StartseiteMagazinLebensart"Mir gefällt es, fremd zu sein"

«Mir gefällt es, fremd zu sein»

Ferne Länder und fremde Völker erkundet der Sprecherzieher Werner Geiger seit jungen Jahren. Jetzt, nach der Pensionierung, hat er noch mehr Zeit für Entdeckungen rund um den Globus.

Dem Zürcher Werner Geiger begegnete ich per Zufall in Berlin, wo er bei einem Literaturfestival fotografierte. Von Beruf ist er Stimmcoach und Kommunikationstrainer, seine Leidenschaft ist Fotografieren. Auf Flickr, wo er seine Bilder zeigt, ist demnächst der vierzigmillionste Klick fällig. Fotografieren passt zu seiner zweiten Passion, dem Reisen.

Seniorweb: Berlin war wohl eher Ausflug als Reise für Sie?

Werner Geiger: Ja, zwei Wochen sind für mich ein eher kurzer Aufenthalt. Ich bin gerne länger unterwegs, ein Monat oder drei Monate. Und am liebsten reise ich dorthin, wo ich richtig fremd bin, wo ich die Sprache nicht verstehe und mir die Kultur nicht vertraut ist. Dorthin, wo ich mich neu orientieren muss, wo ich Neues lernen muss.

Sie steigen also in ein Langstreckenflugzeug, kommen in einer fremden Stadt an und dann?

Seit neun Jahren, seit ich pensioniert bin und frei von Verpflichtungen, bin ich oft so vorgegangen: Ich buche einen Flug in eine Megacity wie Tokio, Mumbai, Hanoi oder Mexiko City und einen Rückflug, etwa drei Monate später. Für die erste Zeit miete ich im Zentrum dieser Grossstadt eine Wohnung.

Japanreise 2015: Bauernhäuser im historischen Dorf Shirakawa-Go.

Von dort aus erkunde ich zu Fuss meine neue Umgebung, nehme die Atmosphäre der neuen Stadt auf, lerne ein paar Wendungen der neuen Sprache, esse, was man da so isst, und ich lerne Leute kennen, die mir erzählen, was ich als Fremder in ihrem Land sehen und erleben sollte.

Also sind Ihre Weltreisen eine Fahrt ins Blaue?

Natürlich bereite ich mich auf meine Reisen auch vor, aber ich bleibe so offen wie möglich. Vor der Japanreise zum Beispiel las ich eine Kulturgeschichte Japans, speziell über Shintoismus.

Oder vor meiner Ägyptenreise im vergangenen Jahr las ich wieder Nagib Mahfus. Solche Einstimmungen bedeuten mir oft mehr als ein konventioneller Reiseführer, weil ich mich vor Ort inspirieren und überraschen lassen möchte.   Nachdem ich in der neuen Stadt angekommen bin und mich einigermassen zurecht finde, miete ich gern ein Auto, wähle ein nächstes Ziel und fahre los…

…um notfalls im Auto übernachten zu müssen?

In Australien ja, da hatte ich ein Klappzelt auf dem Dach. Aber in der Regel weiss ich, wo am Abend ein Bett und eine Dusche auf mich warten. Vor 50 Jahren war ich oft mit meinem Renault 4 unterwegs. Da hatte ich den Schlafplatz überall dabei.

Sie waren so oft unterwegs, lernten vieles kennen: Gibt es Länder, die Sie lieber mochten als andere?

Nicht eigentlich. Wahrscheinlich könnte ich mich mit jedem Land anfreunden, mit der Schweiz ist mir das ja auch gelungen. Einige Länder haben mich enorm überrascht, weil sie mir vorher sehr fremd erschienen. Iran zum Beispiel, da bin ich so viel Herzlichkeit und so schönen Menschen begegnet und der Architektur und der Poesie des alten Perserreiches.

Fast immer fotografiert Werner Geiger selbst, hier eine der seltenen Ausnahmen: Eingeladen zum Picknick im Laleh Park in Teheran.

Nochmals Persienreise: Eine Szene aus Yazd. Die Metropole ist die grösste Wüstenstadt des Iran.

Oder Taiwan, wo ich mir nach den paar Wochen vorkam wie in der Schweiz, so vieles mutete vertraut an, sogar das Taiwanesische. Ich bin überfragt, wenn mich jemand allgemein nach Reisetipps fragt. Mich fasziniert das Reisen an sich, ich staune gerne, mir gefällt es, ‹fremd› zu sein.

