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Faltenrock und Stickerei

Das Völkerkundemuseum der Universität Zürich zeigt erstmals Textilien von Miao-Gesellschaften aus Südwest-China. Ausgehend von fast 400 Kleidungsstücken, Stoffen und Werkzeugen thematisiert die neue Ausstellung «VielFalt» die Vielschichtigkeit des textilen Wissens und Könnens von Miao-Frauen. Und sie macht deutlich, dass die atemberaubenden Farben, Muster und Materialien weit mehr sind als eine dekorative Augenweide.

Die Ausstellung «VielFalt» beginnt nicht mit augenfällig bunten Stickereien. Stattdessen betreten die Besucherinnen und Besucher eine Box, die vollständig mit indigogefärbten Stoffen ausgekleidet ist: dem Grundmaterial der Kleidung von Miao-Gesellschaften in Südwest-China. Gestaltet hat diesen Eingangsraum Karola Kauffmann, Berufshandweberin, Textilkünstlerin und ehemalige Besitzerin der ausgestellten Sammlung. «Die unterschiedliche Oberflächenbeschaffenheit und die subtilen Nuancen der Blau-, Violett- und Kupfertöne sollen die Wahrnehmung schärfen, so dass bei den darauffolgenden Exponaten ein Blick hinter die berückenden Oberflächen möglich wird», so Kauffmann.

Stoffmütze aus schwarzem Baumwollsamt mit Stickereien und Applikationen aus farbiger Seide. Ein Aufsatz in Drachengestalt ziert den Scheitel der Mütze. In der Mythologie der Miao-Gesellschaften verbindet sich damit die Vorstellung von Fruchtbarkeit, Gedeihen und Schutz.

Wie vielfältig die Bekleidungskultur der Miao-Gesellschaften und das damit verbundene Textilhandwerk sind, wird im ersten Ausstellungsraum deutlich. Die Besucherinnen und Besucher lernen verschiedenste Stick-, Falt- und Applikationstechniken kennen und können einige selber ausprobieren. Über die Dauer der Ausstellung entsteht so ein gemeinschaftlich angefertigtes neues Werk.

Zwei zeitgenössische Stickereien aus Baumwolle, bestickt mit farbiger Seide in der Flachstich-Technik. Dargestellt sind Szenen aus dem Textilhandwerk der Miao-Frauen.

Verschiedene Exponate veranschaulichen die Wandlungsprozesse, die das Handwerk durchläuft: Zur Aufbewahrung der Näh- und Stickutensilien dienten früher Handarbeitsmappen mit elaboriert gefalteten und farbig bemalten Fächern. Heute sind auch Sticksets erhältlich, die genau abgemessene Faden- und Stoffmengen sowie Schritt-für-Schritt-Anleitungen enthalten.

Dieses Nebeneinander ist bezeichnend für die zeitgenössische Miao-Textilkultur und wird in der Ausstellung in einer für die Provinz Guizhou typischen Marktszene erlebbar. Das hier präsentierte Angebot umfasst die ganze Bandbreite: von der spezialisierten Sticknadel bis zum fertigen Kleidungsstück, von der maschinell bestickten Kunstseide bis zur handgenähten Seidenapplikation auf Baumwollstoff.

Faszination für Reisende einst und jetzt

Der Durchgang zwischen dem ersten und dem zweiten Ausstellungsraum widmet sich aus textiler Perspektive der Aussenwahrnehmung der Miao-Gesellschaften über die Zeit. Erst seit 1949 wird der Begriff «Miao» für verschiedene ethnische Minderheiten verwendet, die heute vorwiegend in der Provinz Guizhou leben. Neben sprachlichen Gemeinsamkeiten eint diese Gesellschaften ihre aufwändig hergestellte Kleidung.

Indigogefärbte Baumwolljacke. Das Rückenteil ist mit Seidenfilz-Applikationen verziert, die, ihrerseits mit farbiger Seide bestickt sind.

Seit Jahrhunderten zieht die textile Vielfalt der Region die Blicke von Reisenden, Literaten und kaiserlichen Beamten auf sich. Dazu präsentiert die Ausstellung drei Beispiele aus verschiedenen Epochen: alte illustrierte Werke für den Kaiser, sozialistische Neujahrsbilder der 1950er Jahre und zeitgenössische Touristenfotografien von kulturellen Anlässen.

