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Die Welt mit anderen Augen sehen

«Making the World – Gelebte Welten.» Unter diesem Titel stellt das Basler Museum der Kulturen Kunst aus der «alten Welt» und Kulturgüter aus aller Welt in einen Kontext. Entstanden ist eine zugleich ungewöhnliche wie reizvolle Ausstellung.

Kaum haben wir den Raum betreten, erkennen wir das Prinzip dieser Ausstellung: Zwischen der Sammlung des Kunstmuseums und der des Museums der Kulturen ist ein Dialog entstanden. In der ersten der fünf Stationen «Kosmos» sehen wir nur drei eindrucksvolle Objekte: Eine Kosmische Allegorie von Abraham Hondius, einem holländischen Maler des 17. Jahrhunderts. Dieses Gemälde spiegelt damalige abendländische Vorstellungen des Universums wider: Raum, Zeit, Materie und Energie sind als Allegorie zueinander in Beziehung gesetzt.

Daneben ein Rindenbaststoff der Ticuna in Brasilien, eine feine Malerei mit der Sonne im Zentrum, wahrscheinlich umgeben von den vier Himmelsrichtungen bzw. den Himmelskörpern. Diese künstlerisch hochrangige Darstellung eines kosmischen Rades symbolisiert nebst den Himmelskörpern ein Geistwesen, das die Mädchen bei Initiationen beschützt, besonders im wichtigsten Moment jeder jungen Ticuna: wenn sie zur erwachsenen Frau wird.

Station Kosmos

Ein Wort zur Vorgeschichte dieser Ausstellung: Während des Bauprojektes 2015/2016 war das Kunstmuseum Basel bekanntlich längere Zeit geschlossen, ein Teil der Sammlung alter Meister war damals zu Gast im Museum der Kulturen. Die «Gäste» und die «Gastgeber» konnten nicht anders, als neue Sichtweisen zu eröffnen. Der Gedanke, bewusst Sammlungen auf die Möglichkeiten eines ideellen Austauschs zu prüfen, drängte sich auf. Für die Expertinnen war es allerdings zugleich eine Herausforderung, sich von den historisch unterschiedlichen Zielen zu lösen und neue Impulse zu setzen.

Über viele Jahrzehnte hinweg wurden unter dem Thema «Kunst oder Kontext» Debatten darüber geführt, ob Werke von aussereuropäischen Kulturen eindeutig ethnologischen Museen zuzuschlagen seien oder nicht doch eher als Kunstwerke einzuordnen seien und damit in Kunstmuseen gehörten. – Viele Künstler hatten sich schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von aussereuropäischer Kunst inspirieren lassen. Hatten sie aber auch begriffen, was mit den für europäische Augen ungewöhnlichen Formen ausgedrückt werden sollte?

Station Beziehungen: links: El Greco (Schule), Der Apostel Jakobus d.Ä.; Toledo/Spanien; um 1600-04.
rechts: Rednerpult ‹teket›; Iatmul; Mandanam, Sepik, Papua-Neuguinea, Holz, vor 1930-

Neben «Kosmos» gliedert sich die Ausstellung in die Stationen «Beziehungen – Orientierung – Spuren und Imaginationen». Es geht immer um den Mensch, um sein Verhältnis in seiner Welt und zu seinen Mitmenschen.

Alles steht in Beziehung

In der Station «Beziehungen» enthüllen alte Meister aus Europa, afrikanische Masken, asiatische Schattenspielfiguren oder ein Rednerpult aus Ozeanien die Vielfalt von Beziehungen. Es entsteht geradezu ein Gedränge an aussereuropäischen Statuen. Die Exponate spiegeln das Verhältnis der Menschen zu ihresgleichen, zu Tieren, aber auch zu den Ahnen – die ihrerseits Einfluss auf das Leben nehmen. Ideen, Vorstellungen, Wünsche sowie Zugehörigkeit werden nicht zuletzt in materiellen Erzeugnissen sichtbar gemacht, sondern auch ausgetauscht, wie die aktuelle Kurzfilmperformance «Farafin a ni Toubabou» von Adrien Sina und Mamary Diallo zeigt.

Station Beziehungen: Schattenspielfiguren aus Indonesien, in der Mitte oben: der Nashornvogel (um 1900) aus Borneo

Die filigrane Schönheit der indonesischen Schattenspielfiguren gehört ebenso zu «Beziehungen» wie der Nashornvogel aus Borneo. Dieser gilt dem Volk der Iban als Götterbote aus der höheren Welt, als Ahnherr. Er bestimmt das Schicksal und beschützt die Krieger. In ihren Zeremonien wird der Nashornvogel auf einen Stab montiert und trägt die Nachrichten der Menschen in die höhere Welt.

