StartseiteMagazinLebensartKanaltal: Vier Sprachen – ein Tal

Kanaltal: Vier Sprachen – ein Tal

Wo in Europa gibt es eine Region, in der sich vier Sprachregionen treffen? Diese Vielfalt ist die Folge politischer Entwicklungen. Nach blutigen Kriegen und ethnischer Vertreibung bereichert die Sprachenvielfalt heute die Menschen.

„Kennen Sie das Kanaltal?“ Die meisten Schweizerinnen und Schweizer haben gewiss noch nie davon gehört. Es ist ein Tal am italienischen Alpenhauptkamm, dort wo sich Italien und Österreich treffen. Nein, nicht am Brenner, sondern östlicher, in Kärnten, dort, wo viele Österreicher in die Ferien ans Mittelmeer fahren. Villach in der Nähe von Klagenfurt ist der nördliche Ausgangspunkt und Triest das Ziel. Wir fahren aber in umgekehrter Richtung, aus der flachen norditalienischen Pianura – hinein in die Berge.

Hinter der kleinen Kirche von Coccau/Goggau sieht man die Julischen Alpen mit Gipfeln über 2000 Meter.

Gerade die Anreise von Italien aus hat uns interessiert. Das Kanaltal erlitt das gleiche Schicksal wie das Südtirol. 1939 kamen Mussolini und Hitler im «Stahlpakt» überein, beide Täler ethnisch zu säubern. Die deutsch sprechenden Südtiroler hatten bekanntermassen die Wahl, entweder auszuwandern oder sich zu italianisieren. Die deutsch oder slowenisch sprechenden Kanaltaler standen vor der gleichen Situation. Eine schmerz- und schicksalshafte Wahl, die auch Familien spaltete. Es bedeutete entweder den Verzicht auf die Heimat oder eine teilweise Preisgabe seiner Identität. Rund siebzig Prozent der deutschsprachigen Kanaltaler optierten für die Aussiedlung und somit für den Verlust der Heimat.

Mit dieser Affiche werden die Passanten dreisprachig gewarnt.

Noch im Jahr 1910 gab es praktisch keine italienischen Einwohner im Kanaltal. Das Gebiet war bis 1918 mancherorts mehrheitlich slowenisch, mancherorts mehrheitlich deutsch besiedelt und gehörte zu Österreich-Ungarn. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde es Italien zugesprochen. Es gehört heute zur Region Friaul-Julisch Venetien.

Im idyllischen Friedhof von St. Andrea liegen auch Kriegsopfer.

Wir fuhren also von Udine aus, der Hauptstadt der Provinz Friaul, zuerst dem Tal des spektakulären Gebirgsflusses Tagliamento entlang, bis auf die Höhe von Tolmezzo und dann östlich immer auf der bequemen A23 nach Tarvisio/Tarvis. Diese Region war ein Hauptkriegsschauplatz im verheerenden ersten Weltkrieg. Es gibt noch heute viele Spuren brutaler Stellungsschlachten und in den Bergen gewaltige Bunkeranlagen.

Das ist die Kirche St. Leonhard im Dorf, das italienisch Fusine heisst, oder slowenisch Fužine, weil hier jahrhundertelang Eisen produziert wurde. Aber slowenisch heisst es auch Bela Peč, also der deutschen Bezeichnung Weissenfels entsprechend. Wer furlanisch spricht, sagt dem Ort Fusinis.

Doch genug der Kriegsgeschichte. Der Reichtum des Kanaltales und auch der umliegenden Täler sind die vier Sprachen. Dies zeigt sich schon in den offiziellen Namen Val Canale/Val Cjänal/Kanalska dolina/Kanaltal. Schön der Reihe nach: die grösste Gruppe spricht italienisch, dann folgen furlanisch und slowenisch und zuletzt eben deutsch. Furlan braucht eine Erklärung. Es ist eine eigenständige Sprache, wird von rund 600 000 Menschen gesprochen und ist verwandt mit Rätoromanisch und Ladinisch.

Häuser mit slowenischen Architekturelementen

Der obere Teil des Friaul ist eine für den Alpenraum einzigartige Region. Alle drei großen europäischen Sprachfamilien – Germanische, Romanische und Slawische Sprache – treffen hier direkt aufeinander. Kulturelle und religiöse Traditionen als Ausdruck der Identität sind wichtig. Man lebt hier seit Jahrhunderten zusammen. «Mitteleuropa im Alltag» findet im Kanaltal täglich statt. Bekannt ist die Messe von Tarvisio/Tarvis. Österreicher und Deutsche, Kroaten, Slowenen und Ungarn kommen zum Einkaufen ins günstige Italien oder benützen die elegant ausgebaute Autostrada auf dem Weg ans Mittelmeer.

Tarvisio/Tarvis : ein beschauliches Städtchen. Zu empfehlen ist ein längerer Zwischenhalt.

Dieser Meilenstein auf der Grenze zwischen Österreich-Ungarn und Italien geht auf die Postkutschenzeit zurück. Er ist mit Kaiserthum Oesterreich und Herzogthum Kärnten bezeichnet. Bis nach Klagenfurt sind es neun Myriameter, also 90 Kilometer.

Für die Reisenden war das Dorf Pontebba bis 1918 das Tor zum Süden. In der Ortsmitte stehen noch heute am linken Ufer des Bachs, nahe der Brücke, ganz markant, zwei alte Post-Meilensteine. Der eine weist nach Udine Richtung Süden, der andere nach Klagenfurt. Hinweistafeln oder Wegweiser sind mehrsprachig. Auch eine Gedenktafel zeigt auf, wie in der viersprachigen Region keine Konkurrenz herrscht sondern kulturelle Gemeinsamkeit. Die vier Sprachgemeinschaften danken dem langjährigen Pfarrer von Camporosso.

Gedenktafel in vier Sprachen – ein Zeichen der Gemeinsamkeit.

Die Laghi di Fusine oder Weissenfelser Seen sind wohl etwas vom Farbenprächtigsten im Dreiländereck von Österreich, Slowenien und Italien. Eingebettet in die imposanten Bergketten der Julischen Alpen strahlen die Seen einen faszinierenden Zauber und eine ganz besondere Energie aus.

Ein beliebtes Ausflugsziel bei Heimischen wie Gästen sind die Laghi di Fusine. Die beiden Seen liegen in Wäldern eingebettet nur wenige Kilometer vor der Grenze zu Slowenien.

Monte Lussari: Gelebtes Zeichen der Völkerverständigung, Wallfahrtsort und im Winter Skidestination in den Julischen Alpen.

Der Monte Lussari mit der Wallfahrtskirche auf seinem Bergrücken ist ein gelebtes Zeichen der Völkerverbindung. Und das nicht erst seit einem vereinten Europa, sondern seit 660 Jahren. Pilger dreier Länder kommen von Juni bis Oktober auf diesen Berg. 2020 fand nach einem Unterbruch wieder eine offizielle Dreiländerwallfahrt mit den Bischöfen aus Kärnten, Italien und Slowenien statt. Die Messe wurde in Deutsch, Italienisch, Slowenisch, Friulanisch und Latein gefeiert.

Titelbild: Monte Lussari
Fotos: Justin Koller
Mehr über den Wallfahrtsort Monte Lussari gibt es hier.
Weitere Informationen für Interessierte:
Das Friaul
Reisebericht durch Geschichte und Gegenwart
Touristische Website
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