Wie der Mensch seine Welt gestaltet «Making the World», unter diesem Motto haben die beiden Basler Museen, das Kunstmuseum und das Museum der Kulturen, je eine Ausstellung zusammengestellt, inspiriert durch Leihgaben vom anderen Museum. Das Kunstmuseum zeigt nun: «Spirituelle Welten».
Im letzten Frühjahr hatte das Museum der Kulturen mit Gelebte Welten begonnen und ausgewählte Leihgaben – alte und zeitgenössische Werke – des Kunstmuseums mit ethnologischen Werken aus der eigenen Sammlung in Beziehung gesetzt. Entstanden war eine ebenso anregende wie horizonterweiternde Präsentation, eine alte mexikanische Stabkarte zum Beispiel bot einen Vergleich an mit einem Gemälde von Paul Klee.
Die Besucherin war sehr gespannt, wie das Kunstmuseum diese Schau «beantwortete». Hier hatte Kurator Bodo Brinkmann den Fokus auf Kunst und ihre religiöse Ausrichtung in der Deutung der Welt gelegt. Europäische und aussereuropäische Werke treffen in beiden Teilen von Making the World aufeinander. Im Kunstmuseum werden Spirituelle Welten in vier Kapiteln dargestellt: Höhere Wesen, Anfänge, Übergänge und Abwesendes. Viele ausgewählte Objekte verweisen auf alte Mythen und Kulte, die heute noch gepflegt werden, und regen dazu an, sich bewusst zu machen, wie vielfältig die spirituellen Vorstellungen der Völker sind, und zugleich zu erkennen, dass hinter allem eine tiefe Sehnsucht nach Sinn und einer höheren Einheit steckt.
Die Vertreibung aus dem Paradies
Johann Heinrich Füssli (1741-1825), der Schweizer Maler, der seinen Erfolg vor allem in England erlebte, malt den Moment der Vertreibung aus dem Paradies, malt Adam und Eva – erstaunlich, ohne das berühmte Feigenblatt, im Moment der Flucht schon verloren. Die Nacktheit erlaubt dem Maler, die Gefühle der beiden ausdrucksstark und doch subtil darzustellen. Zudem konzentriert sich Füssli total auf die Vertriebenen und den feurig glühenden Engel, den Vollstrecker von Gottes Verdikt. Füsslis Talent zur dramatischen Szene erkennen wir deutlich.
Johann Heinrich Füssli, Die Vertreibung aus dem Paradies. London 1802. Öl auf Leinwand.
Payas (Pierre Sylvain Agustin), Adam und Evas Sündenfall. Haïti, vor 2000.
Das Gemälde des Haïtianers Pierre Sylvain Agustin (genannt «Payas», geb. 1941), schildert den Moment vor der Vertreibung: Der Sündenfall von Adam und Eva. Das Feigenblatt fehlt auch hier, Adam und Eva tragen rote Röcke. Hinter ihnen erhebt sich in strahlendem Weiss der «Herr der Ordnung» – mit den Wundmalen des gekreuzigten Christus. Um eine genaue Interpretation geht es dem Maler nicht. Seine Geste wirkt zwiespältig: zugleich bedrohlich (auf die Vertreibung bezogen) und beschützend (das Erlösungsversprechen des auferstandenen Christus). Die Schlange der Versuchung windet sich – überwunden, so scheint es, – am Boden.
Der Mythos Frau und Erdverbundenheit
Um ihr Volk an die Urbarmachung der Erde zu erinnern, schnitzten die Menschen in Papua-Neuguinea immer wieder Figuren. Die hier gezeigte stellt wahrscheinlich eine der beiden mythischen Schwestern dar, die für die Menschen die Erde bewohnbar machte und ihnen die Sagopflanze schenkte.
links: Figur einer mythischen Schöpferfrau. Inyai-Ewa (Mittelsepik, Papua-Neuguinea) vor 1968. Holz, Pigmente.
rechts: Hans Arp, Torse préadamite. Clamart, 1938; rosa Kalkstein.
Jean Arp nennt seine Skulptur Präadamitischer Torso. Damit bezieht er sich schon im Titel auf die Ursprünge der Menschheit und der Kunst. Es sind die schwellenden Formen von neolithischen Statuetten, die gerade in jenen Jahren wiederentdeckt worden waren. Da damals die Fotografie ebenfalls wachsende Verbreitung fand, wurden solche Funde schnell bekannt, besonders für die jungen Künstler, die sich von der althergebrachten Akademie-Kunst lösen wollten.
