Unter dem Motto «Menschen, Tiere, Götterwesen. Textile Schätze aus dem Alten Peru» zeigt das Museum der Abegg-Stiftung in Riggisberg BE kunstvoll gewebte Stoffe in leuchtenden Farben.
Bunte Farben, abstrakte Muster oder rätselhafte, aber ausdrucksstarke Figuren, das alles fesselt das Auge der Besucherinnen und Besucher. Peru wurde während der präkolumbianischen Ära von unterschiedlichen Völkern und ihren Kulturen geprägt. Gemeinsam war diesen, dass stets aufwendig gestaltete Textilien eine wichtige Rolle spielten – im Alltag sowie besonders in religiösen Zeremonien und im Umgang mit den Toten.
Die Ausstellung zeigt beeindruckende Objekte aus dem textilen Erbe jener Epochen, angefangen bei der wenig bekannten Kultur der Paracas, der darauffolgenden Nasca-Kultur, die uns wegen der riesigen Linienzeichnungen im Wüstenboden ein wenig vertrauter ist. Ausserdem gab es kaum bekannte Zivilisationen wie die Tiahuanaco, Huari, Sicán, Chimú und Chancay bis hin zu den Inka. Diese herrschten von ca. 1430 bis 1532, als die Spanier in Peru ankamen und die Inka-Kultur weitgehend auslöschten.
Altamerikanische Hochkulturen
In den Beständen der Abegg-Stiftung befindet sich eine kleine, aber eindrucksvolle Sammlung von Textilien aus dem Alten Peru, fast alle Stücke von Werner Abegg selbst erworben. Die interessantesten Stücke werden in diesem Jahr zum ersten Mal in einer Sonderausstellung präsentiert.
Detail einer gestickten Zierborte. Peru, Südküste, späte Paracas-/frühe Nasca-Kultur, 2. Jh. v. Chr.–1. Jh. n. Chr. Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 1080 © Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg
Dass wir diese Stoffe und Gewänder heute noch bewundern können, ist seltenen klimatischen und geografischen Bedingungen zu verdanken: den salzhaltigen Böden der Wüsten an der peruanischen Küste. Die ältesten Textilfunde – Weihegaben an die Götter und Gewebe für die Bestattungsriten – sind gut zweitausend Jahre alt. Geschützt vor Feuchtigkeit und Licht überdauerten sie die Zeiten.
In der sogenannten Paracas-Kultur beispielsweise, die vom 8. bis 1. Jahrhundert v. Chr. existierte, wickelte man die Toten in Stoffbündel, die bis zu fünfzig Schichten umfassten. Ein Teil davon bestand aus reich verzierten Tuniken, Lendenschurzen, Kopftüchern, Röcken und Mänteln. In jüngeren Kulturen gab man den Verstorbenen Tongefässe mit, gefüllt mit wertvollen Gewändern. Wir können dankbar sein, dass wir durch diese Riten, von denen wir fast nichts wissen, Einblick in untergegangene Welten erhalten und deren Textilien kennenlernen können.
Stilisierte Tiere und comicartige Gestalten
Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut und beginnt mit Stickereien aus der späten Paracas-Kultur, aus der sich in einem fliessenden Übergang die Nasca-Kultur entwickelte. Viele Textilien der Paracas-Zeit zeichnen sich durch lineare, oft streng geometrische Darstellungen aus. Einige rotgrundige Stickereien illustrieren das. Sie zeigen stilisierte, katzenartige Wesen, die mit wenigen geraden Strichen in schwarzer und gelber Wolle angedeutet werden. Bei genauerem Hinsehen erkennt man dann, wie raffiniert die Tiere ineinander verschachtelt sind.
Gestickte Zierborte mit stilisierten Katzen, als Schmuckbesatz für Umhänge, Tücher oder Tuniken verwendet. Peru, Südküste, späte Paracas-/frühe Nasca-Kultur, 2. Jh. v. Chr.–1. Jh. n. Chr. Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 534. © Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg
Anders verhält es sich mit den bunten Stickereien, die Menschen oder menschenähnliche Geschöpfe zeigen. Die Gestalten haben natürliche Formen, die sich deutlich vom Hintergrund abheben. Mit ihrer etwas plakativen Zeichnung erinnern sie an moderne Comicfiguren; so auch die untereinander angeordneten Männer auf einem ca. 90 cm langen Zierstreifen. Sie tragen Stirnband, Tunika, Lendenschurz und eine auffällige Maske über den Augen. Von den Hüften hängen sogenannte Trophäenköpfe herab.
Abgetrennte Menschenköpfe spielten in den Ritualen der Paracas– und der Nasca-Kultur offensichtlich eine wichtige Rolle, man fand sie in zahlreichen Bestattungen. Die erbeuteten Schädel galten wohl als Beweis für kriegerischen Erfolg und Tapferkeit. Begleitet werden die Männer auf dem Zierstreifen von kleineren, genau gleich aussehenden Gesellen und von grossen, farbenprächtigen Vögeln. Die gesamte Darstellung bleibt rätselhaft, denn trotz der gewalttätigen Attribute wirken die Kerle mit ihrem breiten Grinsen, den stämmigen Oberkörpern und dünnen Ärmchen irgendwie fröhlich, wie einer Art fernen Comicwelt entsprungen.
