StartseiteMagazinGesellschaftDie Erfindung der Ungleichheit

Die Erfindung der Ungleichheit

In Erinnerung an den Frauenstreik und 50 Jahre Frauenstimmrecht: Zwei Bücher befassen sich mit der jahrhundertlangen Diskriminierung der Frauen, zeigen auf, wie Männer sich die Macht über Frauen nahmen und warum das jetzt aufhört. 

Zu meiner Zeit, als ich erwachsen wurde, in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, waren die Frauen ohne Stimm- und Wahlrecht und konnten, wenn verheiratet, bei der Bank kein Bargeld abholen, waren nicht «unterschriftsberechtigt», wie es damals hiess, also ohne Eigen- und Selbstständigkeit. Die Männerwelt dominierte das Leben, die Gesellschaft und natürlich die Politik. Das Patriarchat kam damals bereits etwas ins Wanken; aber erst im Jahre 1971 wurden die Frauen in einer Männerwahl als gleichberechtigt in der Politik anerkannt.

Zwei Bücher befassen sich nun eingehend mit der jahrhundertalten Diskriminierung der Frauen auf der ganzen Welt. Die deutsche Biologin Meike Stoverock schreibt unter dem Titel «Female Choice» über die Evolutionsbiologie der Tiere und Menschen sowie des Verhaltens von Männchen und Weibchen in Natur und Gesellschaft. Der biologische Charakter des Weibchens (früher auch bei Menschen) bleibt teilweise nur auf die Fortpflanzung reduziert und deshalb wird das «stärkste» Männchen für die Produktion des Nachwuchses ausgewählt.

Ein zweites Buch unter dem Titel «Die Wahrheit über Eva» von Zoologe und Anthropologe, Professor Carel van Schaik, seinerseits bis vor zwei Jahren auch Direktor des Instituts für Anthropologie an an der Universität Zürich, sowie von Historiker und Literaturwissenschaftler, Kai Michel, liefern eine religionshistorische Erklärung zur Frauenfigur der Eva. Dieser wird gemäss Bibel die ganze Schuld der Menschheit angelastet.

Die «frauenfeindlichen» Weltreligionen

Wie hatte doch der kürzlich verstorbene Schweizer Theologieprofessor Hans Küng, der beim Papst wegen seiner Thesen (die «Unfehlbarkeit des Papstes) in Ungnade fiel und sein Lehramt in Tübingen verlor, bereits in den frühen sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts formuliert: «Alle Religionen der Welt haben ein Problem: mit den Frauen. Das ist tragisch, aber ein Faktum.» Zu diesem kritischen Thema nehmen die beiden Bücher kompetent und ausführlich Stellung – zugunsten der Frauen natürlich.

In der Natur müssen Männchen singen, tanzen, kämpfen, bauen, während die Weibchen die Show geniessen und anschliessend mit dem Sieger abziehen. Die Konkurrenz liegt bei den Männchen. Das Prinzip nennt man «Female Choice». Für die Sexualität der Männer hatte das zu Jäger- und Sammlerzeiten gravierende Auswirkungen: Rund 70% des «starken» Geschlechts blieben bei der «Damenwahl» unberücksichtigt.

Bei den Menschen wurde dieses Prinzip nach der Entdeckung des Ackerbaus ausgehebelt. Es entstand eine Welt, die von Männern für Männer gemacht ist. Doch so wird es nicht bleiben. Meike Stoverock, promovierte Biologin, bürstet mit Verve und breitem Wissen die männliche Zivilisation biologisch und feministisch gegen den Strich.

Männliche Weltordnung wankt

Erst seit – evolutionsbiologisch – sehr kurzer Zeit können Frauen die Welt mitgestalten. Dazu brauchte es auch einmal das Frauenstimm- und Wahlrecht. Und sie sind nicht bereit, die männliche Welt einfach so hinzunehmen. Für progressive, gesellschaftliche Veränderungen heute sind deshalb weltweit fast immer Frauen verantwortlich. Die männliche Weltordnung gerät ins Wanken und die Männer merken das. Überall formiert sich männlicher, zum Teil gewaltbereiter Widerstand. Was nun? Mit einer bestechenden Verbindung aus Biologie, Kulturgeschichte und einem ebenso klaren wie humorvollen Ton beschreibt Meike Stoverock nicht nur, wo die Menschheit vor über 10 000 Jahren falsch abgebogen ist, sondern auch, was sich ändern muss, damit Mann und Frau heute miteinander glücklich werden.

Die Wahrheit über Eva

Wer hat Angst vor der «Evolution»? So klug und engagiert heute über Diskriminierung debattiert wird, fällt auf, dass eine der wichtigsten Fragen ausgeklammert wird: Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass Frauen um Gleichberechtigung kämpfen müssen? Zweitausend Jahre lang lieferte die Bibel die Antwort: Weil Eva eher der Schlange als Gott vertraute, müssen all ihre Nachfahrinnen den Männern untertan sein. Auch die Biologie schob lange den Frauen die Schuld zu: Sie seien nun mal das schwache Geschlecht. Kein Wunder, dass sich ein Eva-Tabu etablierte und seither die Evolution gemieden wird. Es könnte ja sein, dass etwas an der herrschenden Ungerechtigkeit «natürlich» wäre. Von wegen! Die Wahrheit über die biblische und die biologische Eva zeigt: Ohne die Frauen ist der Erfolg unserer Spezies nicht zu verstehen. Und ihre Unterdrückung war alles andere als Normalität. Die solidarische, wenn auch immer delikate Beziehung der Geschlechter ist unser evolutionäres Erfolgsgeheimnis.

Christentum: Wandel von «frauenfreundlich» zur «Herrschaftsreligion»

Carel van Schaik und Kai Michel nehmen in ihrem neuen Buch zwei Millionen Jahre Menschheitsgeschichte in den Blick. Sie zeigen, wie sich die Beziehung von Frauen und Männern entwickelte und was sie massiv ins Ungleichgewicht brachte. Interessant ist, dass zu Beginn der christlichen Ära die Frauen auch als Predigerinnen und Gemeinde-Vorsteherinnen wirkten. Gerade weil die Frauen in den christlichen Urgemeinden «gleichberechtigt» wirken konnten, begann sich das Christentum erfolgreich zu etablieren, wurde aber unter dem Einfluss der damals existierenden «Männer dominierten Herrschaftsgesellschaften» wie der Römer und Griechen umfunktioniert.

Neue Einsichten aus Evolutionsbiologie, Genetik, Archäologie, Ethnologie und Religionswissenschaft erhellen den komplexen Prozess, der die Frauen ins Leid stürzte, aber auch den Männern alles andere als gut tat. Die Autoren studieren das Verhalten unserer Primaten-Verwandtschaft, inspizieren fantastische Steinzeitheiligtümer und durchforsten die Bibel. Sie zeigen, warum Treue eine männliche Erfindung ist und wieso Sexualität verteufelt wurde. Sie enthüllen, was bis heute Ehe, Familie und die Sphären der Macht kontaminiert. Die Wahrheit über Eva kann helfen, die Misere der Geschlechter endlich zu beenden.

Carel van Schaik & Kai Michel: «Die Wahrheit über Eva», Rowohlt Verlag, Hamburg

 

 

 

 

 

Meike Stoverock: «Female Choice – Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation», Verlag Tropen/Klett-Cotta, Stuttgart

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