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Königin Elisabeth, Prinz Philip und Willi Ritschard

Das war eine starke, eine bildstarke Dokumentation, die das ZDF zum Tode von Prinz Philip, Herzog von Edinburgh, zur besten Sendezeit ausstrahlte*. Ein Bild erregte meine besondere Aufmerksamkeit: Prinz Philip bewegte sich auf eine Polizistin zu, bevor er in ein bereitstehendes Auto stieg. Er näherte sich ihr, sprach auf sie ein, zeigte mit dem Finger auf ihre Abzeichen, die wohl auf ihren Rang, auf ihre Auszeichnungen hinwiesen. Er stellte Fragen, wollte mehr von ihr erfahren. Die Momentaufnahme erinnerte mich an eine ähnliche Situation, die mir passierte. Doch der Reihe nach:

Vor beinahe genau 41 Jahren stattete das britische Staatsoberhaupt, Königin Elisabeth und ihr Gemahl Philip, Ende April/Anfang Mai 1980 der Schweiz den ersten und wohl einzigen Staatsbesuch ab. Die Begeisterung in unserem Land war riesig, sieht man von den Stördemonstrationen von Monarchie-Gegnern ab, die bei ihrem Besuch der Gartenausstellung, der G 80 in Münchenstein bei Basel, aus der Ferne ihrem Unmut Ausdruck verliehen.

Nach dem offiziellen Empfang durch den Bundesrat im Bundeshaus stand im benachbarten Hotel Bellevue Palace ein besonderes Ereignis an. Die Königin wollte sich mit Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft, der Politik, der Wissenschaft und auch der Medien treffen. Als neuer Leiter der Bundesstadt-Redaktion der SRG gehörte auch ich zu den Privilegierten. Die kleine Gruppe der geladenen Journalisten wurde in der grossen Eingangshalle des Hotels vom Presseattaché der britischen Botschaft in Bern versammelt und dabei darauf hingewiesen, wie wir uns der Königin gegenüber zu verhalten haben. Jeder Einzelne werde ihr ganz kurz vorgestellt, so hätten wir uns bei der Begrüssung zu verhalten, möglicherweise würde sie ein paar Worte an Einzelne richten, Fragen seien aber nicht genehm.

Als ich vor ihr stand, drückte sie ihre Achtung vor dem dreisprachigen Sender SRG aus. Ich wollte ihr entgegnen, dass es eben drei eigenständige Sender seien. Ich merkte, dass sie bereits gekonnt dem Nächsten ihre Aufmerksamkeit zu schenken begann, verzichtete und drehte ab. Drei Meter daneben stand Philip, grossgewachsen, elegant gekleidet. Er begrüsste mich auf Deutsch, neigte sich mir zu und verwickelte mich gleich in einen Smalltalk, stellte mir Fragen. Er wollte wissen, wie es denn um das eidgenössische Gestüt in Avenches stehe, ob es weiterentwickelt werde oder es bereits an Bedeutung verloren habe, seit Pferden in der Schweizer Armee keine so grosse Rolle mehr zukomme. Ich war völlig überrascht und gleichsam überfordert. Ich wusste, dass es immer wieder Diskussionen um das Gestüt gab, zu gross, zu teuer. Mir war aufgefallen, dass seine Hände recht gross und gerötet waren, mir wurde klar: Ich stehe einem Pferdeexperten, gar einem Pferdezüchter gegenüber. Mir fiel plötzlich ein, dass ich das Gestüt einmal auf einer Pressereise besucht hatte und begann, vom Gestüt, das 1899 gegründet wurde, zu schwärmen: »Es würde sich lohnen, es einmal zu besuchen.» Zum Glück gesellte sich der nächste Journalist dazu, ein welscher Kollege, und der konnte mehr zum Thema beitragen.

