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Darf ein Mäzen politisch dreinreden?

Mit seiner Grossspende an das Kunstmuseum Bern hat der in den USA lebende Milliardär Hansjörg Wyss eine Grundsatzdiskussion ausgelöst: Darf ein Kulturmäzen seine Zuwendung an Bedingungen knüpfen und verkehrspolitische Entscheidungen mit privatem Geld beeinflussen?

Wird die Demokratie durch Geld korrumpiert, wenn ein Mäzen einer Kulturinstitution 20 Millionen Franken schenkt, seine Spende aber an die Auflage knüpft, dass die Durchgangsstrasse vor dem Museum verkehrsfrei gemacht werden muss? Der Sachverhalt zielt auf die Frage nach dem Verhältnis von Reichtum und politischem Einfluss, von Kapitalismus und Demokratie. Dürfen demokratische Entscheidungen durch Geldspenden beeinflusst oder sogar über den Haufen geworfen werden?

Vor zwei Jahren hatte der bekannte Berner Philanthrop Hansjörg Wyss (86) dem Kunstmuseum seiner Heimatstadt 20 Millionen Franken für einen Museumsneubau in Aussicht gestellt. Die Millionen sollten nur fliessen, wenn die am Museum entlangführende Hodlerstrasse von Autos befreit wird. Wyss schwebte eine Tunnellösung vor. Seither tut sich die Stadt schwer mit dem verlockenden, aber kontrovers aufgenommenen Angebot. An den Stammtischen und in den Leserbriefspalten der Zeitungen gehen die Meinungen auseinander.

Mäzen oder Sponsor?

Gemäss der gängigen Definition gibt ein Mäzen Geld, ohne vom Beschenkten eine Gegenleistung zu erwarten. Ein Sponsor dagegen verbindet seine Zuwendung mit einer Image-, Marketingbotschaft oder sonstigen Gegenleistung. Damit wäre Wyss eher Sponsor als Mäzen. Für den Leserbriefschreiber Michael Lüthi ist die Verkehrsführung an der Hodlerstrasse «eine Tragödie», das Kunstmuseum werde vom Strassenverkehr «marginalisiert». Deshalb sei die Spende gerechtfertigt, findet er. «Bund»-Leser Daniel Rutsch dagegen ist überzeugt, dass Wyss «die Stadtregierung gekauft hat». Nach Ansicht von Peter Langenloh lässt sich der Gemeinderat «des schnöden Mammons wegen auf der Nase herumtanzen».

Das Kunstmuseum Bern heute. Foto Peter Schibli

Eine andere Ansicht vertritt Adrian Ritz, Professor für Public Management an der Universität Bern. Wyss’ verkehrspolitische Auflage an die Stadt will er nicht als Bedingung verstehen, da Strasseninfrastruktur und Unterhalt grundsätzlich eine öffentliche Aufgabe seien. «Trotzdem ist es wichtig, dass die Stadt hinschaut, was für Folgekosten aus einem von Mäzenen mitfinanzierten Projekt entstehen können. Zukünftige Aufwände müssen durch zukünftige Erträge gedeckt werden», so Ritz auf Anfrage.

In einem Kommentar schrieb «Bund»-Redaktor Markus Dütschler: «Ein Geschenk mit Forderungen: Das geht eigentlich nicht! Es erscheint fragwürdig, wenn private Geldgeber in die Verkehrspolitik hineinreden. Doch vielleicht braucht es zuweilen die Sicht und den <Stupf> von aussen ebenso wie den Zustupf, damit eine unendliche Geschichte ihr glückliches Ende findet. Es ist zu hoffen, dass die Stadt ihre Bedürfnisse gegenüber dem Mäzen klar formuliert und die Vereinbarung rechtzeitig und wasserdicht abschliesst. Denn bei aller Freundschaft heisst das Museum nicht <Zentrum Hansjörg Wyss>, sondern <Kunstmuseum Bern>.»

Wer ist Hansjörg Wyss?

Der Berner Wyss stammt aus dem Weissensteinquartier und ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Er arbeitete in verschiedensten Branchen: als Journalist, Pöstler, Textilhersteller und schlussendlich in der Pharmaindustrie, durch die er zu seinem Vermögen gelangte. Mit dem Verkauf von «Synthes» an «Johnson & Johnson» im Jahr 2011 wurde er auf einen Schlag zu einem der reichsten Schweizer. Sein Vermögen wurde 2021 von Forbes auf sechs Milliarden US-Dollar geschätzt.

