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Nichtwählende sind mitverantwortlich

Eine Woche danach. Hier Zürich, die «durchorganisierte Schweizer Grossstadt», wie «Die Zeit» schreibt, «dort Berlin, die unorganisierte deutsche Metropole, von der behauptet wird, dass ihre Bürgerinnen und Bürger gar regiert werden wollen». Hier im Kanton Zürich machten am letzten Sonntag von den rund 930’000 Stimmberechtigten nur 35% von ihrem Wahlrecht Gebrauch. In Berlin waren es 64% der rund 2,5 Millionen Wahlberechtigten, beinahe doppelt so viele.

In Zürich setzt sich fort, was schon während vier Jahren unaufgeregt, solide funktioniert. Alle bisherigen Regierungsmitglieder, direkt gewählt, kehrten am letzten Montag in ihre angestammten Büros zurück, setzen schlicht ihre Arbeit fort. Eines könnte noch interessieren, zumindest die Medien: Werden alle in ihren bisherigen Direktionen verbleiben oder wird aufgemischt, was dem Zürcher Regierungsrat nur guttäte. Mario Fehr, der mit Abstand bestgewählte, sollte eigentlich in die Volkswirtschaftsdirektion wechseln, um den Wirtschafts- Standort Zürich weiterhin erfolgreich in die Zukunft zu führen. Die letztgewählte Carmen Walker Späh könnte im Gegenzug die gut organisierte Sicherheits-und Sozialdirektion von Mario Fehr übernehmen. Die Juristin Silvia Steiner sollte in die Justizdirektion wechseln und Jacqueline Fehr die Bildungsdirektion überlassen. Mehr als ein Wunschtraum ist das nicht, zu bequem sitzen die Frauen und Männer in ihren bisherigen Regierungs-Stühlen.

Alles ganz anders in Berlin. Dort beginnt nach den Wahlen erst recht der Kampf um die Herrschaft, möglicherweise gar wochenlang. Obwohl die CDU mit 28% der Stimmen weit vor der SPD (18%) und Grünen (18%) zu liegen kam, ist sie noch weit vom Regierenden Bürgermeister-Amt entfernt. Sie braucht eine der Parteien, um im Abgeordneten-Haus über eine Mehrheit zu verfügen, die sicherstellt, dass Kai Wegner, der recht farblose CDU-Chef, sicher zum Chef der neuen Regierung gewählt werden kann.

Ironie des Schicksals, die bisherige Regierung aus SPD, Grünen und der Linken mit Franziska Giffey (SPD) an der Spitze könnte ohne weiters weiterregieren; gemeinsam verfügt sie, trotz massiven Einbussen bei den Wahlen, mit 90 der 159 Sitze weit über die notwendige Mehrheit im Abgeordneten-Haus hinaus. Die CDU setzte sich bereits vor den Wahlen ins Abseits, weil sie lautstark betonte, dass sie weder mit der SPD noch mit den Grünen regieren wolle. Und jetzt? Will sie als stärkste Partei regieren, bleibt ihre nichts anders übrig, als mit der SPD oder den Grünen zu koalieren. Nun wollen die beiden nicht mehr.

Wo funktioniert nun die Demokratie besser? In Berlin, wo 64% an der Wahl teilnahmen oder im Kanton Zürich, wo mit 35% nur ein gutes Drittel der Wahlberechtigten bestimmte, wer den Kanton in den nächsten vier Jahren regiert.

Im Kanton Zürich nimmt alles seinen gemächlichen, seinen gewohnten Lauf, keine Experimente, schon gar keinen Aufbruch zu neuen Ufern. Kann man daraus folgern, dass die Zürcherinnen und Zürcher schlicht mit der aktuellen politischen Situation zufrieden sind? Oder sind sie zu bequem, wie die NZZ mit ihrem Leitartikel in der Wochenend-Ausgabe mit der Schlagzeile «Republik der Bequemlichkeit» vermutet. Oder schlummert in den Hinterköpfen die leise Hoffnung, mit Referenden, Initiativen letztlich selbst, auch ohne Wahlbeteiligung, Einfluss auf die Politik nehmen zu können?

Genügt das aber in einer Zeit, wo so vieles passiert, wo ein Krieg fast vor der Haustüre stattfindet, wo ein Erdbeben uns erbebt, der Klimawandel zu rigorosen Massnahmen zwingt, zumindest zwingen sollte?

Bisher haben in Berlin die Sozialdemokraten den Ton angegeben. Diesmal haben über 60’000 ehemalige SPD-Wählerinnen und -Wähler die CDU gewählt; sie wollten ihrer Partei wohl die rote Karte zeigen. So nicht. Berlin wird die schwierige Regierungsbildung irgendwie überleben. Die 64% der Wahlberechtigen haben so entschieden. Sie haben in der repräsentativen Demokratie in Deutschland nur bei Wahlen eine Chance, Einfluss zu nehmen. Sie sind aber mit dafür verantwortlich, dass sie eine so schwierige Situation zur Regierungsbildung geschaffen haben.

Genauso wie die 64,5% der Zürcher Stimmberechtigen, die auf ihr Wahlrecht verzichtet haben, mitverantwortlich dafür sind, dass so regiert wird, wie jetzt weiterhin regiert wird.

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1 Kommentar

  1. Mit Ihrer Kernaussage: Nichtwählende sind mitverantwortlich, bin ich vollkommen einverstanden. Das wichtigste Instrument unserer direkten Demokratie, die Mitbestimmung mittels Abstimmung, wird in der Schweiz m.E. viel zu wenig gewürdigt. Bei einer durchschnittlichen Wahlbeteiligung um die 30 % kann man nicht mehr vom Volkswillen reden. Das finde ich einfach gschämig und gefährlich, denn es verfälscht und vertieft den Graben zwischen der Bevölkerung und der Politik. Selbst schuld, dass es bei uns nicht vorwärts geht, oder?
    Da sind die Berliner mutiger. Sie entmachten kurzerhand die lange regierende SPD und geben das Zepter und die Macht an die verbannte CDU. Diese kann zwar nun nicht alleine regieren und hat die Qual der Wahl resp. ist auf den Goodwill einer Partei angewiesen, die mit ihnen zusammen regieren und die Verantwortung in der Politik übernehmen will. Da lob ich mir die repräsentative Demokratie Deutschlands. Denn, was ist eine direkte Demokratie wert, wenn sich Zweidrittel der Bevölkerung einen Deut darum schert, was bei uns Gewicht und Bedeutung für die Zukunft haben soll? Zumal immer mehr Stimmen durch eingekauftes Personal geholt werden und ohne genügend Geld in der Parteikasse bei Abstimmungen nichts mehr geht. Das muss uns doch zu denken geben.

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