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Warum wir so und doch anders sind

Stapferhaus_Ausstellung_Geschlecht_Lenzburg

Die Ausstellung «Geschlecht. Jetzt entdecken» im Stapferhaus Lenzburg lädt dazu ein, sich mit dem eigenen und dem Geschlecht der anderen auseinanderzusetzen, den Horizont zu erweitern und sich überraschen zu lassen.

Mit Humor, Ernsthaftigkeit, ohne Berührungsängste, aber mit feinem Gespür für Grenzen wird das Thema vorgestellt. Durch eine riesige bunte Blume treten die Besucher:innen – so die geschlechtsneutrale Schreibweise in Ausstellung und Katalog – ins Haus. Ein Rundumvideo mit bunten Bildern, kurzen Texten und Erklärungen eröffnet das Thema auf vielfältige Weise, vom Blick in den Körper bis zu den Zellen, Chromosomen und Hormonen.

Foto: © Stapferhaus / Anita Affentranger.

Dahinter öffnen sich zwei Türen und zeigen, dass Geschlecht weit mehr ist als Biologie. Es ist Kultur und Gesellschaft, Erziehung und Vorbild, Geschichte und Gegenwart. Der eine Raum präsentiert sich ganz in Blau mit Kinderkleidern, Sportgeräten und Spielzeug für Buben, der andere in Rosa mit Puppen und hübschen Kleidchen für Mädchen, es sind Stereotypen, auf die heute mehr geachtet wird als früher, scheint mir.

Ausstellungsansicht. Foto: © Stapferhaus / Anita Affentranger.

Die nächste Tür führt zu einem riesigen Raum in violetter Farbe mit herunterhängendem Grünzeug, an den Wänden runde Informationstafeln, über- und nebeneinander, dazwischen Fotos, Grafiken, Videos. In der Raummitte stehen Stationen mit zusätzlichen Informationen, die mit Kopfhörern abrufbar sind. Die Kopfhörer kann man selber desinfizieren mit dem Zubehör aus dem Corona-Schutz-Täschchen, das mit dem Eintrittsticket abgegeben wird.

Videostill. Witzig pointierte Gespräche zwischen den Geschlechtsteilen. Foto: rv.

Die Ausstellung schafft Raum für die spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema Geschlecht. Es geht um Rollen und Arbeit, Macht und Ordnung, um Schönheitsideale und um Sexualität. Dabei erhalten alle eine Stimme: Jung und Alt, Frauen, Männer und Menschen dazwischen oder ausserhalb der beiden Kategorien. Sogar unsere Geschlechtsteile reden ein Wörtchen mit.

Nach Hans Holbein d.J., Heinrich VIII (1491-1547) mit prominenter Schamkapsel.

Wie in allen Ausstellungen im Stapferhaus gibt es viel zu sehen, lesen, hören und auch zu tun, besonders in den Nebenräumen.  Nach eigener Erfahrung ist der Besuch zu zweit oder mehreren besonders anregend, Gedanken lassen sich so vor Ort austauschen, was im Stapferhaus durchaus möglich ist. Auch an Kinder wird gedacht, für sie führt eine kleine Türe zu einem extra niedrigen Raum.

Schönheitsideale sind stets einem Wechsel unterworfen, von den zarten weiblichen Gestalten im Mittelalter bis zu den üppigen Frauenkörpern zur Zeit des Malers Peter Paul Rubens im Barock. Amüsant: Modische Accessoires für Adelige waren Schuhe mit hohen Absätzen, wobei der Sonnenkönig als Mass aller Dinge die höchsten trug, oder Schamkapseln, die nicht nur als Schutz, sondern auch ausserhalb des Schlachtfeldes zur Schau gestellt wurden.

Im Nebenraum kann man unterschiedliches Verhalten von Frau und Mann selbst erfahren. Auf einem Tisch sind Nagellackfläschchen zur Anwendung aufgereiht. In einem Regal stehen High Heels in verschiedenen Grössen, mit denen auch Männer nach Anweisung über Kopfhörer auf eigene Gefahr herumstaksen können. Männliches Posieren in einer Kabine, ebenso nach Anweisung, und sich dabei fotografieren lassen, kann auch für Frauen eine besondere Erfahrung sein.

