Resilienz als Widerstandsfähigkeit bei der Bewältigung von Krisen interessiert in letzter Zeit immer mehr, wie die stark steigende Anzahl von Publikationen zu «Resilienz» zeigt. Mehr Resilienz in Stress- und Krisensituationen ist gefragt in Ausbildung, im Beruf, in der Partnerschaft, im Zusammenleben. Nun ist die Resilienz auch in der Gerontologie und in der Alterspolitik angekommen. Was ist damit gemeint?
Der im Jahre 2021 erschienene Sammelband «Resilienz im Alter», herausgegeben von Martin Staats und Jan Steinhaussen, beleuchtet das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln: Entwicklungsaufgaben; Resilienz im Kontext individueller Bewältigungsressourcen; Resilienz und Gesellschaft. In diesem Artikel thematisiere ich grundlegende Aspekte des Resilienzkonzepts (vgl.Klaus Fröhlich-Gildhoff und Maike Rönnau-Böse, S.52-60).
Im Resilienzkonzept wird das Altern nicht mehr beklagt als eine Lebensphase zunehmender Beeinträchtigung und Vulnerabilität, wodurch immer mehr Unterstützungs-, Betreuungs- und Pflegebedarf erforderlich werden, so wie das in den mittlerweile heftig kritisierten Defizitmodellen des Alterns üblich war. Das Resilienzkonzept lässt sich demgegenüber verstehen als Ressourcenmodell des Alterns, welches Wege anbietet gegen den vermeintlichen physischen, psychischen und geistigen Degenerationsprozess des Alterns. Aber ist das nicht bloss ein frommer Wunsch angesichts der Unausweichlichkeit des Todes, der schmerzlichen Altersgebrechen, multimorbider Beeinträchtigungen oder unglücklicher äusserer Umstände, etwa wenn wichtige soziale Bezüge wegbrechen durch den Tod geliebter Personen, wenn materielle Nöte einen peinigen oder man «bloss» dem Alltagsstress ausgesetzt ist.?
Der Reihe nach! Was ist Resilienz?
Charakteristische Merkmale des Resilienzkonzepts
- «Resilienz ist ein dynamischer Anpassungs- und Entwicklungsprozess» (S. 53), d.h. Resilienz wird eingeübt in der Auseinandersetzung des Einzelnen mit seiner Umwelt, was zu guten oder schlechten Erfahrungen führt, zu gelingenden oder misslingenden Umgangsweisen mit Krisensituationen.
- «Resilienz ist eine variable Grösse» (S. 53), d.h. Widerstandskraft und Entwicklungspotentiale in der Bewältigung von Krisen verändern sich im Laufe des Lebens.
- «Resilienz ist situationsspezifisch und multidimensional» (S. 53), d.h. je nachdem, in welchen Lebensbereichen Krisen zu bewältigen sind, sind andere Kompetenzen gefragt.
Wer über eine hohe Resilienz verfügt, ist dank gut ausgebildeten Schutz- und Resilienzfaktoren in Krisensituationen widerstandsfähig und kann Entwicklungspotentiale freisetzen.
Schutzfaktoren
Schutzfaktoren sind Lebensbedingungen, die davor schützen, dass Herausforderungen im Alltag sich nicht zu schmerzhaften Krisen ausweiten oder sich relativ leicht bewältigen lassen. Dazu gehören personale Schutzfaktoren wie persönlich eingeübte Bewältigungsstrategien, aber auch körperliche Gesundheit, gutes Immunsystem usw. Zu den sozialen Schutzfaktoren zählen gute Beziehungen, etwa im familiären und beruflichen Umfeld. Wie die Resilienzforschung gezeigt hat, sind gute Beziehungen für einen gelingenden Umgang mit schwierigen Lebenssituationen zentral. Dabei ist es weniger wichtig, ob diese Beziehungen in Partnerschaften, im familiären, beruflichen oder fürsorgerischen Umfeld gelebt werden, wichtig ist, dass Schlüsselpersonen als ««Türöffner» für neue Perspektiven und Möglichkeiten fungieren, Kraft und Zuversicht ausstrahlen oder Wärme und Geborgenheit geben.» (S.54).
Resilienzfaktoren
Neben den Schutzfaktoren haben sich in der Forschung sechs zentrale Resilienzfaktoren herauskristallisiert, dank denen Krisen besser bewältigt und Entwicklungsaufgaben gemeistert werden können. Nach dem Resilienzkonzept ist also in Krisensituationen einiges zu tun, man muss bereit sein zu «bewältigen», zu «meistern». Wer der Auffassung ist, dass man das Leben «halt nehmen muss, wie es kommt» und die Schicksalsschläge mit mehr oder weniger Jammern und Klagen auszuhalten hat, kann hier aufhören zu lesen.
Im Folgenden werden sechs zentrale Kompetenzfelder (vgl. S. 55) für die Bewältigung von krisenhaften Herausforderungen vorgestellt, so dass Handlungsspielräume sichtbar werden:
- Selbst- und Fremdwahrnehmung: Wer seine eigenen Emotionen und Gedanken wahrnehmen kann und ihnen nicht blind folgen muss, sondern sich zu ihnen auch reflexiv in Beziehung setzen kann, erwirbt ein Stück Handlungsfreiheit. Wer sich dank guter Fremdwahrnehmung in die emotionale und gedankliche Welt anderer hineinversetzen kann, kann eine empathische Beziehung pflegen oder unangenehme Beziehungen beenden.
- Selbstregulation/-steuerung: Wer seine Gedanken und Gefühle steuern kann, sich bei Bedarf entspannen, anspannen, beruhigen und aktivieren kann und den Gedanken und Gefühlen nicht bloss ausgesetzt ist, kann passende Handlungsalternativen entwickeln.
