StartseiteMagazinKolumnen„Über 85-Jährige sterben lassen?“

„Über 85-Jährige sterben lassen?“

Die zweite Welle ist da, sie durchbricht lautlos, nicht greifbar die „Dämme“, die wir im Frühling bis zum Sommer sorgfältig aufgebaut, in unserem Bewusstsein verankert haben: Hände waschen, Abstand halten, Masken tragen im öffentlichen Verkehr. Der Sommer war wunderbar, warm, viel Sonnenschein, ein lustvolles, animierendes Leben verführte uns dazu, das zu vernachlässigen, zu vergessen, was uns bisher schützte. Jetzt sind wir und die Politik erneut herausgefordert.

Seit dem Ausbruch der Pandemie sind in der Schweiz 2’037 Menschen gestorben, in der letzten Woche allein 52. Zwischen den 0- und den 50-Jährigen waren es lediglich 13 Personen, die starben. Zwischen 50 und 59 Jahren stieg die Zahl auf 48, zwischen 60 und 69 Jahren waren es 147, zwischen 70 und 79 bereits 405 und bei den über 80-Jährigen sind mit 1’421 die meisten Toten zu verzeichnen (Stand 31.10.2020). Aber auch bei den jüngeren Menschen, die infiziert wurden, kam es zu ganz schlimmen Verläufen, die aber nicht zum Tode führten.

Das Fazit ist klar: Je älter wir werden, umso mehr sind wir dem Virus Covid-19 und seinen Auswirkungen ausgesetzt, sofern wir infiziert werden. Am letzten Freitag hat das Bundesamt für Gesundheit BAG die Bezeichnung „Risikogruppe ab 65“ in ihren Verlautbarungen auf massiven Druck von aussen gestrichen, aber darauf aufmerksam gemacht, dass die älteren Menschen weit stärker gefährdet sind als die Jüngeren. Eine Risikogruppe sind wir also dennoch.

Es sind zwei Szenarien, die wir beachten, die wir genau verfolgen müssen: einmal die möglichen Selektionen (Triage) in den Spitälern und: Wer wird geimpft und wer nicht, wenn im kommenden Jahr ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung stehen wird?

Die NZZ hat in ihrer Ausgabe am Freitag den Aufmacher auf der ersten Seite mit dem Titel „Über 85-Jährige sterben lassen?“ überschrieben. Einleitend ging der Autor von einer fiktiven Ausgangslage aus: „Zwei schwerkranke Corona-Patienten liegen vor einer Intensivmedizinerin, doch sie hat nur ein Bett. Wem gibt sie es und wen lässt sie sterben?“. Simon Hehli, der Autor, wie viele Experten, schliessen nicht aus, dass dieser Fall schon in den nächsten Tagen eintreffen könnte. Wer aber schützt uns vor einer solch prekären Situation? Es gibt einen Leitfaden von der Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW und der Gesellschaft für Intensivmedizin. Danach soll das Alter zwar kein Diskriminierungsgrund sein, doch „der Leitfaden misst älteren Menschen weniger Wert bei als jüngeren“. Er ist also widersprüchlich und verletzt damit das verfassungsrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot. Immerhin: In den nächsten Tagen will die SAMW den Leitfaden präzisieren. Es ist also zu fragen, ob nicht ein einfaches, ethisches Kriterium zur Anwendung kommen und über allen anderen stehen sollte: Das v o r z e i t i g e Sterben eines Menschen ist zu verhindern. Viele nehmen ihr Schicksal auch selber in die Hand; sie verzichten auf eine Hospitalisierung, begnügen sich mit einer palliativen Betreuung.

Und ganz wichtig: Schon jetzt ist im Vorfeld des mit Sehnsucht erwarteten Impfstoffs eine Strategie zu entwickeln, wie mit dem Impfstoff, der zu Beginn ganz knapp sein wird, umgegangen wird. Zu klären ist zuerst die Frage, soll die Sterblichkeit reduziert oder soll verhindert werden, dass sich das Virus weiter verbreitet? Kommt der Impfstoff den älteren Menschen zugute, wird deren vorzeitige Sterblichkeit verhindert, zumindest abgemildert oder kommt er den jüngeren Menschen zu und wird damit der Versuch unternommen, die Verbreitung des Virus zu unterbinden? Bei der Zuteilung des Impfstoffes werden aber auch die systemrelevanten Kräfte, die Ärzteschaft, die Pflegenden, die Sicherheitskräfte, relevante Behörden und nicht zuletzt die aktive Bevölkerung vorrangig zu berücksichtigen sein.

