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Mehr Vernunft in der Gesundheitspolitik

„Bersets grosser Denkfehler“(NZZ), „Berset beisst sich an freier Artzwahl die Zähne aus“ (Tagesanzeiger), „Es ist ein ganz heisses Eisen, welches Gesundheitsminister Alain Berset anfasst“ (Blick). Das sind drei Schlagzeilen zu Bersets neuer Gesundheitsreform, die er am letzten Mittwoch der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Auch die Parteien lassen kein gutes Haar daran, mit Ausnahme der CVP, deren Initiative damit eine erste bundesrätliche Antwort erhält.

Ja, Gesundheitsreformen haben es in der Schweiz ganz schwer. Zu viele Interessen und vor allem Interessenorganisationen sind tangiert. Die Ärzte, die um ihre hohen Einkommen bangen, die Kantone, die sich in der Spitalfinanzierung am liebsten und möglichst sofort entlasten möchten, die Krankenkassen, die um jede Ausweitung ihrer Leistungen gar wie der Teufel das Weihwasser fürchten, und wir, die wir jedes Jahr mit Sorge auf die jährliche Erhöhung der Krankenkassenprämien warten, die der Bundesrat jeweils Mitte September verkündet.

Allen ist eigentlich klar: Die Gesundheitskosten müssen markant sinken. Sie betragen um die 85 Milliarden Franken im Jahr insgesamt, so um die 10’000 Franken pro Einwohner/in in unserem Land. Wenn nun Berset Einsparungen von 1 Milliarde anstrebt, so ist das beinahe nur ein sogenannter Tropfen auf den berühmten heissen Stein.

Denn das Sparpotential ist in Studien schon längst erfasst und den Politiker/innen, den Experten, aber auch den Interessenvertretern bestens bekannt. Rund 10 bis 20% der Leistungen sind meistens unnötig. Geht man von den Aufwendungen für die Grundversicherung aus, die rund 32 Milliarden Franken pro Jahr betragen, so ist nach den Studien ein Sparpotential von 3 bis 6 Milliarden Franken nur schon in diesem Bereich auszumachen. Erfasst man die gesamten Kosten und rechnet man mit Einsparungen von nur 10%, ergibt das ein Sparpotential von über 8,5 Milliarden. Umgerechnet sind es 1000 Franken pro Person in der Schweiz.

Natürlich ist unser Gesundheitswesen eines der besten in der ganzen Welt. Wir haben mehr Spitäler als nötig. Wir haben hochqualifizierte Ärzte, die zudem ganz hohe, oft zu hohe Einkommen erzielen können. Wir haben Spitäler, die beinahe flächendeckend auf dem höchsten technologischen Stand ausgerüstet sind. Nirgends auf der Welt werden die entstehenden Kosten durch die Krankenversicherungen innert Monatsfrist an die Dienstleister vollumfänglich ausbezahlt. Und so ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr internationale Gesundheitskonzerne in die Schweiz drängen, das Angebot erhöhen und so die Kosten zusätzlich in die Höhe treiben.

Wo ist anzusetzen? Berset versucht es damit, indem er die freie Arztwahl einschränken will. Er nimmt eine „heilige Kuh“ ins Visier. Niemand soll mehr direkt zum Spezialisten oder gar zu mehreren hoch qualifizierten Ärzten rennen dürfen. Alle sollen erst den Hausarzt oder eine sogenannte „Erstberatungsstelle“ aufsuchen müssen. Und hier setzt nun die vehemente Kritik an. Schon die Managed-Care-Vorlage, die am 17. Juni 2012 mit 76% Neinstimmmen glorios scheiterte, sei Hinweis genug, dass das Vorhaben Bersets keine Chance haben wird. Inzwischen haben sich aber rund 70% der Versicherten einer solchen oder ähnlichen Lösung angeschlossen, freiwillig. Ist also die Zeit nun reif für eine Verpflichtung?

Einfach wird es nicht. Gerade jetzt in der Corona-Zeit tun wir uns schwer mit Verpflichtungen, die Maskenpflicht ist umstritten, obwohl sie Schutz gewährt. Die Einschränkungen werden unterlaufen, obwohl Abstand halten und die Hygiene-Vorschriften unumgänglich sind. Steht die Freiheit über allem und jedem? Ist nicht zu fragen: Freiheit wofür? Freiheit, um sich anzustecken? Oder: Freiheit nur für sich? Die andern sollen sich fügen. Egoismus statt Solidarität. In der Schweiz zahlen alle in die Krankenkassen im sogenannten Kopfsystem ein, alle gleich viel, ob arm oder ganz reich. Die tiefen Einkommen werden knapp über die Prämienverbilligungen etwas abgefedert und die Reichen können sich kostspielige Zusatzversicherungen leisten, alle Kosten abfedern. Aber immerhin: Durch das Prämiensystem tragen alle solidarisch an den Kosten des Gesundheitswesens in der Grundversicherung mit. So ist es doch ganz natürlich, dass wir alle zum solidarischem Mittragen verpflichtet sind. Der Vorstoss Bersets ist mehr als gerechtfertigt. Er ist vernünftig. Und nur eine vernünftig ausgerichtete Politik führt uns weiter.

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1 Kommentar

  1. Lieber Herr Schaller , Herr Berset ist wirklich ein Mann, welcher sich Mühe gibt Lösungen zu finden. Leider wird er scheitern. Ehrenwort. Sie verwechseln etwas: die Leute haben sich zu 70% einer Lösung angeschlossen, aber nur um Prämien zu sparen. Was Sie völlig falsch sehen: Der Schweizer will die freie Arztwahl haben. Esgibt Lösungen. Einheitskasse, Franchise Fr. 300.00 für alle, Prämien einkommensabhängig, Prämienverbilligungen werden überflüssig. Zusatzversicherungen wie bisher bei den Krankenkassen. Prämien dürfen nicht mehr als 10% des Einkommens betragen. Diese Zwischenstelle mit Hausarzt ist überflüssig. Wenn ich Herzbeschwerden habe, gehe ich direkt zum Kardiologen. Und übrigens haben wir nicht zu viele Spitäler. Wir brauchen diese für Notfälle und Pandemien.

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