StartseiteMagazinGesundheitGute Lebensqualität trotz Parkinson?

Gute Lebensqualität trotz Parkinson?

«Parkinson» scheint eine niederschmetternde Diagnose zu sein. Von ihr sind in der Schweiz mehr als 15 000 Personen betroffen. Kann trotz dieser unheilbaren Krankheit ein möglichst selbstbestimmtes Leben mit guter Lebensqualität geführt werden?

Mit medizinisch-medikamentösen Therapien allein ist eine relatives Wohlergehen  für Menschen mit einer Parkinsonkrankheit schwer zu erreichen. Bei dieser langwierigen, sich langsam entwickelnden Krankheit braucht es vor allem vielfältige Formen der Alltagsunterstützung, der Betreuung und Begleitung durch Angehörige und professionelle psychosoziale Fachdienste. Da fehlen für Parkinsonbetroffene oft sinnvolle Angebote und deren Finanzierung von Betreuung zuhause. Gefordert ist die Politik! Parkinson Schweiz unterstützt Betroffene und Angehörige auf vielfältige Weise. Seniorweb fragt nach.

Seniorweb: René Gossweiler, welche Symptome erschweren die Alltagsgestaltung von Parkinsonpatienten und Patientinnen?

René Gossweiler: Die Symptome können sehr unterschiedlich sein, je nachdem ob eher das Gehen oder die Arme/Hände betroffen sind. 30% der Betroffenen zittern nicht und die Verlangsamung der Bewegungen ist unterschiedlich. Betroffene sagen oft: Ich kann noch alles machen, aber alles zusammen ist zu viel, es braucht viel Energie. Unangenehm für Betroffene und Angehörige ist auch, dass Blockaden plötzlich auftreten können. So kann jemand locker vom Tisch aufstehen – eine halbe Stunde später geht aber nichts mehr. Dasselbe beim An- und Ausziehen der Kleider. Tagsüber kann es gut gehen, man braucht vielleicht nur ab und zu kleine Hilfeleistungen. Sind diese nicht gewährleistet, können Betroffene kürzer oder länger in ihren Bewegungen wegen Dopaminmangel blockiert sein und so beispielsweise zu spät auf die Toilette kommen.

Was können in der Anfangsphase der Krankheit Betroffene selbst tun, um von der Krankheit im Alltag nicht allzu sehr eingeschränkt zu werden?

Bewusste Bewegungen sind vom Dopaminmangel weniger betroffen (© Gabi Vogt).

Neben den Medikamenten ist Bewegung die beste Therapie. Es lohnt sich hier Zeit zu investieren. Eine adäquate Physiotherapie ist auch wichtig und gut. Die Art der Bewegung ist weniger wichtig als die Freude, sich zu bewegen. Wenn man Freude an bestimmten Bewegungen hat, macht man sie öfters und länger.

Reflexe und bewusste Bewegungen sind vom Dopaminmangel weniger betroffen. Daher können Betroffene auch mit einer Verlangsamung oft noch gut Ping Pong spielen. Wir bieten auch Kletterkurse an. Es gibt Betroffene, die Mühe haben in automatisierten Bewegungen auf dem Trottoir zu gehen, aber problemlos in voller Konzentration eine Kletterwand erklettern können.

Kreative Lösungen bei Einschränkungen sind von Betroffenen und Angehörigen gleichermassen gefragt. Es lohnt sich, schon früh zu trainieren und nach Hilfe zu fragen bzw. Hilfe anzunehmen.

Parkinson Schweiz hat ein grosses Netz von Selbsthilfegruppen aufgebaut. Welche Chancen bietet die Teilnahme an Selbsthilfegruppen?

Tun, was Freude macht (© Gabi Vogt).

Viele Betroffene sagen, es tue gut, sich mit Menschen auszutauschen, welche ähnliche Erfahrungen machen. Es braucht für sie keine Erklärungen, wenn man mitten in einem Vortrag aufstehen muss, beim Essen nicht mehr am Gespräch teilnehmen kann oder es 2-3 Minuten braucht, bis eine Antwort kommt. Untereinander kann man immer wieder kreative Lösungen für Einschränkungen austauschen. Selbsthilfegruppen sind eine Ideenbörse, die einem Anregungen zum Umgang mit der Krankheit im Alltag geben – Hilfe zur Selbsthilfe.

Mit dem Fortschreiten der Krankheit braucht es zunehmend Unterstützung von nahen Angehörigen. Wie werden sie in der Bewältigung ihrer Betreuungsaufgaben unterstützt?

