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Was uns die Grosse Pest heute sagt

Die Pestepidemie im Mittelalter war ein einschneidendes Ereignis in ganz Europa. Der Historiker Volker Reinhardt beleuchtet die Auswirkungen und zieht Parallelen zur Pandemie heute.

Das Buch handelt von der Pest, die sich in den Jahren 1347 bis 1353 in Europa ausbreitete und die Menschen verunsicherte. Wie heute fegte die unbekannte Krankheit von Osten nach Westen und weckte Urängste. Man kannte keine Heilmittel, die Prognosen der Experten gingen weit auseinander, das Nichtwissen jener, die es wissen sollten, erzeugte Panik, Hamsterkäufe erfolgten und die Szenarien gingen vom Schlimmsten aus. Volker Reinhardt zeigt auf, wie verblüffend ähnlich wir heute auf eine Pandemie reagieren, vieles kommt uns trotz medizinischem Fortschritt vertraut vor.

Umschlagbild: Pesttafel mit dem Triumph des Todes, Augsburg um 1607-1636. Solche Warntafeln wurden an den Hauswänden angebracht. Deutsches Historisches Museum, Berlin.

Die Pest wurde im Mittelalter von der Hafenstadt Kaffa auf der Krim über Konstantinopel durch genuesische Galeeren eingeschleppt. Von den Mittelmeerhäfen aus verbreitete sich die Seuche zwischen Herbst 1347 bis Frühjahr 1348 in ganz Europa bis nach England und Skandinavien. Zwei Varianten waren vorherrschend, die eine hielt zwei Monate vor Ort an und war durch dauerhaftes Fieber und das Spucken von Blut gekennzeichnet, dabei starben die Betroffenen innerhalb von drei Tagen. Bei der zweiten Variante, der Beulenpest, starben die Angesteckten sofort oder nach ein paar Tagen mit permanentem Fieber, Ausschlag und Geschwulst auf den äusseren Gliedmassen. Mindestens ein Viertel der Bevölkerung wurde Opfer der Pest.

Der Historiker und Professor an der Uni Fribourg beruft sich auf zahlreiche Quellen jener Zeit. Ärzte, Gelehrte und Theologen setzten sich mit der unbekannten Krankheit auseinander. Man kannte keine Heilmittel, war ratlos und entsetzt, wie rasch die Seuche um sich griff. Die Ursache sah man im Zorn Gottes und in den Konstellationen der Gestirne, die unheilbringende Luft verbreiteten. Die Vorstellung, dass sich todbringende Keime von Tieren, niedrigen Lebewesen, auf den Menschen, die Krone der Schöpfung, übertragen, widersprach den fundamentalen Leitsätzen christlicher Theologie und humanistischer Philosophie.

Domenico Gargiulo (1609-1675), Die Piazza Mercatello in Neapel während der Pest von 1656. Museo Nazionale di San Martino, Neapel.

Das Pestbakterium, Yersinia pestis, wurde erstmals 1894 vom Westschweizer Forscher Alexandre Yersin entschlüsselt. Das etwa 20 000 Jahre alte Bakterium gab es in verschiedenen Genvarianten, aber nur die mittelalterliche Form, die mediaevalis, hatte das Potential für eine Pandemie. Bis heute streiten sich die Fachleute, ob die Genueser Seeleute die Seuche mit infizierten Ratten oder mit Bakterien belasteter Flöhe eingeschleppt hatten; die Ratten, die stets eng mit dem Menschen zusammenlebten, wären so freigesprochen. Die Pest ist heute mit Antibiotika behandelbar, dennoch kommt es in verschiedenen Weltregionen immer noch zu Infektionen durch den Verzehr bestimmter Wildtiere.

Volker Reinhardt beschreibt eindrücklich, wie die Menschen mit der Pest umgegangen sind. Er zitiert Zeugnisse von Überlebenden, die versuchten, das Erlebte zu verstehen. Er stellt die Städte Florenz, Mailand, Rom und Venedig, in Frankreich Avignon und Paris, in Deutschland Würzburg, Strassburg und Frankfurt vor und zeigt deren Reaktion auf die Pest. Dabei fällt auf, dass Mailand damals im Gegensatz zu heute, kaum Tote zu beklagen hatte.