Ihre Reisen sind nicht gratis. Wo nehmen Sie das Geld her?

Ich verbrauche auf einer Reise in der Regel nicht mehr Geld, als was ich in der gleichen Zeit in Zürich ausgeben würde. Unser Franken ist in fast allen Ländern viel wert, ich übernachte in einfachen Hotels und esse dort, wo ’normale Leute› essen. Ich mache auch keine Dinge, die viel kosten. Ich bin einfach dort.

Wollten Sie schon immer reisen?

Ja, ich wollte schon immer weg, weg von Zuhause, andere Menschen kennen lernen, mich in anderen Umgebungen bewegen, andere Sprachen sprechen. Richtig sesshaft sein, Grund und Boden besitzen, ein Haus bauen, das hat mich nie interessiert. Ich bin gerne unterwegs, ich bin zu Gast auf dieser wunderbaren verrückten Welt – for a while, für eine kurze Zeit.

Wie und wo kamen Sie denn in diese Welt?

Im Appenzeller Vorderland, genauer im Bezirksspital Heiden, in dem Zimmer, in dem Henri Dunant gestorben war. Gross geworden bin ich im Gasthof Ochsen in Reute, mein Vater war Metzger und die sechs Kinder mussten zupacken in der Metzgerei und im Restaurant.

Reute AR. Luftbild von Werner Friedli, 1970

Ein regelmässiger Gast im Ochsen und zugleich einer meiner Lehrer war Paul Grüninger, der Sankt Galler Polizeihauptmann, der während des Weltkriegs Juden über die Grenze gelassen hatte und deshalb seine Stelle verlor. Meinen Lehrer in der Gesamtschule Mohren, Martin Calörtscher, habe ich geliebt und bewundert und ich wusste schon als Zweitklässler, dass ich einmal ein Lehrer werden würde wie er: Singen und Geschichten erzählen, Kopfrechnen, Zeichnen und Theaterspielen!

Und Sie besuchten dann tatsächlich die Schauspielschule.

Ja, nach dem Lehrerseminar schien mir die Bühne der bessere Ort, um mich kennenzulernen und mich freier auszudrücken – das war 1968! Doch Schauspieler wollte ich dann auch nicht werden, wollte mir nicht von mittelmässigen Regisseuren vorschreiben lassen, was ich zu fühlen hätte. Aber ich hatte die Arbeit an der menschlichen Stimme entdeckt, und auf die Empfehlung meiner Sprechausbildnerin Ev Ehrle studierte ich an der Universität Saarbrücken Sprechwissenschaft, bei einem weiteren grossartigen Lehrer, bei Hellmut Geissner.

Bis 2013 war Werner Geiger unter anderem Leiter der Sprechausbildung beim Schweizer Radio. Hier ein Bildschirmfoto aus einer Sendung des Wissenschaftsmagazins Einstein beim Schweizer Fernsehen.

Mit der mündlichen Kommunikation, dem Sprechen und Zuhören, hatte ich mein berufliches Feld gefunden. Ich unterrichtete an der Schauspielakademie Zürich, an der Schauspielschule Bern, an den Universitäten Bern und Basel. Beim Schweizer Radio DRS, heute SRF, war ich bis zu meiner Pensionierung zuständig für die Ausbildung zum Sprechen am Mikrofon. Ich war an keinem Ort zu 100 Prozent angestellt, hatte immer ein Spielbein frei für eigene Projekte, für meine Weiterbildung und zum Reisen.

Und für eine Familie?

Ich lebte in einer Wohngemeinschaft, wir waren drei Paare in einem wunderschönen grossen Haus am Zürichsee und im Jahr 1980 kam drei Mal der Storch und wir wurden eine Grossfamilie. Zwei weitere Kinder kamen dazu und wenn wir heute alle drei Generationen zusammen kommen, dann zähle ich 11 Enkelkinder. So hatte ich das Glück, Vater und Grossvater zu werden, ohne mich total auf das Unternehmen Kleinfamilie einzulassen. Ich wohne in Örlikon – in einem Pied-à-terre auf halbem Weg zwischen dem Flughafen und dem Hauptbahnhof.

Titelbild: Werner Geiger hebt ab
Fotos © Werner Geiger

Werner Geigers Fotoalben gibt es auf FLICKR
Und hier geht es zu seiner Homepage Professionell sprechen

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