Im roten chambre séparée werden von einer Sexualberaterin über rote Telefonhörer Fragen zur Sexualität beantwortet. Foto: © Stapferhaus / Anita Affentranger.

Die Thematik zur Macht zwischen den Geschlechtern wird breit behandelt. In prähistorischer Zeit war der nackte weibliche Körper mit Muttergottheiten präsent. Wikingerfrauen waren im Kampf ebenso stark wie die Männer. In der griechischen und römischen Antike wurde der Wirkungskreis der Frau auf Haus und Familie eingeschränkt und der Mann bestimmte das öffentliche Leben. Zum antiken Bildungsweg eines vornehmen Mannes gehörten auch homoerotische und pädophile Kontakte. Der nackte männliche Körper wurde zum Schönheitsideal, während unbekleidete Frauenfiguren Gottheiten oder Prostituierte darstellten.

Weibliche Figuren aus der Altsteinzeit: links aus «Savignano sul Panaro», Italien, 23’000 Jahre, rechts «Venus von Willendorf», Österreich, 27’000 Jahre, Repliken. Foto: rv

Bis heute ist die vorherrschende Stellung des Mannes in der Sprache ablesbar: «Homme», «uomo» oder «man» heisst übersetzt «Mann» und auch «Mensch», ihm ist alles untergeordnet, was heutigen Vorstellungen einer gerechten Gesellschaft im Wege steht. In einem Nebenraum wird auf einer schiefen Ebene das statistische Geschlechterverhältnis der Schweiz anhand der Kategorie «Frau» und «Mann» ausgewertet und zeigt, das Gleichgewicht ist noch lange nicht erreicht.

Die Geschichte des Geschlechts führt trotz der MeToo-Bewegung nicht zu mehr Freiheit und Gleichheit. In Polen, Brasilien, den USA sind Männer an der Macht, die für ihre Verachtung von Frauen und Homosexuellen bekannt sind. Auch in der Schweiz werden Politikerinnen an ihrem Aussehen, ihrer Stimme, ihrem Modegeschmack gemessen, nicht an Worten und Taten wie die Männer. Trotz Frauenstimmrecht, Gleichstellungsartikel von 1981 und Frauenstreiks ist der Weg zur Gleichstellung mühevoll.

Salomé Zimmermann, 63, pensionierte Bundesverwaltungsrichterin, Mutter von zwei erwachsenen Söhnen, ist heute verheiratet: «auf Papier allerdings nur in Deutschland, wo meine Frau lebt. Sobald ich zurück in die Schweiz reise, ändert sich an der Grenze mein Zivilstand – weil uns die gleichgeschlechtliche Ehe hier noch immer verwehrt ist», erzählt sie. Filmstill: rv.

Heute gibt es mehr Geschlechterrollen als je zuvor. Immer mehr Menschen wünschen sich, dass alle ihren Platz in der Gesellschaft haben, unabhängig vom Geschlecht und ihren Rollen. In einem intimen Raum erzählen einzelne Betroffene inmitten zahlreicher leerer Stühle auf der Filmleinwand, wie es ihnen ergeht: als alleinerziehender Mann, als Homosexuelle, als Dragqueen, als trans Person, als Familienvater, als alleinerziehende Mutter aus Kenia, als Frau in einem intergeschlechtlichen Körper. Es lohnt, sich hinzusetzen und den Geschichten zuzuhören, um eigene Bilder zu hinterfragen. Veränderungen verunsichern, doch wer das Fremde kennenlernt, gewinnt Vertrauen, sind die Ausstellungsmacher überzeugt.

Titelbild: © Stapferhaus / Anita Affentranger

Bis 31.10.2021
«Geschlecht. Jetzt entdecken» im Stapferhaus in Lenzburg, mehr Informationen hier

Zur Ausstellung gibt es eine reich illustrierte Publikation mit Essays, Tipps, Interviews und Infografiken, NZZ Libro Verlag 2020, CHF 20.00 im Stapferhaus

 

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