Luchino Visconti, Kupferstich nach einem Porträt, 1858.

Kein Wunder, dass es in Mailand im Frühjahr 2020 in zahlreichen Blogs und Tweets hiess: «Gebt uns einen zweiten Luchino Visconti!». Luchino Visconti (1287/1292-1349) war ein rücksichtsloser, zupackender Despot, der rechtzeitig von der Schreckensnachricht aus Sizilien hörte. Er legte genügend Vorräte an, riegelte die Stadt vollständig ab, jeder Einreisende wurde rigoros kontrolliert. Die drei Familien, die als einzige in der Stadt krank wurden, soll er in ihren Häusern eingemauert haben.

In vielen Pest-Rapporten stand die Frage nach den Ursachen und den Schuldigen weit oben. Im Gegensatz zu Italien kamen in Frankreich fast alle Bevölkerungsgruppen als potentielle Verursacher infrage, insbesondere die Armen und die Juden. Nur der welterfahrene Papst Clemens VI., der in Avignon residierte, wusste sich mit hygienischen Massnahmen zu schützen, räucherte die Räume und hielt sich auf Distanz. Er verurteilte Angriffe auf die Juden und bestimmte, dass kein Christ einen Juden verwunden, töten oder ihm Geld wegnehmen dürfte, ansonsten drohte Verstossung oder Exkommunikation. Trotzdem gab es in Frankreich während der Pest Pogrome, doch die schlimmsten Gewaltexzesse, insbesondere gegen die Juden, geschahen im deutschsprachigen Raum. Zahlreiche sogenannte Sühnekirchen erinnern noch heute an die schrecklichen Auswüchse, wie etwa die Frauenkirche in Nürnberg, die anstelle der 1349 beim Pestpogrom zerstörten Synagoge erbaut wurde.

Pestarzt «Doctor Schnabel», Kolorierter Kupferstich von Paul Fürst, Rom, 1656.

Der letzte Teil in Reinhardts Buch «Die Menschen nach der Pest» zeigt, dass die Pest nicht einfach weg war, sondern in regelmässigen Abständen von zehn- bis fünfzehn Jahren wieder zurückkehrte. Einzelne Städte versuchten sich durch Isolation vor der Seuche zu schützen, wie die dalmatinische Handelsstadt Ragusa, heute Dubrovnik, die 1377 für alle Neuankömmlinge aus potentiellen Pestgebieten eine Dreissig-Tage-Isolierung anordnete. Diese Frist wurde in Venedig um weitere zehn Tage verlängert und gab den Namen Quarantäne (quaranta, ital. vierzig). Da sie jedoch nicht konsequent eingehalten wurde, blieb sie wirkungslos.

Die Erwartungen der Menschen waren gross, dass nach dem Ende der Pest vieles besser, die Menschen geläutert und Gott gnädiger würden. Umso grösser war die Enttäuschung, dass dies nicht geschah. Dafür wurden die unteren und mittleren Schichten infolge des Vertrauensverlusts in die kirchlichen und weltlichen Autoritäten selbstbewusster, nahmen die Dinge selbst in die Hand, doch gleichzeitig blieb die Sehnsucht nach einer starken Herrschaft. Wie die Gesellschaft sich durch die Pestpandemie wandelte und was das heute mit uns zu tun hat, setzt der Autor im Epilog hoch spannend auseinander.

Volker Reinhardt, Die Macht der Seuche. Wie die Grosse Pest die Welt veränderte 1347-1353, Verlag Beck, München 2021. ISBN 978-3-406-76729-6

 

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2 Kommentare

    • Ups, das ist ein Schreibfehler! Sein Geburtsdatum ist unklar 1287 oder 1292, aber das Todesjahr 1349 ist gesichert. Besten Dank für den Hinweis. Ruth Vuilleumier

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