vom Schicksal gezeichnet wurde der lungenkranke Franz Kafka (1883-1924). 1918 von der Spanischen Grippe infiziert, erholte er sich nie mehr von den Folgen dieser Schwächung. Kehlkopftuberkulose war letztlich das Verdikt für seinen allzu frühen Tod.
Auf dem Sterbebett verfasst er noch die Druckfahnen seines Erzählbandes „Ein Hungerkünstler“. Mord, Selbstmord, Verhungern oder Hinrichtung bilden bei ihm literarische Schwerpunkte. Kafka hat auch sein Sterben und seinen Tod wie schon die Krankheit mit symbolischen Konstruktionen überhöht: „Mein Leben lang bin ich gestorben und nun werde ich wirklich sterben“, schrieb er bereits 1922 in einem Brief. Der reale Tod wurde ihm zur Bestätigung einer Metaphorik des Todes, die meist der Verbildlichung sozialer Isolation diente, der Isolation des verfemten Künstlers, dessen Identität in der damaligen Gesellschaft keinen Platz hatte.