Es war wohl eine Woche später. Ich sass im Journalistenzimmer im dritten Stock im Bundeshaus unter der Bundeskuppel. Im 30 Quadratmeter grossen Raum standen acht Schreibtische für uns SRG-Journalisten aus den drei Sprachregionen, wir waren so richtig eingepfercht. Das Telefon klingelt. Bundesrat Willi Ritschard am Draht: «Wir sollten uns sehen!». Ich murkse rum, bin gerade an einem fast unverständlichen Bericht zur Landwirtschaftspolitik. Er drängt. Ich spüre, dass es gleich sein muss. Ich klappe den Bericht zu, mache mich auf den Weg in den Bernerhof, ins Finanzministerium gleich nebenan.

Willi Ritschard ist verärgert. Er zeigt mir die Leserbrief-Seite im «Der Bund»**. «Alle gegen mich», seufzt er auf. Meine Frage: «Was war denn der Grund?». Ritschard erzählt, dass er in einer kürzlich gehaltenen Rede einen Satz formuliert habe, den viele nicht goutieren wollten. Was habe ich übersehen? In den übrigen Zeitungen war das bis jetzt überhaupt kein Thema. Und wie lautete denn der Satz? Ritschard: «Die Schweizerinnen und Schweizer interessieren sich mehr für das Gloschli der Königin als für die defizitären Bundesfinanzen.» Und weiter fügt er bei: «Wir sind doch Demokraten und keine Monarchisten. Können wir das nicht in einem Interview im Schweizer Fernsehen richtigstellen? Ich könnte mich auch entschuldigen?» Ich rate ihm ab, weiss auch, dass ich das Ansinnen bei der Tagesschau-Redaktion in Zürich nur schwer durchbringen könnte. Ich beruhige ihn, morgen ist auch wieder ein Tag und das geht schnell vergessen, da wird eine «andere Sau» durchs Dorf getrieben.

Das war vor 41 Jahren. Was wäre heute daraus geworden: eine deftige Boulevard-Geschichte, auf Seite eins des Blicks, vielleicht gar als ein Aufmacher in der Hauptausgabe der Tagesschau um 19:30 Uhr? Aus dem berndeutschen Gloschli wäre der deutsche Ausdruck Unterrock der Königin geworden. Da wäre die Botschaft auch in Zürich angekommen. Die Redaktionen hätten den Boulevard-Wert des Satzes erkannt…


*Eine Dokumentation, die auch vom Schweizer Fernsehen übernommen und am letzten Freitag ausgestrahlt wurde.

**Tamedia, die Zürcher Mediengruppe TX Group, fusioniert die Berner Traditions-Zeitung «Der Bund» ab Oktober 2021 mit der «Berner Zeitung» vollständig. Die beiden Zeitungen werden vorerst unter ihren bisherigen Titeln herausgegeben, doch ihre Eigenständigkeit werden sie beide definitiv verlieren.

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1 Kommentar

  1. Die alten Gschichtn… je mehr an Jahren je mehr hat man auf Lager und erzählt sie immer wieder. Es geht hier zwar um Prince Philip, der bis 2 Monate vor seinem hundertsten durchgehalten hat und der Queen 74 Jahre zur Seite stand! Eine unglaubliche Leistung an Pflichterfüllung, Treue, Zurückhaltung und Dienst an der Krone und Land, die heute kaum noch genügend gewürdigt wird! Lieber befassen sich unsere copypaste Medien mit Harry und Meghan Boulevard Trash, als an den vorgenannten vorgelebten Werten der Queen und ihres Consorts, dem Duke of Edinburgh. Gschichtn mit der Queen und Prince Philip habe auch ich (und andere..) als ich 1989 kanadischer Staatsbürger wurde und beim Staatsbesuch der Queen im Herbst 50 Neueingebürgerte zum Staatsbankett mit 600 Gästen eingeladen wurden. Vorheriges Briefing wie man sich zu Verhalten habe… ja nicht die Hand drücken und nur hinhalten…ich dachte damals was für ein «Scheissjob» die Queen doch hat, zwar mit Handschuhen, ein paar hundert Gästen das Pfötchen drücken… Grossen Respekt für HM The Queen und HRH Prince Philip, Duke of Edinburgh R.I.P.

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