Der 1935 geborene Wyss studierte von 1955-1959 an der ETH Zürich Bauingenieurwesen (Abschluss Dipl.-Ing.). Nach einer zwischenzeitlichen Tätigkeit als Ingenieur und Projektmanager beim Autokonzern Chrysler in Genf absolvierte er ab 1963 ein Zweitstudium in Ökonomie an der Harvard Business School, wo er 1965 mit Auszeichnung zum MBA graduierte.

Nach seinem Abschluss war Wyss 1965-1969 in unterschiedlichen Positionen in der Textilindustrie tätig. Er sanierte dabei u. a. das schwedische Unternehmen «Lapidus». 1969 holte ihn der US-Chemiekonzern «Monsanto» in seine Generaldirektion Europa nach Brüssel.

Engagement für und in Bern

Heute lebt Wyss im US-Bundesstaat Wyoming. Regelmässig und gerne besucht er seine Heimat. So sitzt Wyss im Stiftungsrat des Kulturzentrums «Progr» und besitzt in Lauenen bei Gstaad ein Chalet. Seit diesem Sommer ist er zudem Aktionär des Berner Kursaals, wie die «Berner Zeitung» unlängst berichtete.

Wyss engagiert sich auch in den zwei Bereichen Umwelt und Soziales. Er hat «The Giving Pledge» unterschrieben, eine Kampagne der Amerikaner Warren Buffett und Bill Gates, mit der die wohlhabendsten Personen der Welt aufgefordert werden, den grössten Teil ihres Vermögens für wohltätige Zwecke zu spenden. «Das Einfachste, was ich je unterschrieben hatte», so der Berner Mäzen in der «Bilanz» über die freiwillige Verpflichtung. Weiter finanziert er zahllose Initiativen, mit denen neue Methoden zur Lösung der globalen Herausforderungen in den Bereichen Medizin, Naturschutz, Kunst und humanitäre Anliegen gefördert werden sollen. Viel Geld floss auch an Universitäten. 2019 gab er bekannt, er werde 100 Millionen Franken für die «Wyss Academy», ein Forschungs- und Umsetzungszentrum an der Universität Bern, beisteuern.

Für die Rettung der bilateralen Verträge

Zur Schweizer Politik äussert sich der Mäzen immer wieder.  Zusammen mit dem Unternehmer Jobst Wagner ist er Gründer des Vereins «Vorteil Schweiz» zur Rettung der bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Im November 2020 sagte er zum Magazin «Bilanz»: «Wir brauchen die bilateralen Verträge, das ist jedem klar, der ernsthaft Verantwortung trägt. Dass man da diesen Rahmenvertrag nicht unterschreibt, ist ein Blödsinn.»

Zuletzt sorgte er in den USA für Aufsehen. Er bot beim Verkauf der «Chicago Tribune» mit. Damit wollte er offenbar verhindern, dass die Zeitung in die Hände des Hedgefonds «Alden Global Capital» gerät, der dafür bekannt ist, Zeitungen zu Tode zu sparen. Eine rechtskonservative Gruppe reichte eine Beschwerde ein, weil sich Wyss als Ausländer verbotenerweise finanziell in den US-Wahlkampf eingeschaltet haben soll.  Später stieg der Berner aus dem Geschäft aus.

Fuhr lieber Velo als Auto

Laut der Zeitung «Der Bund» protzt der Milliardär nicht gern: Er besitze keine Jachten, und aus Autos mache er sich nichts. Dafür fuhr er früher gern Velo und hat sich eine grosse Märklin-Anlage mit Dampflokomotiven eingerichtet. Für sein Weingut im kalifornischen Paso Robles liess er sich eine Krokodil-Lokomotive der Rhätischen Bahn nachbauen – im Massstab 1 zu 2,7. Die Lok aus der «Modellbau-Manufaktur Balson» in Stein am Rhein ist fünf Meter lang und viereinhalb Tonnen schwer, wie die «Schaffhauser Nachrichten» berichteten.

Fotomontage des geplanten Neubaus. Montage: Stadt Bern

Wyss gilt als Kunstfreund. Er tritt unter anderem als Mäzen des «Ensemble Proton Bern», des Boston Philharmonic Orchestra, des «Progr», und der Fondation Beyeler auf. Er unterstützt die Fondation Beyeler in Riehen, war mit dem 2010 verstorbenen Gründer Ernst Beyeler befreundet. Heute ist er Präsident des Stiftungsrats. Wyss verfügt selbst über eine kleine Kunstsammlung. Darunter sollen sich Spitzenbilder mit Museumsqualität befinden, etwa mehrere Werke von Paul Klee.

