Kraftvolle Farben und klare geometrische Formen zeichnen die Miniaturmalereien der Region Bundelkhand aus. Das Zürcher Museum Rietberg bekam unlängst 241 dieser Meisterwerke als Schenkung von Eva und Konrad Seitz und präsentiert 48 Blätter in der Ausstellung «Hingabe und Sehnsucht» in der Park-Villa Rieter.
Südlich von Delhi und Agra liegt die wenig bekannte Region Bundelkhand. Im 16. Jahrhundert übernehmen eingewanderte Rajputen vom Stamm der Bundela hier die Macht und kooperieren mit den Moguln. Orchha ist das Zentrum, bis sich die Herrscher zerstreiten und 1635 kleinere Fürstentümer wie Datia oder Panna bilden, alle mit eigenen Malschulen, die aussergewöhnliche Meisterwerke hervorbringen.
Jahangir Mahal, Orchha Palast, Madhya Pradesh, Indien. Foto: Doron, Wikimedia Commons.
Die früheste Serie aus der Palam Bhagavata Purana aus dem 15. Jahrhundert umfasst 300 bis 360 Blätter und begründet den eigentlichen Beginn der Rajput-Malerei in dieser Region. Die Bilder erinnern an Comics, die in verschiedenen Bildfeldern auf derselben Seite Geschichten in kräftigen Farben erzählen. Die Haltung und Gestik der untereinander agierenden stilisierten Figuren sind expressiv, die Gesichter im Profil, die Augen frontal dargestellt. Rot als Hintergrundfarbe weist auf Aktion, Grün auf eine ruhige Stimmung hin. Mit der im Museum erhältlichen Lupe lassen sich die feine, qualitätvolle Malweise, die zarten Linien und originellen Details in der Kleidung entdecken.
Tanzszene. Folio aus dem «Palam Bhagavata Purana», Bundelkhand, Gwalior, ca. 1460-80.
Die Ausstellung gewährt einen Einblick in die künstlerische Praxis und Stilentwicklung vor dem kulturellen und politischen Hintergrund der Region Bundelkhand vom 15. bis ins 19. Jahrhundert. Der Ausstellungstitel Hingabe und Sehnsucht verweist auf die Leidenschaft, mit der die Donatoren Eva und Konrad Seitz, einst deutscher Botschafter in Indien, die Werke sammelten und erforschten.
Szenen aus der Vor- und Nachgeschichte des Kaliyadamana. Folio 37 aus einer Bhagavata Purana-Serie, Orchha, ca. 1660-1670.
Hingabe und Sehnsucht bezieht sich jedoch hauptsächlich auf die spirituelle Bedeutung der Bilder. Denn die Malerei drückt eine wichtige Facette des religiösen Lebens im Hinduismus aus: bhakti, die Hingabe zu Gott, vor allem zu Krishna, Rama, Shiva oder Devi. Die bhakti-Bewegung hat sich in Nordindien im 15. Jahrhundert ausgebreitet, ursprünglich stammt sie aus dem 7. Jahrhundert aus Südindien. In der bhakti wird die Beziehung zwischen Mensch und Gott oder Göttin als eine spirituelle Liebesbeziehung verstanden, in der der Mensch ganz aufgehen kann, eine Liebe und Sehnsucht nach dem Unerreichbaren.
Radha in der Gottesferne. Folio aus einem Gitagovinda-Manuskript, Orchha, ca. 1590.
Die älteste Bildserie aus Orchha illustriert das Gitagovinda, den Lobgesang auf Krishna. In Radha in der Gottesferne verweilt die Geliebte Krishnas in einer Waldlichtung, umgeben von Gazellen, in den Baumkronen Vögel und Affen. Die ganze Bildserie zeichnet sich durch verschiedene übereinanderliegende Bildfelder aus, begrenzt durch das Textfeld oben sowie der stilisierten Wiedergabe des Flusses Yamuna unten.
Viele Miniaturen sind am oberen Bildrand oder auf der Rückseite mit Texten versehen. Es sind Geschichten und Lieder in den regionalen Sprachen, die den Gläubigen vertraut sind. Sanskrit als Sprache der Elite verliert hier an Bedeutung.
Die frühen Darstellungen sind auf losen Blättern im Querformat angefertigt, wie das Palam Bhagavata Purana von 1460-80. Etwa hundert Jahre später werden sie nach dem Vorbild muslimischer und europäischer Bücher als Folio im Hochformat auch gebunden.
Krishnas verborgenes Liebesleid. Folio 216 aus der «Dritten Orchha Rasikapriya-Serie», Orchhia, 1610-1615.
Im Sinn der bhakti ist die Erlösung für jeden Menschen unabhängig vom sozialen Status oder Geschlecht bestimmt. Die Kunstwerke sollen Emotionen übertragen, einen gewissen rasa, einen Geschmack, Saft oder eine Esszenz, eine Grundstimmung, um beim Publikum einen entsprechenden bhava, Eindruck oder ein Empfinden hervorzurufen. Denn im rasa eines Kunstwerks aufzugehen, kommt dem rasika einer religiösen Erfahrung gleich. Auch wenn uns die Bildgeschichten wie Liebesgeschichten erscheinen, richtet sich die Liebe und die Sehnsucht stets an das Göttliche.
Unter den politischen Spannungen um 1630 gewinnt die Mogul-Kultur an Einfluss. Die Hingabe zum hinduistischen Gott Krishna wird durch eine Frömmigkeitsbewegung verstärkt zelebriert und prägt die Motive in der Malerei. Die Bilder sind immer noch flächig und zweidimensional gehalten, doch erscheinen die Figuren weniger stilisiert, ihre Haltung und Gesten weicher und natürlicher.
Abschied von Lanka. Folio 79 aus einer Ramayana-Serie, Orchha, ca. 1650-1660.
Der endgültige Niedergang des Fürstentums Orchha 1635 spaltet die künstlerische Produktion in zwei unterschiedliche Stilrichtungen. In Orchha entwickelt sich auf der Basis der frühen Malerei ein expressiver und ornamentaler Stil mit originellen Bildkompositionen. Dieser Zweig wird als «volkskunsthaft» bezeichnet und setzt sich in Panna fort. Die Maler widmen sich bewusst der Illustration regionaler Dichtung.
Sehnsüchtig denkt er an die Geliebte hinter hundert Flüssen und Bergen. Folio aus einer Amarushataka-Serie, Datia, ca. 1652-1655.
Das Fürstentum Datia wird zum Exil der politischen Elite, der Einfluss der Mogulmalerei verstärkt sich. Die präzis und delikat gemalten Figuren werden schlanker und eleganter, doch weniger expressiv. Die Grössenverhältnisse zwischen Figur und realistisch gemalter Umgebung passen sich einander an, die Farbpalette weitet sich aus. Inhaltlich wenden sich die Maler in Datia der Sanskrit-Dichtung zu. Selbst die bhakti-Bewegung verliert an Einfluss, die Protagonisten der Bilder sind nicht mehr in erster Linie göttlich, sondern menschlich und weltlich. Eine Entwicklung, die unter europäischem Einfluss im 19. Jahrhundert in Datias Malerei zu weltlich-erotischen Charakteren führt.
Bilder: Museum Rietberg, Zürich
Bis 30.10.2022
«Hingabe und Sehnsucht – Die Sammlung Eva und Konrad Seitz», Museum Rietberg, Park-Villa Rieter, Zürich. Weitere Informationen finden Sie hier
Sehr interessanter Artikel, in Text und Abbildungen!