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Natur und Künstlichkeit im Fokus

An einem aussergewöhnlichen Ort Zugänge zur Kunst zu ermöglichen, bietet die 7. Biennale «VORÜBER_GEHEND» im Kulturort Weiertal in Winterthur-Wülflingen, die noch bis 12. September besucht werden kann.

Der Bündner Kurator Luciano Fasciati, der die 7. Biennale im Weiertal zusammengestellt hat, schreibt im Katalog zur Ausstellung von einer «enormen Herausforderung», an diesem Kulturort mit idyllischer Parklandschaft eine Kunstbiennale zu realisieren. Ziel sei es gewesen, «eine vielschichtige Auseinandersetzung mit der Parklandschaft zu ermöglichen». Eingeladen hat er 20 Künstlerinnen und Künstler aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis, die bereit waren, sich auf die Aufgabenstellung an diesem speziellen Ort einzulassen.

Neue Perspektiven erfahrbar machen

Geboten werden unterschiedliche Kunstobjekte, die den tradierten Skulpturenbegriff mehrfach hinterfragen und sich den Besucherinnen und Besuchern nicht unbedingt auf Anhieb eröffnen. Es erfordert viel Denkarbeit, um die gezeigten künstlerischen Interventionen nachzuvollziehen. Doch der Aufwand lohnt sich. Neue Perspektiven werden erfahrbar gemacht, die zu weiterführenden Diskussionen anregen wollen. Hilfreich ist da der reich bebilderte Ausstellungskatalog, in dem Sereina Peer die einzelnen Werkbeiträge einfühlsam beschreibt. Hier eine Auswahl der gezeigten Werke:

Not Vital: Bale, 2018

Mit von der Partie sind bekannte Namen wie Not Vital und Roman Signer. Not Vital ist mit drei grossen weissen Ballen aus Stahl vertreten, die landwirtschaftlichen Heuballen gleichen. Deren Wahrnehmung soll zum Nachdenken über das Verhältnis zwischen Natur und Künstlichkeit anregen. Roman Signer hat in luftiger Höhe ein Kajakpaddel und ein Feuerhandschuh an einer Stange installiert. Die eigenwillige «Windfahne» symbolisiert für den Künstler die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft und soll auf ein «potentielles Ereignis» hinweisen.

Remo Albert Alig & Marionna Fontana: Scala Naturae, 2020/2021

Reto Boller, Bleibe, 2021

Goldgräberstimmung verspricht Pascal Kohts mit seiner Installation «Warten auf den Goldschiss» am Parkeingang. Wasser läuft durch die mit einem Gehege aus Stahlgittern eingefasste Goldschürfanlage. Nur der Goldesel fehlt. Eine Installation, die mehrere Interpretationsmöglichkeiten zulässt. Dazu zählen auch die aneinandergereihten farbigen Zelte unter Bäumen und Sträuchern von Reto Boller mit dem Titel «Bleibe», die gleichzeitig das Gefühl von Freiheit und Enge vermitteln und an die aktuellen Flüchtlingsströme gemahnen. Nicht zu übersehen ist die im Obstgarten fest verankerte und die Baumkrone überragende Holzleiter des Künstlerpaars Remo Albert Alig und Marionna Fontane. Betitelt ist das himmelwärts vergoldende Werk «Scala Naturae» und thematisiert – wie die weissen Ballen von Not Vital – die Divergenz zwischen Natur (Baum) und Künstlichkeit (Leiter).

Ein in die Erde verkrochener Baumstamm

Vielsagend ist die Installation «Loch» von Olga Titus, eine in der Erde verspiegelte Videoinstallation, die mit ihrem bunten Farbenspiel und ihrer magischen Sogwirkung fasziniert. Ebenso eindrücklich ist die Installation «Sleeping Tree» von Sonja Feldmeier aus Kunstharz. Ein Baumstamm hat sich zum Schlafen in die Dunkelheit der Erde verkrochen, an der Oberfläche sind bloss noch die künstlichen Wurzeln auszumachen, während im Innern der Erde ein schwaches Licht die Tiefe des Stammes erahnen lässt. Zum Sinnieren lädt auch die Installation «Der Schmerz am Rand der Geborgenheit» von Marianne Engel ein. Unter verschieden grossen, mit Gras halbwegs verdeckten Plexiglashalbkugeln breitet die Künstlerin ein Sammelsurium von persönlichen Gegenständen aus der Kindheit aus, darunter fluoreszierende Pilze, Schneckenhäuser und bunte Murmeln.

Marianne Engel: Der Schmerz am Rand der Geborgenheit, 2021

Sandro Steudler experimentiert mit der Idee von Architekturen im Untergrund. Im Weiertal präsentiert er mit dem Titel «Der Bau und Lichttrichter» eine wuchtige wellenartige Skulptur mit einem Trichter aus Stahl und Beton. Der Blick ins Innere des Trichters offenbart ein faszinierendes geometrisches Wechselspiel von Licht und Schatten, ermöglicht durch die lichtdurchlässige Betonoberfläche.

huber.huber, Funktionale Verstädterung – Städte voller Glück, 2021 (zvg)

Andrea Giuseppe Corciulo: Luna Park, 2021 (Fotos: Linus Baur)

Eher zum Schmunzeln regen die Werke «Funktionale Verstädterung – Städte voller Glück» von Reto und Markus Huber und «Luna Park» von Andrea Giuseppe Corciulo an. Das Künstlerduo huber.huber präsentiert im kleinen Weiher Kuben einer gläsernen Stadt, in denen Goldfische als Symbol des Glücks herumschwimmen. Andrea Giuseppe Corciulos bunter Marktwagen, vollgestopft mit Objekten aus Glas, Beton und Terracotta, steht verlassen am Rand des grossen Weihers und wartet auf Kundschaft. Beide Werke symbolisieren auf amüsante Art Momente der Verfremdung und Verwirrung.

Die meisten ausgestellten Werke kontrastieren ausgeprägt mit der sie umgebenden grünen Parklandschaft. Die deklarierte Einheit von Natur und Künstlichkeit gemahnt in mannigfacher Hinsicht an aktuelle Verwerfungen, denen unsere Gesellschaft ausgesetzt ist.


Die 7. Biennale Kulturort Weiertal dauert bis 12. September und ist jeweils Donnerstag bis Sonntag geöffnet.

Mehr unter Biennale Kulturort Weiertal

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