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Zeichnungen aus dem Boudoir

Es ist eine kleine, intime Werkschau, die das Zürcher Kunsthaus zum, ja, man muss schon sagen «heimlichen» Schaffens des in Zürich geborenen Malers Johann Heinrich Füssli im zweiten Stock des Chipperfield-Baus präsentiert. Grafiken, die zu Lebzeiten des Künstlers wohl unter Verschluss gehalten worden sind.

Füsslis Monumentalwerke, Visionen, Fantasien, Alpträume, 2006 im grossen Bührlesaal gezeigt, waren das offizielle Werk des überwiegend in England lebenden Malers. Mit den rund 60 jetzt gezeigten Zeichnungen wird eine andere Seite des als Henry Fuseli in London berühmt gewordenen Künstlers beleuchtet. Wobei «beleuchtet» übertrieben ist. Der Ausstellungsraum, ganz in dunklem Blau gehalten, erinnert vielmehr an ein intimes Boudoir, und harmoniert so voll und ganz mit den Exponaten.

Bilder aus dem «Giftschrank»

Dass Künstler früher, neben ihrem offiziellen und in Ausstellungen präsentierten Schaffen irgendwo noch einen «Giftschrank» hüteten, mit Grafiken meist, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, ist ein wohlbekannter Fakt. Dass solch private Werke, in der Regel lange nach dem Tod des Urhebers, ab und zu trotzdem gezeigt werden, hat mit den gelockerten Moralbegriffen zu tun. Was früher unanständig, ja obszön war, bringt heute auch empfindsame Gemüter kaum mehr in Wallung.

Halbfigur einer Kurtisane mit Federbusch, Schleife und Schleier im Haar um 1800- 1810. (Alle Bilder Kunsthaus Zürich)

Das gilt auch für die Ausstellung «Füssli. Mode – Fetisch – Fantasie» im Zürcher Kunsthaus, kuratiert von Jonas Beyer. Empfangen wird man von Rückenansichten durchaus anmutiger, eleganter Frauen. Wobei die wohlproportionierten Körper, verborgen unter fliessenden Gewändern, keineswegs die Hauptrolle spielen. Nein, es sind die Frisuren, die im Mittelpunkt stehen. Aufwendig verflochtene, aufgetürmte, mit Bändern, Federn und anderem Zierrat beladene Kreationen, die aus Frauen so etwas wie exotische Pflanzen – oder Zirkuspferde – machen.

Schauspielerinnen und Kurtisanen

Da in Füsslis Biografie ein Hinweis fehlt, dass er sich vertieft mit dem Coiffeur- Handwerk befasst hätte, muss angenommen werden, dass er aus rein künstlerischen Motiven sich intensiv mit dem Kopfschmuck der Frauen auseinandergesetzt hat. Wobei anzunehmen ist, dass auch im späten 18. Jahrhundert nicht die ganze Damenwelt mit so kunstvollen Haartürmen durch den Alltag stolziert ist. Es waren vor allem, von Galas in Adelskreisen mal abgesehen, Schauspielerinnen und Kurtisanen, die mit solchen Gebilden auf dem Kopf auffielen.

Sophia Füssli mit grossem Hut, schlafend, um 1795.

Und Sophia, Füsslis Frau. Sie war zuerst sein Modell und er malte sie auch während der Ehe immer und immer wieder. Manchmal mit Hut, oft aber mit so exaltierten Frisuren, dass man geneigt ist zu denken, die schöne Sophia habe auf ihrem Kopf – oder an Perücken – ihre eigene künstlerische Ader ausgelebt und sich erst dann zeichnen lassen. Das wären dann Gemeinschaftswerke und sehr charmante dazu.

Ansonsten hielt sich Füssli an Kurtisanen. Das sind, der Ausdruck ist schon lange nicht mehr geläufig, die Prostituierten der besseren Kreise, die sich durchaus selbstbewusst und herausfordernd präsentierten. Aber auch hier: Abgesehen von ab und zu einem durchsichtigen Kleid mit nichts darunter, einem aus Rüschen blitzenden Busen, einem den Betrachtenden zugewandten Hinterteil, wird der weibliche Körper kaum mehr als angedeutet. Es sind die Frisuren, vielleicht noch die geschminkten Gesichtern, die Füssli betont.

La Débutante, um 1807. Vielleicht auch eine Allegorie auf das Märchen «Aschenbrödel», mit dem am Hals gefesselten Mädchen und den Bösen Verwandten.

Der Begriff «Fetisch» kommt der Sache da schon nahe. Denn Füsslis Frauen sind keine hingegossenen, anschmiegsamen Wesen sondern starke selbstbewusste Frauen. Das zeigen auch die wenigen Zeichnungen, auf denen Männer zu sehen sind. meist nackt oder als Krieger. Es bräuchte etwas Tiefenpsychologie, um diese Konstellationen zu entschlüsseln. Nur: Lassen wir doch dem Künstler sein Vergnügen – oder seine Kritik? – an exaltierten Haargebilden und geniessen seine Arbeiten aus den Boudoirs der Künstler- und Halbwelt.

