Am 1. Februar 2021 jährt sich die Internierung der Bourbaki-Armee zum 150. Mal. Im Winter 1871 bewältigte die Schweiz die grösste Flüchtlingsaufnahme ihrer Geschichte. Zehn Jahre später erzählt das Rundbild Bourbaki Panorama in Luzern das Grossereignis in beeindruckender Weise.
Seine Botschaft stellt uns bis heute wichtige Fragen des menschlichen Zusammenlebens – über Solidarität, Gastfreundschaft und Grenzüberschreitungen. Im Erinnerungsjahr blickt das Bourbaki Panorama nicht nur zurück. Es animiert zugleich zum Nachdenken über die Gegenwart.
Wer kennt es nicht, das Bourbaki-Panoroma in der Nähe des Löwendenkmals in Luzern? Das imposante Gemälde, im Jahre 1881 von Edouard Castres gemalt, fasziniert alle Besucher. Die 360°-Rundsicht und das Ausblenden des Bildrandes suggerieren den Eindruck von Unendlichkeit und schaffen damit optimale Voraussetzungen zum immersiven Eintauchen ins Bildgeschehen: Besuchende lassen das Auge wandern, als ob sie sich im Freien aufhalten. Keine Begrenzung durch einen Rahmen stört seine Illusion.
Das Rundbild betont die Kooperation von Staat, Armee, Hilfswerken und Zivilbevölkerung und eine beim jähen Zusammentreffen mit Fremden selbstverständlich gelebte Solidarität. Es erinnert an die Zeit, als die erste Genfer Konvention von 12 europäischen Staaten unterzeichnet wird (1864) und das Humanitäre Völkerrecht Fuss fasst.
Edouard Castres (1838–1902) weiss genau, was er auf die Leinwand bringen will: Als freiwilliger Sanitäter beim Roten Kreuz hat er den Grenzübertritt in Les Verrières selbst miterlebt und seine Eindrücke anschliessend in zahlreichen Skizzen verarbeitet. Was Edouard Castres zusammen mit seinem Malerteam – darunter auch der junge Ferdinand Hodler – in Öl auf die Leinwand brachte, darf heute als eine der Urformen von Virtual Reality beschrieben werden. Nachdem das Bourbaki Panorama acht Jahre in Genf gezeigt wurde, fand es 1889 in der aufstrebenden Tourismusstadt Luzern eine neue Heimat.
Im zu Ende gehenden Deutsch-Französischen Krieg überschreiten zwischen dem 31. Januar und dem 3. Februar 1871 über 87’000 Soldaten der französischen Ost-Armee (Bourbaki-Armee) im Neuenburger Jura die Schweizer Grenze.
Die Soldaten sind miserabel ausgerüstet und physisch wie moralisch in einem desolaten Zustand. Nach der Entwaffnung durch die Schweizer Armee werden sie in 188 Schweizer Gemeinden untergebracht. Die Internierung stellt unser Land vor eine gewaltige Herausforderung, deren erfolgreiche Bewältigung nachträglich eine gehörige Portion Stolz zu Tage fördert. Mehr als 87’000 französische Soldaten aufzunehmen, unterzubringen, zu verpflegen, medizinisch zu betreuen und zu bewachen fordert den jungen Bundesstaat in enormer Weise. Die Internierung ist der erste Hilfseinsatz des Schweizerischen Roten Kreuzes und ein Meilenstein in der Geschichte der schweizerischen Neutralitätspolitik.
Gemeinsam mit Zivilpersonen pflegen das Rote Kreuz und weitere Hilfswerke über Wochen die verwundeten Soldaten, bereiten Mahlzeiten zu, richten Lazarette und öffentliche Unterkünfte ein, verteilen Lebensmittel, Kleider und Brennholz – trotz Ängsten und Verunsicherungen. Mit dem Übertritt werden kulturelle Grenzen aufgebrochen, die Angst vor dem Unbekannten weicht Solidarität, Neugier und Gastfreundschaft. Nach sechs Wochen verlassen die Soldaten die Schweiz in ihre Heimat Frankreich. Sie werden von den Schweizern noch heute freundschaftlich liebevoll «Bourbakis» genannt.
«Über Grenzen-Neugierde, Hoffnung, Mut» heisst der Titel der Sonderausstellung, die am 11. Mai im Ausstellungsraum unter dem Panoramabild eröffnet wird. Man sei zuversichtlich, dass die Ausstellung im aktuell geschlossenen Museum im Mai trotz der Coron-Pandemie öffnen könne, erklärte die Museumsleiterin Iréne Cramm an der Zoom-Medien-Konferenz am 26. Januar. Das Museum wird jährlich von bis zu 40’000 Personen besucht.