StartseiteMagazinGesellschaftZweimal Waldhaus im Engadin

Zweimal Waldhaus im Engadin

Ferien im Engadin gelten seit über einem Jahrhundert als Traumferien. Zwei Erstklasshotels – eins im Oberengadin, eins im Unterengadin, beide Waldhaus geheissen, standen für ihre Gäste aus aller Welt bereit. Nun gibt es sehr unterschiedliche Bücher zu diesen Luxusherbergen.

1989 ist das Grandhotel Waldhaus in Vulpera total abgebrannt. Es war Brandstiftung, der Fall blieb ungeklärt. Der letzte Hoteldirektor Rolf Zollinger hat 20’000 Karteikarten der Gäste von 1920 bis in die 1960er Jahre gerettet. Wenige Karten wurden einst in einer Ausstellung gezeigt, verschwanden jedoch bald, weil es darauf antisemitische Einträge gab.

Lithographie aus der Gründerzeit des Hotels Waldhaus in Vulpera.

Der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner, ein Kritiker des Massentourismus im Alpenraum, liess nicht locker, den Schatz, der kurz aus dunkler Vergangenheit aufgeblitzt war, zu heben, und konnte Zollinger am Ende überzeugen, dass diese Zeitzeugnisse die Grundlage für eine Publikation zum Leben im Grandhotel sind: Keine Ostergrüsse mehr! heisst das Buch. Wer möchte schon nicht wissen, was Hotelpersonal über ihre Gäste wirklich denkt?

Der «Preisdrücker» oder der «grobe Kerl», der es «arg mit Weibern» treibt, bekamen ebenso ihr Fett ab wie alleinreisende Damen, die sich Gigolos aufs Zimmer wünschten, Rappenspalter und Hochstapler. Das alles ist amüsant zu lesen, wäre da nicht der Antisemitismus, der auf den Karteikarten immer wieder aufscheint. Diese gesellschaftspolitische Dimension liefert erst den Grund, die Geschichte des Hotels Waldhaus in Vulperazu erzählen. Die Ostergrüsse waren die jährliche Werbebotschaft an die Stammgäste. Wer künftig unerwünscht war, bekam eben keine Ostergrüsse, was auf der Gästekarte vermerkt wurde.

Zwei unterschiedliche Bücher: «Keine Ostergrüsse mehr!» über die Gästekartei aus dem niedergebrannten Waldhaus Vulpera links, «111 Jahre Hotel Waldhaus Sils» über die Geschichte einer Familie über fünf Generationen rechts.

Ganz anders das Buch über das Waldhaus in Sils Maria, herausgegeben von Ex-Waldhaus-Ceo Urs Kienberger, Dokumentalist der Hotelgeschichte vom Aussuchen des Bauplatzes bis zur sechsten Generation, die jetzt ihre Kindheit im Hotel lebt. Es erzählt auch Geschichten von Gästen, grosses Thema ist aber die Hotelier-Dynastie mit ihrem «unvernünftigen Familientraum». In dem Buch, 2019 zum 111. Jubiläum erschienen, lässt sich nachlesen, dass die beiden Waldhäuser und deren Gründer, durchaus miteinander zu tun hatten. Um 1900 war Josef Wolflisberg, Teilhaber beim Waldhaus Sils, Hoteldirektor im Waldhaus Vulpera, wo später Alfred Kienberger als Chef de Réception wirkte. Man kannte sich, man half sich aus, man finanzierte mit. Wie es im Waldhaus Sils um den Antisemitismus stand, ist nicht bekannt. Eine Gästeliste von 1983, als Annex abgedruckt, liest sich wie ein Who is who des Adels, der Kultur und natürlich der Wirtschaft und Politik des letzten Jahrhunderts.

Erinnerungsfoto mit einem englischen Gast (rechts) und der Waldhausfamilie um 1950 vor dem Portal des Silser Waldhaus.

Sonst jedoch gilt, was die Gäste betrifft, Diskretion, dafür wird munter über die Hotelfamilie Giger – Kienberger – Dietrich und so weiter sowie deren Angestellte berichtet, wobei einige selbst mitschreiben. Walter Nana, Chef im Speisesaal, führte eine Kartei zu den Vorlieben und Abneigungen der Gäste. Er wusste auch, wer fünf Tage bleibt, kommt wieder. So wurden Stammgäste und Hoteliers zusammen älter, hatten Nachwuchs, und trafen sich jährlich für eine oder zwei Wochen.

Das Luxushotel im Unterengadin. Foto: R. Guler

Mit einem Konkurs Anfang der 80er Jahre schien das Schicksal des Waldhauses in Vulpera besiegelt. Eine gewinnorientierte Firma kaufte es und begann den Umbau ohne Rücksicht auf Verluste, bis die Denkmalpflege den Baustop durchsetzte. Nun übernahmen zwei Investoren aus der Region die Konkursmasse. Kurz bevor man wieder öffnen wollte, kam der Totalbrand. Es bleibt die Erinnerung.

