Er war ein Wunderkind, prägte das Musikschaffen im Bereich Chorgesang wie kaum ein zweiter Schweizer: Hans Georg Nägeli, in Wetzikon im Zürcher Oberland geboren. Die Musikerziehung des Volkes war ihm, getreu der Grundsätze Pestalozzis, ein lebenslanges Anliegen. Nun feiert Wetzikon den 250. Geburtstag des grossen Musikpädagogen, Verlegers und Komponisten mit einer ganzen Reihe von Veranstaltungen.
«Freut Euch des Lebens» heisst die neu eröffnete Ausstellung im Museum Wetzikon. Sie verweist damit auf eines der populärsten Musikstücke dieses Pioniers des Chorgesangs, der bereits als 17-Jähriger aus dem dörflichen Umfeld ins «grosse» Zürich zog und später mit seinem Schaffen die europäische Chormusik und die Hausmusik jener Zeit ganz entscheidend prägte. Er gründete in der Schweiz – damals die Helvetische Republik – Gesangsvereine, Musikgesellschaften und organisierte grosse Choranlässe.

Man muss sich diese Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts vor Augen führen: Ein eigentliches Musikschaffen gab es in den grösseren Zentren, während sich Musikanlässe auf dem Land fast nur auf Kirchenlieder, Hausmusik und die Tanzmusik an Volksfesten beschränkten. Anders in Wetzikon. Dort gründete Pfarrer Johannes Schmidlin bereits 1755 die Singgesellschaft Wetzikon, die als erster Gesangsverein weltweit gilt und heute als Musikkollegium immer noch besteht. Er initiierte damit eine Musik- und Gesangkultur, die als «Wetziker Schule» bekannt wurde. Schmidlin starb ein Jahr vor Nägelis Geburt. Trotzdem darf dieser als «Erbe» der Wetziker Musiktradition bezeichnet werden.
Gründer des nachmaligen «Musik Hug»
Auch Hans Georg Nägeli war der Kirche verbunden. Sein Vater war der Dorfpfarrer und erkannte früh die musikalische Begabung seines Jüngsten. Diesen zog es früh weg aus der dörflichen Enge. Als 17-Jähriger baute er in Zürich eine Musikalienhandlung auf mit einer Leihbibliothek, die ihm Kontakte in ganz Europa verschaffte. Er verlegte Werke so grosser Namen wie Ludwig van Beethoven oder Johann Sebastian Bach. Viel Geld verdiente er nicht damit, zumal er sich daneben im Bereich Chorgesang stark engagierte und ein stattliches Werk an mehrstimmiger Vokalmusik schuf, Chöre gründete und leitete und als Musikpädagoge tätig war. Die Pfarrfamilie Hug aus Thalwil griff ihm finanziell unter die Arme und übernahm später die Musikalienhandlung – den «Musik Hug» gibt es heute noch.
Blick in die Ausstellung. Die Harfe ersetzt in vielen Bürgerfamilien das Klavier. (b.r.)
Zurück zum Wetziker Museum. Das konnte aus dem Vollen schöpfen, besitzt es doch eine grosse Sammlung von Briefen, Noten und Schriften des Musikers. Sehr bilderlastig war die Zeit Nägelis allerdings nicht, sodass es nicht leicht war, aus der Fülle vergilbter Exponate ein lebendiges Porträt dieses Pioniers der Vokalmusik zu schaffen. Der Kuratorin Sibylle Ehrismann vom auf Musikthemen spezialisierten Büro Artes und dem Grafiker Daniel Reichlin, Inhaber des Werbebüro Ideal in Jona, gelang es, zusammen mit der Museumsleiterin Gabriela Flüeler ein Zeitdokument zu schaffen, das nicht nur informiert, sondern auch unterhält und überrascht.

So stehen eine Harfe – die günstigere Version eines Klaviers und deshalb in etlichen Bürgerhäusern zu finden – aber auch eine Orgel in den Räumen. An Monitoren sind Elemente elektronisch abrufbar, auch die Herstellung einer Druckplatte für Noten wird demonstriert. Natürlich dürfen auch Tondokumente nicht fehlen. Dank Ehrismanns Beziehungen zum SRF-Radioarchiv sind diverse Einspielungen von Werken Nägelis und neuere Aufnahmen des Frauenchors Bubikon zu hören. Im Obergeschoss, auf einer flächig ausgebreiteten Karte Europas zur Zeit Nägelis, spricht der Jubilar persönlich zu den Gästen: Am Bildschirm bewegt ein im Stile Loriots gezeichnetes Porträt synchron die Lippen zu Texten des Musiker – (nach)-gesprochen von einem Schauspieler. Lebendiger geht fast gar nicht mehr.
Die Ausstellung im Museum Wetzikon dauert bis zum 29. Oktober. Man beachte die etwas speziellen Besuchsregelungen unter hgn250.ch oder museum-wetzikon.ch.