1 KommentarVom Umgang mit dementen Angehörigen - Seniorweb Schweiz
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Vom Umgang mit dementen Angehörigen

In Angehörigen- und Selbsthilfegruppen, in Sprechstunden sowie Kursen von Gemeinden, bei Alzheimer Schweiz, Pro Senectute und ausgewählten Altersheimen oder bei Hausärzten holen sich Angehörige von Menschen mit Demenz wichtige Informationen über die Betreuung und Pflege ihrer Lieben. Seniorweb hat in Muri-Gümligen (Bern) einen Kurs besucht.

In der Schweiz leben derzeit rund 150 000 Menschen mit Alzheimer oder einer anderen Form von Demenz. Das sind knapp zehn Prozent der über 65-Jährigen. Bei den über 90-Jährigen sind es sogar 41 Prozent. Nur: Nicht jede Gedächtnisschwäche oder neurologische Instabilität ist der Krankheit Demenz zuzuschreiben. Eine einfache Altersvergesslichkeit, eine momentane Verwirrung oder eine Depression sind nicht Demenz. Die Abgrenzung überlässt man am besten geschulten Fachleuten.

Wer das Passwort vergisst, ist nicht automatisch dement.

Wenn Gehirnzellen absterben, ist der Alltag in der Familie zunehmend gestört. Das Versagen von Gehirnfunktion äussert sich in Sprachstörungen, Bewegungsstörungen, Erkenntnisstörungen oder verlorener Handlungs- und Planungskompetenz. Nach Aussage der diplomierten Erwachsenenbildnerin HF und Pflegefachfrau HF, Christine Hergert, die den Kurs in Muri-Gümligen leitete, sind die häufigsten Symptome einer Demenzerkrankung:

  • Gedächtnisverlust mit Beeinflussung des täglichen Lebens
  • Schwierigkeiten beim Erledigen vertrauter Aufgaben
  • Orientierungsstörungen von Zeit und Ort
  • Probleme mit der visuellen und räumlichen Vorstellung
  • Verlegen von Dingen
  • Verlust der Fähigkeit, Dinge nachzuvollziehen
  • Schlechtes oder geschwächtes Urteilsvermögen
  • Rückzug aus dem beruflichen Umfeld und von sozialen Aktivitäten
  • Veränderung von Stimmungslagen und Persönlichkeit
  • Probleme mit dem Sprechen und Schreiben
  • Schwierigkeiten beim abstrakten Denken.

Flipchart von Christine Hergert zu Symptomen und Herausforderungen im Umgang mit dementen Menschen. Foto PS

Auch bei weiteren Symptomen kann eine hausärztliche Abklärung von Vorteil sein. Dazu gehören: Dehydration, Mangelernährung, chronische Verstopfung, Depression, regelmässige Infektionen der Harnwege, häufige Schmerzen, Seh- und Höreinschränkungen.

Bei einer Demenzabklärung durch den Hausarzt wird eine gründliche körperliche Untersuchung vorgenommen, um Ursachen auszuschliessen, welche demenzähnliche Symptome hervorrufen können: Zum Beispiel eine Depression, Schilddrüsenprobleme, Nebenwirkungen von Medikamenten. Weiter kommen laut der Demenzexpertin der Uhrentest und ein Mini-Mental-Test zur Anwendung. Selbstverständlich ist ein ausführliches Gespräch mit den nächsten Angehörigen Teil der Abklärung. Hat der Hausarzt Zweifel oder formuliert er sogar eine Demenzdiagnose, dann werden weitere Abklärungen in einer «Memory-Klinik» oder bei einem Neurologen empfohlen.

Amerika oder Tante Erika? Wenn bestimmte Begriffe nicht mehr korrekt zugeordnet werden können.

Mit einer Demenzerkrankung verändert sich das Verhalten der Patientin oder des Patienten. Für Angehörige ist diese Entwicklung mit grossen Herausforderungen verbunden. Christine Hergert nennt Misstrauen, Weglaufen, verbale Wiederholungen, Unruhe und Angst, dann aber auch zunehmende Enthemmung oder Aggression sowie Anschuldigungen als bekannte Beispiele. Entsprechende Reaktionen führen bei Angehörigen oft zu Verunsicherung, Ohnmacht und manchmal auch zu Unverständnis.

