StartseiteMagazinKulturEndlich wieder Kunst!

Endlich wieder Kunst!

TOOLS FOR UTOPIA präsentiert das Kunstmuseum Bern wieder ab Dienstag, 2. März 2021. Zu betrachten sind Werke südamerikanischer Künstler und Künstlerinnen aus den Jahren zwischen 1950 bis etwa 1980.

Der Titel «Werkzeuge für Utopia», d.h. für eine neue Welt, für eine neue, freiere Gesellschaft bezieht sich auf die politische Realität in vielen lateinamerikanischen Staaten zwischen den frühen 1950er und den späten 1970er Jahren. Denken Sie nur an Brasilien, das bis 1985 unter dem Druck einer korrupten, brutalen Militärdiktatur stand, oder ebenfalls an Argentinien, wo in dem sogenannten Schmutzigen Krieg Tausende besonders junge Menschen verschwanden, was die argentinischen Mütter noch jahrzehntelang anprangern mussten, ehe sie Gehör fanden.

Dass viele Künstler und Künstlerinnen in dieser bedrückenden Lage nicht nur protestierten, ihre Kunst als Kampf gegen die Diktatur verstanden, sondern in ihren Werken auf eine hellere, freiere Zukunft hinarbeiteten, macht diese Kunst bemerkenswert und unterscheidet sie von der anderer Kontinente. Die Utopie erlaubt dabei das Träumen von einer gerechteren Welt und wirkt zugleich subversiv gegen die herrschenden Machtstrukturen.

In der Ausstellung wird die Vielfalt der Ausdrucksformen vorgestellt, so wie eben auch die Künstlerinnen und Künstler unterschiedliche Persönlichkeiten waren. In vielen Werken scheint ein humanistischer Aspekt auf, es geht um den Menschen, um seine Befindlichkeit im Hier und Jetzt. Insofern ist Utopia der Begriff für die Sehnsucht nach einer menschlicheren Welt. Schliesslich definiert sich Kunst immer auch als Experiment der Grenzüberschreitung.

Carlos Cruz-Diez: Fisicromía 13 (Physichromie 13), 1960, Caracas. Karton und Kasein (Plaka) auf Sperrholzmontiert mit Holzstreifenrahmen. 49.7 x 49.7 x 6 cm. Courtesy: Daros Latinamerica Collection, Zürich. Foto: Peter Schälchli, Zürich © 2020, ProLitteris, Zürich

Der venezolanische Künstler Carlos Cruz-Diez löste sich von den traditionellen Werkzeugen eines Malers, Pinsel, Leinwand oder Zeichnung. Für ihn war das Licht zentral. Erst durch das Licht kann die Farbe sich ausdrücken, anders gesagt, Farbe lebt nicht ohne Licht. Dafür schuf er in präziser Handarbeit eine rechteckige Form, die aus unterschiedlich bearbeiteten schmalen Lamellen besteht, dazwischen befinden sich ebenso schmale Leerräume. Das Spiel von verschiedenen Farben und dem Licht erzeugt komplexe visuelle Effekte, die zugleich abstrakt und doch konkret sind. – Carlos Cruz-Diez errang viel Zustimmung mit seiner Art, Kunst herzustellen. Eines seiner bekanntesten Objekte ist im Flughafen Caracas zu sehen.

Julio Le Parc: Continuel-lumière cylindre (Kontinuierliches Licht – Zylinder), 1962. Lichtkinetisches Objekt; Holz, Edelstahl, Metall, Motoren und Lichtquellen. 280 x 280 x 50 cm. Courtesy: Daros Latinamerica Collection, Zürich. Foto: Adrian Fritschi, Zürich  © 2020, ProLitteris, Zürich

Der Argentinier Julio Le Parc treibt das Spiel mit dem Licht noch weiter. Seine Kunstwerke basieren ganz auf der Wirkung des Lichts und seiner Reflexion. Hier ist Utopia fast körperlos, aber nicht formlos, sondern wandelbar, abhängig von Bewegung. In einigen Werken wirkt das Licht indirekt durch den Widerschein auf Metall.