Selbstdarstellung mit Nadel und Faden

Im zweiten Teil der Ausstellung werden die textilen Fertigkeiten der Miao-Frauen Schicht für Schicht durchdrungen. In einer Auswahl von Kinderkleidern lassen sich, einem Repertoire gleich, sämtliche Web-, Stick-, Applikations- und Färbe-Techniken nachvollziehen – jedes Material ist gezielt gewählt, jedes Motiv bewusst platziert.

Kragen für Kleinkinder aus verschiedenfarbiger Baumwolle in Leinwandbindung. In ihren Arbeiten kombinieren Miao-Frauen oft Funktion mit Ästhetik: etwa in Zierstichen, die zugleich Oberstoff, Steifeinlage und Unterstoff zusammenhalten.

Dieser Kindergarderobe stehen 16 Varianten des typischen in unzählige Falten gelegten, indigogefärbten Rocks gegenüber – in jeweils unterschiedlichen Stadien der Verarbeitung. Der Faltenrock bildet das verbindende Kleidungsstück aller Miao-Frauen und braucht – je nach Dichte der Falten – beträchtliche Mengen an Material.

Zwei Kinderschürzen mit angearbeiteten Kragen. Die Raffinesse der filigran gestickten Motive offenbart sich, wenn man sie mit der Tragweise der Schürzen zusammendenkt.

Zwischen diesen zwei zentralen Bestandteilen der Miao-Bekleidungskultur lädt ein Rundgang dazu ein, sich mit Herstellungsprozessen, Färbetechniken, Stil- und Gestaltungsmitteln zu befassen und in das enorme materialtechnische Wissen und handwerkliche Können einzutauchen, das hinter den berückenden Farb- und Musterexplosionen steht.

Detail eines Zierteils, das auf Jacken, etwa am Kragen oder vorne, längs der Öffnung, angenäht wird.

«Jedes Stück ist ein Unikat, mit dem die Trägerin etwas vermittelt», erklärt die Sinologin und Ausstellungskuratorin Martina Wernsdörfer. «Wohlstand, soziale Stellung und regionale Zugehörigkeit werden durch die Kreationen ebenso ausgedrückt wie individueller Geschmack und Einfallsreichtum.» Dabei nimmt die Ausstellung auch technische und soziale Wandlungsprozesse der Gegenwart mit in den Blick und regt dazu an, über deren Vielfalt nachzudenken.

Titelbild: Drei Faltenröcke aus indigogefärbter Baumwolle in Leinwandbindung, verziert mit Stickereien und Applikationen. Der Faltenrock erscheint in unzähligen Variationen, bleibt in seiner Grundform aber stets erkennbar.
Bilder: Kathrin Leuenberger 2021 © VMZ UZH) 

Bis 15. Januar 2023

«VielFalt – Textiles Wissen von Miao-Frauen in Südwest-China»
Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich
Pelikanstrasse 40, 8001 Zürich
12. Dezember 2021 bis 15. Januar 2023
Di, Mi, Fr 10–17, Do 10–19, Sa 14–17, So 11–17 Uhr

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1 Kommentar

  1. Anlässlich meiner China-Filmreise, 1987, hiessen Ihre Miao genannten Völker noch Meo, die Kleider sind die selben. Wir legten in fünf Wochen 32.000 km zurück; Dokumentarfilm für Fa. Kuoni: «Minderheitenstämme in China» Es war eine wunderbare, hochinteressante Reise, nur zu Zweit ab Zürich: Dokumentarfilmer Eduard Klein und ich, Lotti Heller, als Toningenieur. In Beijing trafen wir unseren Dolmetscher Wang Fu-De, der uns stets begleitete und «Brücken baute». Uns stand in jeder Stadt jeweils ein Kleinbus mit Chauffeur und der Leiter des örtlichen Reisebüreaus und seinem Assistenten zur Verfügung. Wang hatte deutsch im Goethe Institut erlernt und verfügte über einen entsprechenden Wortschatz. Da ich zuvor ein Jahr in Thailand gelebt hatte, sprach und verstand ich einigermassen Han-Chinesisch. Die Meo haben eine andere Sprache welche uns ein zusätzlich angeheuerter Dolmetscher übersetzen konnte. Es war ein grosses Abenteuer!

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