Machbarkeitsstudie zeigt Weg auf

Einig ist man in Bern, dass das vom Kanton mitfinanzierte Kunstmuseum saniert und erweitert werden muss. Das Haus soll eine nationale und internationale Stärkung des Kulturstandorts Bern bringen, von der sowohl das Museum, der Detailhandel wie auch die Gastronomie und Hotellerie profitieren. In den Bereichen Provenienzforschung und Restaurierung hat sich das Museum in den vergangenen Jahren eine starke Position erarbeitet. Vorgesehen sind ein Research Lab, neue Räumlichkeiten für die konservatorische Pflege der über 50‘000 Kunstwerke und ein so genannter «Staging Room».

Links des heutigen Kunstmuseums soll ein Ersatzneubau entstehen und gleichzeitig die Hodlerstrasse verkehrsberuhig werden. Plan: Stadt Bern

Der Finanzierungsplan für das neue Kunstmuseum sieht vor, dass der Kanton Bern nur in der Höhe der ohnehin für die Sanierung anfallenden Kosten belastet wird. Dieser Betrag liegt bei 40 Millionen Franken. Die weitere Finanzierung soll durch die in Aussicht gestellten 20 Millionen von Hansjörg Wyss plus Beiträgen Privater, Stiftungen und der Wirtschaft in der Höhe von zusätzlichen 15 Millionen Franken erfolgen.

Zu den nächsten Planungsschritten gehört die Vorbereitung eines internationalen Architekturwettbewerbs für den geplanten Ersatzneubau. Die Geschäftsleitung hat eine umfassende Betriebskostenanalyse für den Neubau wie auch für den gesamten zukünftigen Betrieb erstellt. Die Lancierung kann erfolgen, sobald die technischen Abklärungen zum Einbezug der Hodlerstrasse 6 (Polizeikaserne) abgeschlossen sind. Damit ist im Frühling 2022 zu rechnen. Die Realisierung erfolgt zwischen 2026 und 2029 und ist auf die Bedürfnisse der Kantonspolizei abgestimmt, die einen Umzug in den Westen Berns plant. Der Philantrop ist sogar bereit, die verkehrspolitisch notwendigen Massnahmen mit zusätzlichen fünf Millionen Franken zu finanzieren.

Unabhängigkeit der Stadt in Gefahr?

Dass eine Privatperson ein Strassenberuhigungsprojekt der Stadt finanziell unterstützt, sei «einzigartig», sagt Berns Stadtpräsident Alec Graffenried. Er betont, dass das Projekt im Sinn des Gemeinderats und des Parlaments sei. Eine Einflussnahme des Spenders sehe er nicht. Differenziert tönt es bei der SP. «Wir finden es weniger bedenklich, wenn eine Einzelperson dieses politisch gewünschte Projekt finanziert, als etwa, wenn jemand eine Professur bezahlt und dort die Ausrichtung der Forschung bestimmt», so SP-Co-Präsidentin Meret Schindler.

Weniger positiv schätzt Thomas Fuchs, Präsident der Stadt Berner SVP, das Geschenk des «reichen Onkels aus Amerika» ein: «Die Stadt steht ja finanziell so schlecht da, dass sie das Angebot fast annehmen musste», so Fuchs. Es sei für Wyss natürlich von Vorteil, dass sein Anliegen «ein linkes» sei – und deshalb wohl politisch in der Stadt getragen werde. «Mäzene braucht es durchaus, die Frage muss aber erlaubt sein: Wie weit und wann lassen wir sie mitbestimmen?»

Titelfoto: Hansjörg Wyss vor dem Sitz einer seiner Stiftungen, dem Revival House in Washington D.C. Quelle: Erdeundleben.com

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3 Kommentare

  1. Wieso dieser Wirbel? Das Angebot von Wyss ist – im Gegensatz zu dem von Claire Zachanassian – weder unsittlich noch rechtswidrig. Die Stadt ist frei, es anzunehmen oder zurückzuweisen.

  2. …und im übrigen ist nicht Herr Wyss das Problem, sondern die Stadt Bern. Das im Gegensatz zum Eindruck, den man erhalten könnte, wenn man den Beitrag von Herrn Schibli liest.

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