In der Anfangsphase der Krankheit geht es dem Angehörigen gut, wenn es dem Betroffenen gut geht. Später, wenn es für die Angehörigen zu streng wird, immer auf Pikett zu sein, braucht es Entlastung. So kann es entlastend sein, wenn Angehörige regelmässig einen halben oder ganzen Tag etwas machen können, ohne auf Pikett zu sein. Externe, punktuelle Unterstützung oder externe Tages- oder Nachtangebote wirken oft entlastend.

Wer unterstützt, wenn enge Vertraute fehlen?

Da fehlen für Parkinsonbetroffene oft sinnvolle Angebote. Einmal mehr ist Kreativität gefragt. Können Nachbarinnen und Nachbarn regelmässig oder in Notfällen unterstützen? Wenn man sich schämt, um Unterstützung zu fragen, kann man vielleicht auch etwas anbieten: einen Betrag pro «Einsatz» oder pro Zeiteinheit, eine günstigere Wohnungsmiete…Kann ein Student oder eine Studentin in der Nacht helfen? Ist eine alleinerziehende Mutter froh, wenn sie für Einkäufe finanziell entschädigt wird? Vielleicht hat jemand Freude den Garten zu pflegen, wenn er auf einigen Beeten sein eigenes Gemüse anpflanzen kann…

Wann ist die Einweisung in ein Heim oder ein Spital unausweichlich?

Unter den heutigen Bedingungen wird leider oft eine Heimeinweisung ein Thema, wenn Hilfe mehrmals und regelmässig in der Nacht notwendig ist. Angehörige schaffen es nach einer gewissen Zeit nicht mehr, mehrmals in der Nacht aufstehen zu müssen. In einigen Kantonen gibt es Nachtkliniken, was sehr hilfreich ist, wenn sie bezahlbar sind. Sonst bleibt nur eine Nachtwache, die aber weder von der Krankenkasse noch über die Ergänzungsleistungen vergütet wird. Dann bleibt nur den Eintritt ins Heim. Zwischendurch trotzdem Tage daheim zu verbringen kann guttun.

Werden Angehörige, wenn Sie ihr Arbeitspensum reduzieren, um mehr Zeit für die Betreuungsarbeit ihrer Geliebten zu haben, entschädigt?

Neu gibt es für die Angehörige zumindest die Möglichkeit, sich über die Organisationen Asfam oder Solicare und in einigen Kantonen über die normale Spitex anstellen zu lassen. So können Angehörige zumindest für die von den Krankenkassen anerkannten Leistungen einen Lohn beziehen. Zu erwähnen ist hier noch die Hilflosenentschädigung. Aber leider decken diese Leistungen in der Regel den Lohnverlust nicht.

Wie werden externe Formen der Alltagsunterstützung und Betreuung finanziert?

Im IV-Alter, also vor dem AHV-Alter hat man Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung, die allerdings minimal ist. Zudem gibt es in gewissen Fällen Assistenzbeiträge, wenn Private Hilfeleistungen für Betroffene zuhause erbringen. Im AHV-Alter geht man leer aus und erhält keinen Assistenzbeitrag. Da besteht die Gefahr, dass man aus finanziellen Überlegungen einen Heimaufenthalt vorzieht. Auch deswegen ist die Finanzierung von Betreuung zuhause so wichtig. Da ist die Politik gefordert! Und wir als Stimmberechtigte ebenso!

Wo sehen Sie Handlungsbedarf, um die Lebensqualität von Menschen mit einer Parkinsonerkrankung zu verbessern?

Informationen und eine gute Beratung, um gemeinsam kreative Lösungen zu finden, ist sicher ein wichtiger Schlüssel. Generell gilt, dass die Bedürfnisse der Betroffenen im Zentrum stehen und Ausgangspunkt für die Suche nach passenden Angeboten sind und nicht, dass die Betroffenen sich mit ihren Bedürfnissen den herrschenden Angeboten anpassen müssen.

Besten Dank für das Gespräch!

Titelfoto: René Gossweiler im Beratungsgespräch (©Parkinson Schweiz)

René Gossweiler ist Sozialarbeiter FH mit CAS in Sozialversicherungen und CAS in Gerontologie. Seit 2009 ist er Leiter Beratung bei Parkinson Schweiz.

Link zur Website der Parkinson Schweiz: https://www.parkinson.ch

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