Wie fühlte ich mich als Muster-Sohn, als Mutter-Sohn der ganz edlen Art. Mindestens einmal im Monat fuhr ich von Bern nach Zürich und besuchte die hochbetagte Frau. Dazu am Muttertag, an Weihnachten. Zweimal machten wir sogar ein paar Tage Ferien im Tessin. Ausserdem erledigte ich den administrativen Kram, Einzahlungen, Steuererklärung, die Bank. Ja, so ein aufmerksamer Bub war. Gerne und voll Stolz erzählte ich von meinen grossherzigen Taten.
Bloss: Die grosse Büez machte nicht ich, der vermeintliche Gutmensch. Sondern meine Schwester. Sie kochte, wusch und putzte. Schaute alle paar Tage zum Rechten, fuhr mit der Mutter zum Arzt, zur Coiffeuse. Zwar hatte sie es vom Zürcher Vorort weniger weit. Aber da gabs noch einen Halbtagsjob, ein Einfamilienhaus, zwei halbwüchsige Kinder und einen Mann, mit dem es wegen des Mutter-Stress’ immer wieder mal Krach gab.
Sie, die Schwoscht, zog den Karren. Ich war bloss der Mitfahrer. Für dieses Ungleichgewicht gibt es nur eine einzige Entschuldigung: Es machens alle so. Fast alle. Ausschliesslich die Töchter betreuen mit viel Aufwand ihre betagten Mütter. Sie haben den Stress, verzichten auf Jobs und Karrieren und vernachlässigen damit ihre Altersvorsorge, sprich haben kleinere Renten. Die Männer stehen abseits, machen mal ein Bsüechli, kümmern sich um den administrativen Karsumpel.
Viele Eltern betreuen heute ihre Kinder gemeinsam.
Bei der Beziehung zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern hat sich vieles verändert, verbessert. Väter und Mütter teilen sich die Betreuung auf. Väter möchten nicht mehr nur Wochenend- und Ferien-Papis sein. Mütter wollen ihren Job behalten. Teilzeitpensen machens möglich. Ich nehme die grossen Aber gleich selber vorweg. Nämlich: Aber das gilt nicht für alle. Aber das können sich nicht alle leisten. Aber viele Väter und Mütter wollen das gar nicht. Gebongt. Doch das letzte Aber: Es hat sich vieles bewegt – in die richtige Richtung.
Betreuen erwachsene Kinder ihre betagten Eltern, bleiben die Söhne im Hintergrund. Fast ausschliesslich die Töchter putzen, waschen, kochen.
Ganz anders läuft der Hase, wenn erwachsene Kinder ihre betagten Eltern betreuen sollten. Ausschliesslich Frauensache. Auch die engagiertesten männlichen Gleichstellungs-Aficionados schrecken zurück, wenn es gilt, in der streng riechenden elterlichen Wohnung die Küche zu schrubben. Dies nicht nur an hohen Familienfeiertagen, sondern jahrelang putzen, kochen, waschen, zuverlässig mehrmals in der Woche. Ausschliesslich Töchterpflicht.
In einigen Kantonen darf mann auf der Toilette nach 22 Uhr nur noch im Sitzen pinkeln.* Die Gleichstellung schreitet voran. Das ist gut so, wirklich. Auch dass man den standhaften Pinklern den Hahn zudreht, ist ein tröpfchenkleiner Schritt in die richtige Richtung. Aber es gibt schon noch drängendere Probleme.
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* Um ganz ganz ehrlich zu sein: Stehpinkeln ist in diesen Kantonen nicht verboten, um im Gender-Kampf zu punkten. Sondern weil das aufrechte Wasserlassen in ringhörigen Bauten die nächtliche Ruhe stören soll. Das ist ganz ganz ehrlich eine wirklich spritzige Pointe.
Bilder: pixabay, pst
Das mit dem Pinkeln nach 22 Uhr sollte vielleicht noch richtig geschrieben werden……. sollte doch wohl heissen: «…nur noch im Sitzen…»
Sehr geehrter Herr Steiger
Dass es alle so machen, ist nicht wirklich eine Entschuldigung. Aber schön, dass Sie als Ausnahme-Mann es zumindest merken. Von keinem Mann wird erwartet, dass er sich für andere aufopfert. Aber jede Frau sollte aufgrund ihres Geschlechts nichts lieber tun. Mein Bruder hält sich für grosszügig, wenn er jede Woche mal kurz anruft und sich alle paar Monate einen Kaffee servieren lässt. Selbst den «administrativen Karsumpel» überlässt er gerne mir. Das alles soll – wenn sich frau nicht absichert – mit Unterstützung von Anwälten, die sich offenbar mehr ihren Geschlechtsgenossen als ihrer Klientin verpflichtet fühlen (wie kürzlich im «Beobachter» gelesen), nicht einmal beim Erben berücksichtig werden. Frauen erledigen also die ganze Arbeit, um danach in die Altersarmut abzurutschen. Und das ist von der (dominant männlichen) Politik so gewollt. In anderen Ländern werde Angehörige für ihre Arbeit zumindest teilweise staatlich entschädigt. Die Schweiz ist kein soziales Land.