Der Bund ist bereits sehr aktiv. Er hat mit dem britischen Pharmaunternehmen AstraZeneca und mit der Firma Moderna je einen ersten Vertrag für einen Covid-19-Impfstoff abgeschlossen. Falls die entsprechenden Impfstoffe die klinische Testphase erfolgreich durchlaufen und für den Schweizer Markt zugelassen werden können, erhält die Schweiz von den beiden gegen 10  Millionen Impfdosen. Diese werden aber bei Beginn nur in Portionen zur Verfügung stehen, weil sie weltweit zugeteilt werden sollen.

Dafür sorgt das  COVAX-Programm (Covid-19 Vaccine Global Access Facility), eine Initiative der Weltgesundheitsorganisation, dem die Schweiz beigetreten ist. Das Ziel ist es, weltweit eine gerechte Verteilung von Impfstoffen zu ermöglichen. Im Rahmen der Covid-19 Bekämpfung entsteht somit zum ersten Mal ein globales Einkaufsprogramm für Impfstoffe, an dem alle Länder teilnehmen können. Interessanterweise wollen sich die USA und Grossbritannien nicht am Programm beteiligen. China dagegen ist letzte Woche dem Programm beigetreten.

Fazit: Mögliche Selektionen in den Spitälern und die entsprechenden Kriterien, die notwendige Strategie um das Impfen, diese zentralen Fragen, dürfen nicht allein der Wissenschaft, den Ethik-Kommissionen, der Ärzteschaft überlassen werden. Beide Aspekte betreffen uns alle ganz unmittelbar. Wir und die Politik sind gefordert. Wir müssen uns vernehmen lassen.

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3 Kommentare

  1. Ich schätze Herr Schaller sehr! Seine Meinungen sind stets fundiert und ausgeglichen!
    Zu «Corona». Auf Youtube gibt es ein Video in dem ein junger Biologe ein grosses Fragezeichen hinter den «schnellen Impfstoff» . In der Regel betrage der Prozess 8 – 12 Jahre. Der bisher kürzeste, nämlich gegen Mumpf, hätte immerhin auch noch 4 1/2 Jahre benötigt. Ein Problem sei bei einem verkürzten Verfahren, dass die Langzeitwirkung nicht überprüft werden könne. Vielleicht geschieht trotzdem noch ein Wunder – dies kann man nie ganz ausschliessen. Was mir (bin 82) zu denken gibt, ist der oft gehörte Hinweis, dass man die Risikogruppen ganz besonders schützen sollte. Bis noch vor Kurzem war für mich klar, dies könne nur totale Isolation, resp. Einsperren bedeuten. Inzwischen habe ich noch von einer anderen Möglichkeit erfahren. Nämlich, spezielle Masken die das Eindringen des Virus vollständig, oder fast vollständig verhindern könnten. Wäre das nicht eine ganz gute Sache? Es könnte u.U. die ganze Krisenlage etwas entspannen!?

  2. Für mich das Wichtigste ist die Frage, ob die Zwangs-Impfung kommt. Ob man sich der Zwangs-Impfung entziehen kann.
    Wo hört die Freiheit auf? Wo beginnt das Totalitäre?

  3. «Je älter wir werden, umso mehr sind wir dem Virus Covid-19 und seinen Auswirkungen ausgesetzt, sofern wir infiziert werden.» -> Das ist ganz einfach ein Fakt, den gerade Ältere erkennen sollten.

    «Am letzten Freitag hat das Bundesamt für Gesundheit BAG die Bezeichnung „Risikogruppe ab 65“ in ihren Verlautbarungen auf massiven Druck von aussen gestrichen, aber darauf aufmerksam gemacht, dass die älteren Menschen weit stärker gefährdet sind als die Jüngeren.» -> Welch ein Widerspruch. -> Window dressing, das niemandem hilft.

    «Eine Risikogruppe sind wir also dennoch.» -> So ist es und bleibt es. Das Leben ist gefährlich, es endet gar mit dem Tod. Mit dem Alter steigt die Sterbewahrscheinlichkeit bis auf 1. Irgendeines Tages versagt ein Organ tödlich. Ob das eine (verbotene) Diskrimination durch die Natur ist?

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