Miniaturskulpturen aus Wollgarn zeigen Vögelchen, die mit ihren langen Schnäbeln an bunten Blüten saugen. Peru, Südküste, frühe Nasca-Kultur, 1.–3. Jahrhundert. Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 600. © Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg
Dreidimensionale Stickereien
In einer Vitrine liegen einige vielfarbige, rundplastische Zierborten. Einige zeigen geometrische Ornamente, die meisten aber kolibriartige Vögelchen, die mit ihren langen Schnäbeln an bunten Blüten saugen. Die Borten sehen aus wie gestrickt, sind jedoch in einer besonderen Sticktechnik gearbeitet. Derartige Schmuckstreifen wurden oft als Zierde an Umhänge und Tücher genäht, wo sie wie Fransen wirkten.
Farbenfrohe Tuniken
Im Laufe der Jahre hat die Besucherin gelernt, wie wichtig die Tunika für die Bekleidung war, und zwar über die Jahrtausende hinweg und in vielen Weltgegenden. Die Expertinnen des Abegg-Museums haben für ihre Ausstellungen ein besonders geeignetes Gestell entwickelt, das die Tuniken von allen Seiten zeigt, das Material aber weitestgehend schont.
Fragment einer Tunika, Peru, Huari-Kultur, 7.–9. Jahrhundert. Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 5738 © Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg
Die Tunika gehörte – zusammen mit Rock und Lendenschurz – zur klassischen Männertracht im Alten Peru. Sie war eher kurz und wurde ärmellos oder mit knappen Ärmelansätzen getragen. Die Seiten waren in der Regel geschlossen, weshalb diese Art von Kleidungsstück im Fachjargon nicht Poncho, sondern eben Tunika genannt wird. Als Halsöffnung diente ein senkrechter Schlitz. Ein solches Gewand besteht in der Regel aus mindestens zwei zusammengenähten Stoffstücken.
Zum Weben der Bahnen verwendete man oft ein Rückenband-Webgerät. Dabei wurde das eine Ende der Webkette um die Hüfte fixiert, das andere an einem Pfahl befestigt. So einfach diese Vorrichtung war, so kunstvolle Stoffe wurden damit hergestellt. Ihre farbenfrohen Muster bestehen meist aus raffinierten Kombinationen von geometrischen Formen mit stilisierten Tieren oder menschenähnlichen Figuren. Viele der Stoffe wirken in Gestaltung und Farbgebung erstaunlich modern. Mithilfe eines kurzen Videos findet die Besucherin heraus, was dargestellt ist: Katzenköpfe und Wellenmotive.
Gestickte Zierborte. Peru, Südküste,
späte Paracas-/frühe Nasca-Kultur,
2. Jh. v. Chr.–1. Jh. n. Chr., Abegg-Stiftung,
Inv. Nr. 578 © Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg
Die Stickerei zeigt menschenähnliche Wesen, die fliegend, fallend oder tauchend wiedergegeben sind. Die Stickereistiche folgen der Form der Figur und verleihen ihr dadurch zusätzlich an Ausdruck und Bewegung.
Fremde Federn für ein Wunderwerk
Die prächtigsten Ausstellungsstücke können nur im Museum selbst bewundert werden: zwei dicht mit bunten Federn besetzte Kleidungsstücke, ein Kopfschmuck und eine Tunika aus dem 15. oder 16. Jahrhundert, der Chimú– oder Inka-Kultur zugeordnet. Die zarten Federn tropischer Vögel wurden dem Muster entsprechend mit umgeknickten Kielen um einen Baumwollfaden gehängt, mit einem Knoten fixiert, und die Federschnur anschliessend auf dem Trägergewebe aufgenäht.
Eine solche Tunika wurde vielleicht bei Wasserzeremonien getragen, denn sie zeigt rote und grüne stilisierte Fische vor einem schimmernden schwarzbraunen Hintergrund. Am unteren Rand sieht man vierbeinige Wesen in weissen Booten. Sie tragen einen ausladenden Kopfputz und strecken ihre blaue Zunge heraus. Die Federtechnik ist so fein und kleinteilig gearbeitet, dass sowohl bei den Bootsfahrern wie auch bei den Fischen die Augen und sogar die Pupillen zu erkennen sind.
Das Museum der Abegg-Stiftung Riggisberg BE zeigt diese Ausstellung noch bis 13. November 2022.
Titelbild: Detail einer Tunika, Peru, Nordküste, Chimú-Kultur, 11.–15. Jh. Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 5731 © Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg (alle Fotos: Christoph von Viràg)