Zusammen mit dem ehemaligen Hoteldirektor Rolf Zollinger, dem das Buch zur Kartei gewidmet ist, und der Kulturwissenschaftlerin Andrea Kühbacher firmiert Fotograf Hechenblaikner als Herausgeber. Zusätzlich zu den Faksimiles der gelblichen Karteikarten im A5-Format, wo nebst den aufschlussreichen Bemerkungen ganz normal Namen, Adresse, Daten der An- und Abreise sowie Zimmernummern und Preise verzeichnet sind, vermitteln Fotos vom Leben der mehr oder weniger hochgeschätzten Kur- und Feriengäste die Atmosphäre in Vulpera mit dem Kurbetrieb dank der verdauungsfördernden Luziusquelle.

In seiner nicht ganz hundertjährigen Geschichte hat das Waldhaus alles beherbergt, was damals Rang und Namen, aber auch Geld hatte: Es gibt Einträge zu Königin Wilhelmine der Niederlande, auch Fritz Kortner, Richard Tauber oder Friedrich Dürrenmatt waren da. Kurz nach dem Feuer wurde dieser der Brandstiftung bezichtigt, denn das Hotel hatte ihn zur Groteske vom Durcheinandertal inspiriert.

Es war beliebt bei Herren aus der Politik wie Theodor Heuss oder Izaak Weizmann oder Carl Jacob Burckhardt. Und das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden konnten in der diskreten Eleganz des Hotels Grossindustriellen und Banquiers. Jakob Goldschmidt habe 1933 «enorme Telefonrechnungen» gemacht, aber «unter Hitlers Regime nicht nach Deutschland zurück» können.

Andrea Kühbacher hat recherchiert und zu fast jeder Karte eine Kurzbiographie verfasst. Verwundert nahm die Kulturwissenschaftlerin zur Kenntnis, dass in der geschlossenen Welt des Grandhotels möglich war, was längst nicht mehr ging: In den 30er Jahren waren jüdische Stammgäste und überzeugte Exponenten der Nazi-Diktatur Zimmernachbarn: «Sie alle waren zwischen 1926 und 1945 Gäste im Waldhaus. Im Wissen, was sich in diesen Jahren noch alles abspielen werde, ist es eine verstörende Vorstellung des Nebeneinanders von Opfern und Tätern.» Zu letzteren zählten unter anderen der Schweizer Gesandte in Berlin Hans Frölicher, oder Erich Neumann, «Hohes Tier im Dritten Reich» wurde 1943 notiert und 1945 ergänzt: «Das Tier wird wohl kleiner geworden sein.»

Viele der Stammgäste kamen in den 30er Jahren ohne Absage nicht mehr. Auf den Karteikarten liest man parti – abgereist, oder auch mal verzogen, oder Ostergruss retour. Der Antisemitismus Stand auf den Karten zunächst im Klartext Jude, so wurden die jüdischen Gäste nach dem Holocaust mit Palästinenser oder steigerungsfähig abgekürzt als P, PP oder gar PPP bezeichnet. Da heisst es beispielsweise 1948: «PPP aber sonst eine nette Familie.»

Wo einst das Waldhaus in Vulpera stand, gibt es nun einen Park mit einem Gedenkstein an den einheimischen Gründer Duri Pinösch.

Wie das Personal in Sils oder in anderen Schweizer Hotelpalästen mit Juden oder Nazigrössen umgegangen ist, bleibt ein Forschungsthema. Die Randbemerkungen sind ein Hinweis auf das soziale Gefälle zwischen Gast und Personal und dokumentieren den Zeitgeist. Vor allem ist zu bedauern, dass den beiden lokalen Investoren, die den «Trümmerhaufen» 1983 erworben hatten, um fachgerecht zu restaurieren und mit Direktor Zollinger wieder zu eröffnen, nicht vergönnt war, den Phönix aus der Asche zu erwecken.

Titelbild: Der Hotelconcierge Urs Koller im Waldhaus Vulpera ist auch oberster Hüter der Gästekartei.
Sämtliche Bilder sind aus den genannten Büchern und urheberrechtlich geschützt bei den Verlagen Edition Patrick  Frey (Waldhaus Vulpera, Karteikarten) sowie Scheidegger & Spiess (Waldhaus Sils).

Lois Hechenblaikner, Andrea Kühbacher, Rolf Zollinger: Keine Ostergrüsse mehr! Die geheime Gästekartei des Grandhotel Waldhaus in Vulpera. Edition Patrick Frey, 2021. ISBN 978-3-907236-19-2

Urs Kienberger: 111 Jahre Hotel Waldhaus Sils. Geschichte und Geschichten zu einem unvernünftigen Familientraum. Scheidegger & Spiess, 2019. ISBN 978-3-85881-634-4

Ebenfalls lesenswert:
Jochen
Philipp Ziegelmann
: Waldhaus Vulpera: Geheimnisse eines Grandhotels. Verlag Books on Demand, 2020. ISBN 978-3-7504-2569-9

 

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