Eine neue – menschenwürdige – Welt braucht eine angemessene Sprache. Mira Schendel, die aus einer schweizerisch-jüdischen Familie stammte, musste aufgrund ihrer Herkunft immer wieder einen neuen Wohn- und Wirkungsort suchen. Erst 1949, als sie nach Brasilien ausgewandert war, konnte sie ihre künstlerische Laufbahn beginnen. Wir können wohl sagen: Nun hatte sie ihre Sprache gefunden. Ihre Werke haben oft mit den Grundstrukturen der Sprache zu tun: den Buchstaben. In einem eindrucksvollen hängenden, durchscheinenden Werk stehen die Buchstaben in ihren individuellen Formen dicht beieinander, verbinden sich, bilden Kontraste, woraus eine faszinierende Unschärfe entsteht. – Nur: Wer versteht diese Sprache? Vielleicht müssen die Sprechenden erst noch geboren werden.

Mira Schendel: Objeto gráfico (Grafisches Objekt), 1967/68. Öl und Letraset auf Reispapier. 100 x 100 cm. Courtesy: Daros Latinamerica Collection, Zürich. Foto: Peter Schälchli, Zürich  ©The estate of Mira Schendel

Die Verletzlichkeit des Menschen und den schockierenden Verlust menschlicher Würde im Drogenkrieg klagt Miguel Angel Rojas an: Er fotografierte einen jungen Landarbeiter, der durch eine Mine einen Unterschenkel verloren hatte, in der Pose von Michelangelos David, ein künstlerisches Zitat, das sarkastischer nicht sein könnte. Bewusst will der Künstler daran erinnern, dass Michelangelos Plastik damals als Symbol galt für die Auflehnung der Stadt Florenz gegen ihren Tyrannen. Ein starker Kontrast zwischen der vollkommenen Gestalt des David und dem verstümmelten jungen Kolumbianer.

Miguel Ángel Rojas: David No. 2, 2005. Aus der Serie David. Inkjetdruck auf Baumwollpapier. 199.5 x 100 cm. Courtesy: Daros Latinamerica Collection, Zürich   ©The artist

Ein scheinbar makelloser Fussball mit merkwürdigen kleinen Erhebungen entpuppt sich beim Nähertreten als gnadenlose Anklage von Gewalt gegen Menschen: Die Erhebungen sind menschliche Brustwaren! In einer Vitrine befinden sich neben diesem Ball noch einige andere Gegenstände – als Luxusware konzipiert und auf die gleiche schockierende Art hergestellt: Nicola Costantinos Ball gehört in die Serie Menschliche Pelzware (Peletería humana). Die ausgestellten Objekte hat der Künstler aus Silikon und Leder geschaffen, sie stellen Dinge dar, die in Konzentrationslagern aus der Haut von Lagerinsassen gefertigt wurden. Was von fern als gefällige Form wirkt, erzeugt bei genauerem Hinsehen nichts als Grauen.

Die umfangreiche Ausstellung erstreckt sich über die beiden Geschosse im neueren Teil des Kunstmuseums und würdigt die Vielfalt des künstlerischen Schaffens in Südamerika. Auffällig gross ist die Zahl von Emigranten bzw. Emigrantinnen, die ihre Existenz nach der Flucht neu aufgebaut haben.

Alle gezeigten Werke stammen aus der Daros Latinamerica Collection in Zürich, im Jahre 2000 gegründet und dem Dialog zwischen Lateinamerika und dem internationalen Publikum der weltweit wichtigen Kunstzentren gewidmet.

TOOLS FOR UTOPIA ist noch bis 21. März 2021 zu sehen. Ab 2. März ist das Museum wieder geöffnet. Bitte informieren Sie sich über die besonderen Regeln in Zeiten der Pandemie auf der Webseite des Kunstmuseums Bern.

Titelbild: Nicola Costantino: Pelota de fútbol (Fussball), 1999. aus der Serie Peletería humana (Menschliche Pelzware). Silikon und Leder. Durchmesser 21 cm. Courtesy: Daros Latinamerica Collection, Zürich.  Foto: Peter Schälchli, Zürich  © The artist

Nina Zimmer, Direktorin des Kunstmuseums Bern und des Zentrums Paul Klee, präsentiert einige ausgewählte Werke:

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