Geflochten, geknüpft, geschnürt, gewebt: Sheila Hicks arbeitet mit Wolle, Seide und anderen Fasern. Ihre Arbeiten sind in der LOK des Kunstmuseums St. Gallen ausgestellt.
Der Erfindungsreichtum von Sheila Hicks ist überwältigend. Die seit 1964 in Paris lebende Amerikanerin spielt mit Naturmaterialien in atemberaubenden Farben. Aus Wolle, Leinen, Seide knüpft, spinnt und webt oder schnürt sie immer wieder neue Formen. Es können riesige Objekte, aber auch ganz bescheidene Webarbeiten vom Handwebrahmen sein, die sie zwischendurch erstellt, vielleicht eine Art Skizzenblock für sie.
Installationsansicht. Im Vordergrund Menhir, 1998 – 2004, Leinen, Baumwolle, rostfreier Stahl. Im Hintergrund: Somewhere to Go, Pigmentierte Acrylfaser.
Die Ausstellung A little bit of a lot of things (Ein wenig von Vielem) passt wunderbar in den grossen Raum der ehemaligen Lokremise. Die Architektur kommt durch ihre Dimension und ihren industriellen Charakter dem Raumgefühl von Sheila Hicks entgegen. Ihre textilen Eingriffe, darunter der Berg aus blauer Wolle oder die zwei monumentalen textilen Säulen verändern den Raum grundlegend, die weichen Skulpturen erzeugen eine starke Präsenz, und trotz der riesigen Dimensionen fühlen sich die Besucher wohl.
Basis des Menhirs.
Sheila Hicks ist eine Ausnahmekünstlerin von internationalem Ruf. Ihre Werke werden auf internationalen Ausstellungen und in bedeutenden Museen gezeigt. In St. Gallen ist es nun gelungen, die Künstlerin erstmals in der Schweiz in einer Museumsausstellung präsentieren.
Noch mit 88 Jahren ist Hicks stets auf der Suche nach neuen Wegen. Seit über 60 Jahren arbeitet sie an ihrem vielseitigen und einzigartigen Opus. Hier sind Werke aus rund sechzig Jahren versammelt.
Filet, 1991, Fischernetze, zweiteilig, ausgebreitet 200 cm.
Was beeindruckt: Die Schaffenskraft von Sheila Hicks ist auch heute ungebrochen. Das zeigt der Einblick in die aktuelle Produktion. Besucher können die Vielfalt erleben, von kleinen Wandteppichen aus feinem Garn bis hin zu raumgreifenden Installationen mit Anklängen an anthropomorphe Formen, etwa eine Art Haarschopf.
Der Abbau von Schwellenangst ist dem neuer Direktor des Kunstmuseums, Gianni Jetzer, davor bis 2006 Leiter der Kunsthalle, ein Anliegen. Die mächtige Ex-Industriehalle – einst für den Unterhalt von Dampflokomotiven erbaut – ist eine spektakuläre und notwendige Erweiterung der Museumsräume. Mit einem Restaurant und dem Kino Kinok ist eine Kulturmeile entstanden, die ein breiteres Publikum ansprechen kann.
Right to Speak (Droit de Parole), 2022. Bambus umhüllt mit pigmentierten Acrylfasern, Leinen, Baumwolle.
Gleich am Eingang in die grosse Halle erblickt man eine Serie von Sprechstäben. Nicht nur in indigenen Völkern sondern auch in der Kommunikation von Schulklassen kommen Sprechstäben eine wichtige Funktion zu: Der Stab in der Hand gibt dem einzelnen Gruppenmitglied das Recht zu sprechen und angehört zu werden.
NEXTTOINININMINIIROONN, 2022, Leinen. Seide, Wolle, Baumwolle, Kunstfaser, 24-teilig. Courtesy Galleria Massimo Minini
Sheila Hicks vermittelt zwischen Kulturen. Eingeflochten und eingewoben in ihr Werk sind Praktiken indigenen Textilhandwerks aus Südamerika und aus Indien. Sie entziehen sich westlichen Vorstellungen von Textilkunst. Es ist spannend zu sehen, wie die Künstlerin in jahrzehntelanger Auseinandersetzung Grenzen von Medium und Material erweitert und traditionelle Techniken als Mittel in einem multikulturellen Dialog einsetzt.
After the Rain, Leinen, Wollzwirne auf Leinen genäht, 2005.
Hicks‘ gewobene, gestickte und eingeschnürte Werke aus Natur- und Kunstfasern überschreiten skulpturale und bildliche Grenzen und stossen in neue Räume vor.
Installationsansicht mit textiler Säule. Foto Stefan Altenburger, © 2023, ProLitteris, Zurich
Die Frage, ob ihre Werke Kunst oder Kunsthandwerk seien, geht von einer polaren Zuschreibung aus, die mit der Feststellung endet, dass die Grenzen zwischen bildender und angewandter Kunst sich schon längst geöffnet haben. Auch die Reduktion auf typische Frauenkunst ist längst nicht mehr angebracht und wird dem künstlerischen Anspruch nicht gerecht.
Minimes II, Delicious, 2021, Schwertmuschelschalen.
Hicks’ Werke reichen von winzig bis monumental. Ihre verwendeten Materialien variieren genau wie Größe und Form ihrer Werke. Sie gestaltet aus farbenfrohen Garnresten Minimes (Miniatur-Webereien), die von Reisen inspiriert sind. Unter Einbezug lokaler Fasern schuf Sheila Hicks auf ihren Reisen nach Lateinamerika tagebuchartige Bilder als Reaktion auf traditionelle Kulturen, Menschen und Landschaften.
Webarbeiten (Minimes), inspiriert von präkolumbianischen Motiven.
Jedes Material, so die Auffassung der Künstlerin, spreche eine eigene Sprache, die sich aus dessen jeweiligen Eigenschaften ergäbe, nämlich aus Farbe, Dichte und haptisch-taktiler Qualität. Diese Vermischung stellt die Werke in einen oft unerwarteten und überraschenden Diskurs.
Carnaval in Orbit, 2021/2022, 100 cm Durchmesser, Ausschnitt.
Ein wenig von Vielem, A little bit of a lot of things lässt zahlreiche Assoziationen anklingen, die eine weite und reiche Poesie entfalten und ermöglicht, das hierzulande noch kaum bekannte Schaffen der Künstlerin Sheila Hicks kennenzulernen.
Titelbild: Sheila Hicks vor dem Objekt Somewhere to Go. Foto: © R. und E. Bühler
Fotos (wenn nicht anders vermerkt): © Justin Koller.
Bis 2. April
Informationen zum Besuch der Ausstellung A little bit of a lot of things