Die Kommunikation von Menschen mit Demenz kann zu komischen Situationen führen.

Wie soll man sich gegenüber dementen Menschen verhalten? Eine bewährte Strategie ist laut der Referentin, diese für einfache Aktivitäten zu gewinnen, den kranken Menschen leichte Aufgaben zu geben, sie um Mithilfe zu bitten und ihnen notfalls die gewünschte Tätigkeit auch vorzuzeigen. Das Verhalten von Menschen mit Demenz kann bis zu einem gewissen Grad gelenkt werden, indem man das Umfeld verändert, sie ablenkt, ihnen Wahlmöglichkeiten lässt und sich bei Anschuldigungen explizit entschuldigt. Solche Reaktionen können zu einer vorübergehenden Entspannung führen.

Verwechslungen und Missverständnisse gehören zu den bekannten Symptomen.

In der Praxis bewährt hat sich auch eine verstärkte Biografiearbeit. Durch das Erzählen gemeinsamer Erlebnisse aus der Vergangenheit oder das Betrachten von Fotoalben werden schlummernde Emotionen angesprochen, denn das Herz ist nicht dement. Über Gefühle kann es gelingen, bestehende Beziehungen zu stärken und Brücken zu Angehörigen zu bauen, die sich wegen der Krankheit geistig entfernt haben.

Wienerschnitzel oder Wienerwalzer?

Wichtig ist, dass sich betreuende Angehörige im Umgang mit dementen Familienmitgliedern nicht überfordern oder sogar überbelasten. «Rechtzeitig professionelle Hilfe holen» lautet der Ratschlag von Christine Hergert. Fach- und Beratungsstellen vermitteln Institutionen mit Ferienbetten oder der Möglichkeit zu Tagesaufenthalten. Der Beizug einer Spitex-Kraft, einer Putzfrau oder einer Einkaufshilfe kann eine wirksame Entlastung bringen. Gemäss der Erfahrung der Referentin warten Angehörige in der Regel zu lange, bevor sie Hilfe holen. Ein Faktor ist das schlechte Gewissen. Deshalb ist es für Christine Hergert wichtig, dass Lösungen gefunden werden, die für die Patientin, den Patienten, aber auch für die Angehörigen stimmen. Eine weitere Empfehlung lautet, sich mit Angehörigen austauschen, die ebenfalls Menschen mit Demenz betreuen. Dann spürt man, dass man nicht allein ist.

Die Anrede wird zur Glückssache.

Der Kurs fand am 27. Oktober 2021 im Alters- und Pflegeheim Buchegg in Muri-Gümligen statt und wurde organisiert von der Fachstelle für Altersfragen der Gemeinde Muri / Bern und dem Pflegedienstleister «Home Instead Seniorendienste Schweiz AG». Nach Angabe von Patrizia Penella, Leiterin der Fachstelle für Altersfragen, führt die Gemeinde seit 2018 pro Jahr mindestens zwei solche Kurse durch.

Die Cartoons von Peter Gaymann (Köln) stammen aus dem Taschenbuch «Demenz-Anekdoten und Cartoons zum Schmunzeln», zusammengestellt vom Kompetenzzentrum Demenz, Domicil, Bethlehemacker, herausgegeben vom Werd & Weber Verlag Thun/Gwatt. ISBN 978-3-85932-961-4

Bücher zum Thema Demenz

– 100 Fragen zum Umgang mit Demenz, Ingrid Hametner, ISBN 978-3-89993-816-6

– Das Herz wird nicht dement, Udo Baer&Gabi Schotte-Lange, ISBN 978-3-407-85966-2

– Vergiss mein nicht, David Sieveking ISBN 978-3-451-06528-6

– Still Alice, Lisa Genova ISBN 978-3-404-27115-3

– Der alte König in seinem Exil,  Arno Geiger  ISBN  978-3-446-23634-9

– Da und doch so fern, Pauline Boss ISBN 978-3-907625-74-3

– Beschäftigung und Aktivitäten mit alten Menschen, Gisela Mötzing ISBN 978-3-437-25622-6

– Dement, aber nicht bescheuert, Michael Schmieder, ISBN 978-3-550-08102-6

– Demenz, Irene Bopp-Kistler ISBN 978-3-9076257-90-3

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