Geboren werden
Diese Maske wurde von Ndolo, einem Künstler in Kongo (Brazzaville) angefertigt, wahrscheinlich in den Jahren vor 1938, als der Sammler Hans Himmelhuber sie erwarb. Sie stellt eine Geburt dar, der Kopf des Kindes ist zwischen den Beinen der Frau schon zu sehen. Die Maske wird jungen Männern am Ende ihrer Initiationszeremonie gezeigt, sie gehört in den umfangreichen Einweihungszyklus, den der Jugendliche auf seinem Weg zum Mann durchlebt. – Leider ist über die entsprechenden Zeremonien für junge Mädchen nichts zu erfahren, mindestens nicht in dieser Ausstellung.
Ndolo, Schnitzer, Maske Mbaala, Kabangu, Kongo (Brazzaville). Holz, Pflanzenfaser, Pigmente (vor 1938)
Der Tod
Zwei Werke, die den Tod als Mahner zeigen, stammen aus der Schweiz: Eine Hinterglasmalerei aus dem Toggenburg, entstanden um 1820, und ein Gemälde des grossen Hans Baldung Grien (1484/85-1545), Der Tod und das Mädchen. Im Spätmittelalter waren Totentänze verbreitet. Der Spruch «Mitten im Leben sind wir vom Tode umgeben», drückt es aus, er gehört in jene Epoche. Das Skelett, das Stundenglas oder der Tod, dargestellt als vom Zerfall gezeichneter Leichnam, im europäischen Raum des Mittelalters ist dies alles den Menschen sehr geläufig.
Memento mori. Eglomisé (Hinterglaszeichnung). Toggenburg, um 1820; daneben: Hans Baldung gen. Grien, Der Tod und das Mädchen. Strassburg 1517.
Künstlerischer oder spiritueller Gehalt
Die Objekte des Kunstmuseums sind unzweifelhaft Kunstwerke, auch im Museum der Kulturen werden viele Kunstwerke gesammelt. Die Menschen, die diese Werke geschaffen haben, ziehen sich oft hinter ihr Werk zurück. Sie arbeiten meist nach vorgegebenen Quellen.
Thangka (buddhist. Rollbild), Shambala, Ende des 18. Jh.
Bei den tibetischen Thangkas ist genau vorgeschrieben, was dargestellt werden muss. Ein Thangka, das Shambala darstellt, kann nicht als Abbild eines mythischen Paradieses bezeichnet werden. Denn es dient nicht der Illustration kommenden Wohlseins, sondern als Meditationshilfe. Shambala ist kein Paradies, sondern ein Bewusstseinszustand, auf den sich der meditierende Mensch geistig vorbereitet. In der buddhistischen Tradition ist ein Thangka kein «Bild», das man sich an die Wand hängt. Es hat einen «Vorhang», der nur dann kunstvoll gerafft wird wie hier im Museum, wenn die entsprechende Meditation angesagt ist.
Diese Werke mit einer spirituellen Aussage, seien sie aus Asien, Afrika, Amerika oder aus unserem Kulturraum, haben – neben ihrem Wert als Kunstwerk – einen immateriellen Wert, den einzuschätzen uns schwerfallen mag. Dann bleibt nur Ehrfurcht vor verborgener Weisheit und die Erkenntnis der Grenzen unseres Wissens. – «. . . und sehe, dass wir nichts wissen können» lesen wir in Goethes Faust.
«Making the World – Spirituelle Welten» im Kunstmuseum Basel bis 24. April 2022.
«Making the World – Gelebte Welten.» im Museum der Kulturen Basel (bis 23. Januar 2022)
Titelbild:
links: Niklaus Manuel gen. Deutsch (ca. 1484-1530), Hl. Anna selbtritt und Hl. Jacobus d.Ä. und Hl. Rochus als Fürbitter für die von der Pest geplagte Menschheit. Bern um 1514/15. Ungefirnisste Tüchleinmalerei.
rechts: Medizinbuddha, Japan, um 1900, Holz, vergoldet, Metall, Glas. (alle Fotos mp)