Mit einem musikalisch-visuellen Bühnenstück über die Liebe und den Tod verarbeiten die Berner Künstler Willy Schnyder und Dani Misteli den Verlust nahestehender Menschen und machen sich Gedanken zur eigenen Endlichkeit.
Die Produktion, die am vergangenen Wochenende im Berner Kultlokal «La Cappella» ihre Uraufführung erlebte, heisst «Liebe, Tod und Härdöpfelstock». Alle drei Begriffe stehen in einem Zusammenhang und machen im Kontext Sinn: Wie ein roter Faden durchzieht die Liebe das Stück. Liebe zum Leben, Liebe zu den Menschen, zur Partnerin, zu den Kindern, Liebe zur Musik, zum Wortspiel, zum Witz, zu Farben und Bewegungen. Die musikalische Multimedia-Performance mit live vorgetragenen Songs des Jazz-Musikers Willy Schnyder endet mit glücklichen Paaren, die sich innig küssen. Da soll noch einer die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen.
Der Tod kommt in der Show mehrfach vor. Weder als Furcht einflössender Sensemann noch als erlösender Gevatter, sondern als Teil eines natürlichen Prozesses, der mit der Geburt beginnt. Die Künstler verstehen den Tod nicht als isoliertes Einzelereignis, sondern als Naturereignis, als Naturgesetz, das nicht nur die Menschen, sondern auch Pflanzen, Tiere, Modeprodukte und die Planeten ereilt. Diesem Gedanken ist der «Bintje-Song» gewidmet, eine Ode an eine vergessene Kartoffelsorte, die wegen ihrer Konsistenz aus der Mode gekommen ist, also gewissermassen den Tod erlebt hat.
Der kitschig blinkende Kranz als wichtiges Requisit der Bühnenshow.
«Härdöpfelstock» schliesslich isst man im Bernerland an einer «Grebt» (Leichenmahl). Nach alter Tradition werden dort Hamme, Kartoffelstock und Salat serviert. Und wenn es das Budget erlaubt auch ein Glas Rotwein. An einer Abdankungsfeier fühlt man sich auch in der ausgedienten Kapelle im Breitenrain-Quartier: Ein blinkender Kranz mit künstlichen Blumen und stimmigem Hintergrund: Blumen, Vögel, Wasser, Sonne, Himmel, Nacht wechseln sich auf der Leinwand ab und sorgen für eine harmonische Ambiance, kreiert vom Grafiker und Videokünstler Dani Misteli.
Genau diese Stimmung zwischen Trauer und Ausgelassenheit wollen Schnyder und Misteli in ihrem visuell-musikalisch-theatralischen Bühnenstück thematisieren. Auf «Grebten» wird nicht nur geschwiegen oder still geweint, sondern oft auch gelacht (Dällebach-Kari lässt grüssen), gefeiert, philosophiert, personalisiert, kontaktiert. Es geht ums Loslassen, Erinnern, Gehen, Bleiben, Nehmen, Geben, es geht um die Frage, wie das Leben des Verstorbenen war und wie unser eigenes Leben und Sterben sein wird. Diese Stimmungen liegen dem Werk zugrunde.
Die beiden Künstlerfreunde laden das Publikum an eine fingierte Trauerfeier ein und nähern sich mit feinem Galgenhumor den Höhen und Tiefen unserer Existenz. Zu sehen und hören sind eigene und fremde Texte etwa von Ernst Burren oder Ernst Eggimann, stimmige Songs, bewegte Bilder und visuelle Auseinandersetzungen mit dem Ende des Lebens.
Auslöser für das ungewöhnliche Stück gab es mehrere: Als Schnyders Freund Matthias Hagi an Krebs erkrankte, führten die beiden lange Gespräche über Liebe, Lebensängste, Abschied. Im Wissen um seinen baldigen Tod bat Freund Matthias den Musiker um eine Beerdigungskomposition: Aus einem Text des Mundartdichters Ernst Burren schuf Schnyder das Abschiedslied «Hingedüre», das er seinem Freund auf der Palliativstation des Berner Salem-Spitals kurz vor dessen Tod noch vortragen konnte. Rührend.
Verjazztes Veilchen, das zertreten wird.
Seiner Schwiegermutter ist das Lied «Ha anem Ort es Blüemli gseh» (Text: G.J. Kuhn) gewidmet. Beim Vorsingen soll die Sterbende noch einen «sehr lichten und schönen Moment ihres Daseins erlebt haben». Das berühmte Lied «Das Veilchen» (Text J.W. von Goethe, Musik W.A. Mozart) frischte Schnyder mit jazzigen Elementen auf. Es handelt von einer Schäferin, die ein hübsches Veilchen im Gras zertritt und dabei unabsichtlich tötet. Blumig.
Über Leben und Tod haben sich Schnyder und Misteli während der Entstehung des Bühnenstücks intensiv ausgetauscht. Ihre Dialoge waren «nicht nur traurig und belastend, sondern auch bereichernd, äusserst tiefsinnig, hell, erheiternd und bereichernd», wie die beiden schreiben. Mistelis Ehefrau, die ebenfalls verstorben ist, hat Schnyder ein weiteres Lied gewidmet. Berührend.
Herzbewegende Ballade über den Witwer, der seine Ehefrau vermisst.
Eine der Liedperlen des Abends ist der Song «Längizyti» nach einem Text von Ernst Eggimann. Über den Mundartdichter lernte Schnyder einen betagten Herrn kennen, der in einem Altersheim lebend, seine verstorbene Ehefrau Rosmarie sehr vermisst und dabei auch die Frage nach dem eigenen Dasein stellt. «Wieso bin i überhoupt no do? Bloss für dass mi grääme cha u für Längizyti z ha? Wär i bi myr Rosmarie: d` Längizyti wär verby», heisst es im Lied. Der betagte Herr durfte die Première im «La Cappella» miterleben. Herzbewegend.
In einem weiteren Lied besingt Schnyder den Tod seines Vaters und bedauert darin den Umstand, dass er zu spät kam, um diesen vor dem Ableben noch einmal zu sehen. «Am Aabe bini deheime blibe hange, am Morge bisch du für immer gange. Abschied het`s kene gä. I möcht no mal dis Solex ghöre wede hei chunnsch, nomal z Tigge vo dire Sackuhr lose, Vater, i ha di zweni lang gha.» Ergreifend.
Schnyder (links) und Misteli (rechts) über die Leichtigkeit des Seins.
Besser als einfach nur zu trauern wäre es, über das Trauern zu reden, finden die Künstler: Und zu leben, sich freuen, lachen. Witz, Galgenhumor, Ironie, die Leichtigkeit des Seins sind Dinge, mit denen man die Angst vor dem Tod überwindet. Das Nachdenken über die eigene Endlichkeit wird den Zuhörerinnen und Zuhörern auf unverkrampfte Weise, mit feinem Humor nähergebracht. Dramaturgisch beraten wurde das Künstler-Duo von der Regisseurin Renate Adam, die als «Oeil extérieur» wirkte.
Nun geht das Bühnenstück auf Tournee: Geplant sind Vorstellungen in Solothurn, Langnau, Schwarzenburg, Spiez, Interlaken, Brig, Winterthur, Stans, Luzern und anderswo.
Titelbild: Gutes Sterben, erfüllt mit Liebe sterben. Willy Schnyder. Fotos: Jaccard/ Jöhr und PS.