Mit besten Grüssen und Dank an Seniorweb für die vielen interessanten Artikel
Eine leidgeprüfte Tochter
Au weia, Frau Güttinger, da ist mir ein Fehler durchgerutscht, den ich unterdessen korrigiert habe. Danke für Ihren Hinweis.
Sehr gerne. Den Artikel habe ich gerne gelesen. Schön, dass ein Mann das so schreibt. Danke!
Ich fände es mindestens angebracht, wenn der/die Putzende und/oder Waschende mit einem fairen Stundenlohn entschädigt würde. Viele wohlhabende Ältere könnten sich das durchaus leisten und es gäbe weniger Diskussionen, wenn es ans Erben geht. Die Initiative muss aber vom Elternteil kommen und offen den Geschwistern und Erbberechtigten kommuniziert werden…
Eine betagte Nachbarin hat sich beklagt, dass sie wenig Besuch bekomme. Dabei kümmern sich ihre Töchter liebevoll um sie. Sie kommen jede Woche vorbei und kümmern sich um all die Alltagsprobleme, die anfallen.
Das hat mich sehr an meine Eltern erinnert, ich liebte sie sehr!
Mein Bruder kam oft zu den Eltern, ich wöchentlich zweimal. Er kam auf Besuch, meine Schwägerin und ich kümmerten sich um die Alltagsdinge und das waren keine Besuche. Manchmal musste ich schmunzeln, aber manchmal habe ich über diese Selbstverständlichkeit auch ein wenig geärgert: Söhne machen Besuche, Töchter nicht, die helfen den Alltag zu bewältigen!
Mehrere Kommentare fordern, dass die pflegenden Angehörigen entschädigt werden. Privat, innerhalb der Familie, ist dies natürlich jederzeit realisierbar.
Unter gewissen Voraussetzung ist auch externe Bezahlung möglich. Caritas erläutert dies:
https://www.caritascare.ch/de/angehoerige-pflegen.html
Die hier erwähnten Leistungen gelten nur für die Kantone Luzern und Zug. Anderswo bestehen auch solche Möglichkeiten. Die Situation ist sehr unübersichtlich.
Wichtig: Es werden überall nur Pflegeleistungen entschädigt, keine Hausarbeiten.
Danke für den hilfreichen Caritas-Link. «Unübersichtlich» trifft die Sache genau. Da ist man froh um jedes bisschen Information.
Es gibt für AHV-Rentner*innen die Möglichkeit, eine Hilflosenentschädigung der AHV zu beantragen. Diese kommt zum Tragen, wer für alltägliche Lebensverrichtungen auf dauernde Hilfe angewiesen ist. Diese wird nach Art und Schwere der Hilfslosigkeit, leicht/mittel-schwer, eingestuft und unabhängig vom Einkommen monatlich ausbezahlt.
Ich habe in meiner beruflichen Tätigkeit oft erlebt, dass Betagte diese Information nicht hatten oder sich genierten, diese finanzielle AHV-Leistung, auf die jede/r einen rechtlichen Anspruch hat, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, zu beantragen.
Zudem kann, wer Ergänzungsleistungen der AHV bezieht, Kosten für notwendige Hilfe im Haushalt, z.B. von der Spitex, geltend machen. Diese werden von der EL übernommen. Die regionale AHV-Zweigstelle oder der Sozialdienst der Gemeinde gibt gerne Auskunft. Alle Infos natürlich auch auf der Internetseite der Kantonalen Ausgleichskasse. Alles Gute für Sie.
Guter und notwendiger Artikel. Wo gibt es denn mehr als eine Auskunft, nämlich einen offiziellen Fundus für direktes finanzielles Entgelt?
Einen offiziellen Fundus gibt es nicht, Frau Scheurmann. Für Auskünfte empfehle ich Ihnen, sich an Ihre Regionalstelle von Pro Senectute zu wenden.