Die Ausstellung «Füssli. Mode – Fetisch – Fantasie» im Kunsthaus Zürich wird bis zum 21. Mai im zweiten Stock des Chipperfield- Baus gezeigt.

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5 Kommentare

  1. Beim Namen «Füssli» dachte ich spontan an unseren obersten Militär als Vorbild eines braven Mannes, und als ich dann Ihre Vorstellung und Bilder des Künstlers Füssli erfasste, fragte ich mich, was ersterer wohl zum ergänzenden Oeuvre seines Namensvetter denken würde :-).

    Spass beiseite, es ist doch erstaunlich, dass immer wieder obszöne Frauendarstellungen früherer Zeiten, wenn sie nicht schon weltbekannt in Museen hängen, zum Vorschein kommen. Die alten Griechen hatten sich zu ihrer Zeit ja mit blutten Jünglingen hervorgetan und diese stehen immer noch z.B. als Marmorstatuen zum Bestaunen herum. Also warum sollten neu aufgetauchte «Kunstwerke» halbnackter Amüsierdamen mit Hutkreationen à la Ludwig XIV, an dessen Hof die Damen sich auch mit hohen Hüten und Schuhen überboten, heute nicht auch entsprechend gewürdigt werden?

    Ich bin gespannt, was die Zukunft in der Kunstszene oder gar als Fasnachtssujet noch hervorbringt. Vielleicht Bilder zweigeschlechtlicher Wesen oder so? Es braucht sicher weitere 100 Jahre, bis die Kunst sich gendergerecht offenbaren wird.

  2. Aber aber, Frau Mosimann, obszöne Frauendarstellungen, gekonnt gezeichnet und gerahmt?
    Füssli war nicht nur Maler und Schriftsteller, sondern auch studierter Theologe. Und gewissermassen ein Fetischist, ein Haarfetischist. Alle Begabungen und Präferenzen unter einen Hut zu bringen, war Mitte des 18. Jahrhundert anscheinend gut möglich. Und Sophia, sein Modell und spätere Frau war wirklich ein reizendes Wesen; wer hätte da nicht auch gerne ein bisschen gezeichnet?
    Den Menschen so darzustellen, wie er eben ist, hat die Künstler schon immer beschäftigt. Nicht umsonst sind die Akt-Kurse nach wie vor sehr gut besucht und beileibe nicht nur von alten Männern. Ein bisschen Voyeure sind alle, vielleicht etwas verschämt oder eben nicht. L’art c’est l’art, Neugierige bewundert sie, andere konsumiert sie. Auch Frau X steht in Florenz vor Michelangelos David und sagt sich, na ja, mein Fritz ist nicht so schön und muskulös, dafür aber im Detail nicht so bescheiden. Möglichweise weiss sie nicht einmal, dass sie vor einer Kopie steht, allerdings absolut getreulich nachgebildet.
    Die Kunst drückte sich schon eher aus, als das Gendern überhaupt in Mode kam. Zweigeschlechtliche Menschen, androgyne Wesen, bei denen auch beim zweiten Hinsehen nichts klar ist, gibt’s es schon seit frühesten Darstellungen. Neu ist lediglich das zwangshafte Outing, naturellement toujous à mon avis.

    • Was heisst da aber, aber Frau Mosimann. Ich bin jedwelcher Kunst gegenüber sehr offen und was sollte ich um Gotteswillen gegen gemalte nakte Menschen haben? Ich amüsiere mich nur gerne über die immer wieder neu auftauchenden Männerfantasien, besonders bei Frauendarstellungen. C’est tout Monsieur.

  3. Madame, es war das «obszön», das mich zur Feder greifen liess.
    Einst, es mag 60 Jahre her sein, war ich der einzige Mann im Kurs mit 14 Damen etwas späterer Jahrgänge. Als Modell, seitdem weiss ich, es gibt auch Frauenphantasien.

    , es
    gibt auch Frauenphantasien.

    • Naturellement Monsieur, nur durften wir Frauen diese lange nicht ausleben und in Kunst umsetzen. Es war nur dem Manne vorbehalten diese Fantasien auf Papier zu bringen. Wir durften über Jahrhunderte die Muse eines Künstlers sein, aber selber nicht künstlerisch tätig sein, und wenn wirs trotzdem wurden, war es ein sehr schwerer Weg auch von den Galerien als solche wahrgenommen zu werden, besonders in der Schweiz. Es ändert sich zum Glück. Es werden immer mehr Malerinnen ausgestellt und das ist gut so.

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