Die hier gezeigten Schattenspielfiguren stellen den Lebensbaum, d.h. den Weltenberg dar. Dieser erscheint jeweils am Anfang, in den Pausen und am Ende einer Aufführung, ein Symbol ebenso für das Universum wie für das menschliche Leben und für die Übergänge zwischen den verschiedenen Welten. Das Schattenspiel, das die Menschen zu ihrem Vergnügen am Sonntagnachmittag besuchen, enthält stets auch rituelle Elemente.

Bewegung durch die Welten

Wanderungen, Handelsreisen, Aufbruch in neue Länder – schon immer befassten die Menschen sich damit. Zur Orientierung braucht man Hilfsmittel, die der Natur der Sache nach mehr oder weniger abstrakt gestaltet wurden, aber verständlich für diejenigen, die sie nutzten.

Station Orientierung: in der Mitte die Stabkarte (schlecht sichtbar), rechts Paul Klee, ‹Reicher Hafen› (ein Reisebild), 1938, Öl und Kleisterfarbe auf Zeitungspapier auf Jute.

Da sehen wir in der Nachbarschaft einer mexikanischen Stadtansicht eine Stabkarte, die mikronesischen Seefahrern nebst Sternen und Meeresströmungen dazu diente, zu anderen Inseln im Pazifik zu fahren. Die kunstvolle Verknüpfung von dünnen Stäben beeindruckt, wer könnte sich damit heute orientieren. – Daneben hängt Paul Klee, wie selbstverständlich, ein Aufbruch aus einem bekannten Hafen in neue Gefilde.

Was sich in die Erde eingräbt

Wo der Mensch unterwegs ist, lebt und arbeitet, hinterlässt er Spuren. Eine Installation von Pflügen aus aller Welt beeindruckt die Besucherin durch die Zahl und Vielfalt. Wir sehen Darstellungen von Kulturlandschaften, aber auch von Industrialisierung oder Umweltzerstörung. Die titellose Skulptur von Fischli/Weiss wirkt in seiner dumpfen Schwärze wie ein Memento. Könnte sie ein Überbleibsel eines Waldbrandes darstellen?

Station «Spuren»: Peter Fischli / David Weiss. Ohne Titel; 2005 (Gummi, gegossen). Emanuel Hoffmann-Stiftung Basel

Ein Kriegsteppich aus Afghanistan, das Gemälde «Hartmannsweilerkopf» von Lotti Krauss oder ein Arpillera, eine Patchworkarbeit aus Chile, die die Frauen während der Pinochet-Diktatur schufen, erzählen ebenfalls von zerstörerischen Spuren.

Grosse Gemälde und Textilien aus allen Kontinenten dokumentieren, wie die Menschen sich in höhere Welten, beziehungsweise in erdachte Welten versetzen und sie darstellen. Dabei vermischen sich wiederum die unterschiedlichsten Ebenen, je nachdem wovon die Phantasie der kreativen Frauen und Männer sich leiten liess. Sind es religiöse oder magische Vorstellungen, sind es surreale Welten oder einfach Verfremdungen unserer Welt wie bei Lyonel Feininger oder Max Ernst?

Station Beziehungen: Welten im Austausch

Eine überaus reichhaltige Schau ist entstanden. Sie stösst vieles an, was vertiefte Beschäftigung verlangt, wenn man die Aussage des einzelnen Werkes verstehen und den Bezug zum Ganzen erkennen will. Was ist Kunst für uns, wie beeinflusst der Kolonialismus noch heute unser Verständnis von aussereuropäischer Kunst. Gibt es nicht sichtbare Parallelen zwischen der religiösen Anbindung in Europa und in anderen Kontinenten. Dies nur einige Fragen, die sich während und nach dem Besuch im Museum der Kulturen stellen.

Ab November 2021 präsentiert das Kunstmuseum Basel eine Parallelausstellung: «Spirituelle Welten», unterteilt in «Höhere Wesen», «Anfänge», «Übergänge » und «Abwesendes». Die Werkauswahl erfolgte wie in einem ethnologischen Zusammenhang nach inhaltlichen Gesichtspunkten, so dass die einzelnen Objekte – neben einem ästhetischen, künstlerischen oder anderen – auch einen konkreten Sinn aufzeigen.

«Making the World – Gelebte Welten» im Museum der Kulturen Basel bis 23. Januar 2022

Alle Fotos: © Museum der Kulturen Basel

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