- Selbstwirksamkeit: Wer selbstwirksam ist, ist nicht der Meinung, dass man «da eh nichts machen» könne, sondern er hat immer wieder erlebt, dass er einen erheblichen Einfluss in die Gestaltung seines Lebens hat, so dass er aufgrund positiver Erfahrung eine positive Selbstwirksamkeitserwartung entwickelt hat und weiss, dass er Situationen beeinflussen kann, wenn sie sich innerhalb seines Handlungsspielraums befinden.
- Soziale Kompetenz: Die soziale Kompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, Kontakte und Beziehungen aufzubauen, zu halten, zu beenden. Wichtig ist hier eine gute Kommunikationsfähigkeit, die Fähigkeit, die eigenen Interessen auszudrücken, das Wahrnehmen der Interessen der andern, das Abwägen der Interessen bei Interessenkonflikten und das Lösen von Beziehungskonflikten. Es beinhaltet auch die Fähigkeit andere zu unterstützen und selbst Unterstützung anzunehmen.
- Problemlösefähigkeiten: Wer fähig ist, ein Problem zu lösen, kann es analysieren, mögliche Lösungen sichten, eine passende Lösung auswählen und wenn die Lösung sich als Irrtum erweist, erneut versuchen mit den Erfahrungen des Scheitern im Hintergrund das Problem anzugehen.
- Aktive Bewältigungskompetenzen/Umgang mit Stress: Wer in Stress erzeugenden Alltagssituationen kompetent ist, kennt Stress mindernde Aktivitäten wie Spaziergänge, Telefonate, Musik hören, Tanzen, Achtsamkeitsmeditation usw. und er kann richtig einschätzen, ob er die Stresssituation selber bewältigen kann oder ob er dafür Unterstützung braucht.
Es ist klar, dass man im Laufe seines Lebens diese Kompetenzen mehr oder weniger erfolgreich einübt in herausfordernden Situationen. Resilienz ist von klein auf gefragt, nicht erst im Alter. In jeder Lebensphase, so auch in den verschiedenen Phasen des Alterns zeigen sich diese herausfordernden Situationen unterschiedlich je nach Person und Umfeld.
Lebensziele
Was nützen hervorragende Kompetenzen, wenn man nicht weiss, auf welche Ziele hin man sie gebrauchen will. In der griechischen Antike war das Lebensziel ein höchstes menschliches Gut. Bei Sokrates und Platon orientierte man sich an den Ideen des Guten, Wahren und Schönen, bei Aristoteles an der Glückseligkeit, in der Stoa am naturgemässen Leben. Dabei gab es unterschiedliche Verständnisse der Ziele und auch unterschiedliche Verständnisse, mit welchen Tugenden man die Leidenschaften beherrschen kann, welche einem bei der Zielorientierung in die Quere kommen. Das tönt alles ein wenig verkopft.
Religionen geben da vielleicht einfachere Rezepte. So mussten wir in der zweiten Primarklasse auf die Frage «Warum sind wir auf Erden?» im Religionsunterricht ohne zu stocken und stehend den Satz hersagen können: «Wir sind auf Erden, um Gott zu dienen und um dereinst in den Himmel zu kommen.» Wer stockte, musste stehen bleiben, ebenso wer nicht stimmig erklären konnte, was das Wort «dereinst» bedeutet.
Heute basteln viele immer wieder mal an ihren persönlichen Lebenszielen rum und nehmen dabei religiöse, philosophische, lebenspraktische Versatzstücke zu Hilfe oder orientieren sich an Weisheitslehren. Andere lullen sich in Konsum-, Liebes-, Genuss-, Kunstwelten ein oder huldigen einem blinden Aktivismus und schützen sich so vor der Unbill des Lebens, solange es geht.
Wer sich an persönlich tragenden Lebenszielen, egal welcher Provenienz, orientieren kann, hat laut den bisherigen Ergebnissen der Resilienzforschung eine höhere Resilienz.
Gebrauchsanweisung
Interessierte können die allgemein gehaltenen Erläuterungen zum Resilienzkonzept selbst auf alter(n)sspezifische Herausforderungen anwenden und/ oder im unten angegebenen Sammelband schnüffeln. Dabei garantiere ich einige Aha-Erlebnisse und Einsichten.
Würdigung und Kritik des Resilienzkonzepts
Das überlasse ich der geneigten Leserschaft, gebe aber mit Aristoteles zweierlei zu bedenken: Erstens: «Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer». Wenn man also einmal eine krisenhafte Situation gemeistert hat, hat man noch keine Kompetenz erworben. Dazu ist das Einüben der Kompetenzen in andern krisenhaften Situationen erforderlich. Zweitens: Ein gutes Leben besteht nicht aus ein paar Highlights, sondern aus einer möglichst gelingenden Lebensführung ein Leben lang, auch in schwierigen Lebensphasen. Trösten kann man sich immer mit dem Wort aus dem Osten: Zengeist ist Anfängergeist… oder: Aus der Einsicht des Misslingens wächst der Anfang des Gelingens.
Literatur: Martin Staats / Jan Steinhaussen (Hrsg.): Resilienz im Alter. Weinheim Basel 2021,312 S. ISBN 978-3-7799-6317-2 Print; ISBN 978-3-7799-5624-2 E-Book
Bilder aus pixabay
Mögen den durchdachten Worten endlich fördernde, personalisierte, wenn nötig begleitete Taten folgen – für ALLE.
Rosmarie Liechti
= erste Wortmeldung von mir, spezifisch zum obigen Beitrag- 23.03.2022
In anderen Zusammenhängen hier im seniorweb, sehr wohl, da umfassend und nicht lediglich partiell
dringend, zwingend nötig!
Rosmarie Liechti