StartseiteMagazinKolumnenDie Schweiz macht keine «bella figura»

Die Schweiz macht keine «bella figura»

Symbolträchtiger geht es nicht. Im moldawischen Dorf Bulboaca auf Schloss Mimi, an der Grenze zur Ukraine, fand statt, an das wir uns erst noch gewöhnen müssen: ein Gipfeltreffen besonderer Art, ein geradezu noch unbekanntes Wesen, beziehungsweise politisches Forum. Von den 50 europäischen Staats-und Regierungs-Chefinnen und -Chefs waren 47 nach Moldau gereist, um zu zeigen, welche Kraft von einem geeinten Europa ausgehen könnte. Erst zum zweiten Mal trafen sie sich als EPG, als Europäische Politische Gemeinschaft. Eine erweiterte Europäische Union EU mit Grossbritannien, Norwegen, der Schweiz und Liechtenstein, mit den EU-Beitrittskandidaten aus dem Balkan, aus Osteuropa und natürlich auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Drei fehlten, der wiedergewählte türkische Präsident Erdogan und zwei, die man explizit nicht dabeihaben wollte, deren Machtgehabe sich die EPG entgegenstellt: Russlands Putin und den belarussischen Diktator Lukaschenko. Ihnen sollte nicht nur vermittelt werden, dass sie sich selbst ausgegrenzt haben, dass sie mit ihrer menschenverachtenden Herrschaft, Putin zudem mit seinem aggressiven Angriffskrieg auf die Ukraine, die EPG stärker gemacht haben, dass der Drang der Länder der ehemaligen Sowjetunion, sich Richtung Westen zu orientieren, stark gewachsen ist.

Vollzogen wird mit dem Forum EPG, was der französische Staatspräsident Macron bereits in seiner stark beachteten «Versailler-Rede» im Juli 2017 angekündigt hatte: den europäischen Vereinigungsprozess stark vorantreiben zu wollen. Nicht zur Freude aller EU-Staaten. Insbesondere die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte der Vision des jungen Macron nicht folgen; sie bremste, wo sie nur konnte. Genauso wie sie Gerhard Schröders Absicht, die Türkei in die EU aufzunehmen, sofort blockierte, als sie ihm ins Kanzleramt folgte. So blieb die Türkei aussen vor. Wo die Türkei heute stehen würde, wie sie sich entwickelt hätte, lässt sich aufgrund der aktuell miserablen wirtschaftlichen Lage leicht erahnen. Die Türkei hätte wahrscheinlich einen Stand erreicht, der sich, gestützt und geleitet durch die europäische Zentralbank, mit den grossen Staaten der EU vergleichen liesse. Arme Türkei. Eine äussert knappe Mehrheit der Türkei hofiert weiterhin einem Mann, der das Land in den letzten 10 Jahren wirtschaftlich an die Wand gefahren hat.

Emmanuel Macron brauchte nicht weniger als beinahe sechs Jahre, bis es ihm gelang, die bereits 2017 angestrebte Europäische Politische Gemeinschaft EPG tatsächlich zu begründen. Die konkretisierte Form hatte er im Mai 2022 im Europaparlament in Strassburg vorgestellt. Dass bereits fünf Monate danach das Gründungstreffen stattfinden konnte, gilt mit Blick auf die sonstige Prozessgeschwindigkeit der EU als ausserordentliche Leistung. Die schnelle Umsetzung des Plans ist zweifellos ein Indiz dafür, wie sehr der Angriffskrieg Putins die Gründung forciert hat. Bereits zum ersten Gipfel waren die Regierungschefinnen und -chefs aus 44 Staaten nach Prag gereist: aus 27 EU-Staaten und 17 weiteren Länder Europas, auch Erdogan, der diesmal fehlte.

In Moldau mit dabei war auch unser Bundespräsident Alain Berset, der zu erklären hatte, warum sich die Schweiz so schwertut, Waffen indirekt, über EU-Staaten, an die Ukraine zu liefern. Der Grund ist klar, für gleichfalls demokratisch verfasste Staaten aber schwer verständlich: der rechtlich verbrieften Neutralität wegen. Immerhin konnte Berset darauf hinweisen, dass der Bundesrat eigentllch guten Willens ist, dass er 25 Leo 2-Panzer an die Hersteller in Deutschland zurückverkaufen will, damit unser Nachbarland die an die Ukraine gelieferten Panzer in der Bundeswehr ersetzen kann. Ob der Deal tatsächlich zustande kommt, ist noch völlig offen, weil das Parlament, insbesondere der Ständerat zögert zuzustimmen, die Schweiz sich damit einmal mehr als unsichere Kantonistin erweist. Bersets Glaubwürdigkeit, genauer die der Schweiz, steht damit auf dem Spiel. Da nützt es der Schweiz wenig, dass sie humanitäre und wirtschaftliche Hilfen im grossen Ausmass leistet. Die wird in Europa als selbstverständlich angesehen. Die hat ein reiches Land schlicht zu leisten. Arme Schweiz, selbst in diesem noch informellen Forum EPG, das den europäischen Einigungsprozesse vorantreiben, den Beitrittskandidaten als «Vorbahnhof» dienen soll, geben wir keine «bella figura» ab.

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4 Kommentare

  1. Was bis anhin noch ging

    Unter Freunden geniesst la Suisse grundsätzlich einen guten Ruf: tüchtig, pünktlich, zuverlässig. Wenn auch ein bisschen zu tüchtig und langweilig und etwas arglos. Schokolade, Uhren und Banken eben. Und in jeder Hinsicht ein bisschen stehen geblieben.

    Das hat zum Teil auch seine Richtigkeit. Obgleich unsere erste Heimat nach wie vor in den obersten Ligen mitspielt, in der Forschung, in der Wirtschaft, bei Innovationen und bis vor Kurzem im Finanzwesen, ist der Schweiz die Chance zu wirklich grossen Ideen abhandengekommen. Eines der grössten Werke, das Rote Kreuz, zerbricht beinahe an Inkompetenz, Kantönligeist und schamlosem Ego. Erinnern wir uns an die kürzlichen Bundesratswahlen. Kandidatinnen und Kandidaten, die niemanden wirklich zu begeistern vermochten. Gewählt wurden in der Folge die zwei Harmlosesten, die beim Parteienschacher um die Departement die Bürgerlichen bevorteilten. Dabei hätte es gerade der SVP angestanden, endlich mal zu zeigen, wie eine gescheite Lösung der Flüchtlingsfragen aussehen könnte. Aber in deren wichtigsten Tradition liegt ja in der Verhinderung von Lösungen. Ein ehemalige Vorsteher des EJPD hat deutlich gezeigt, wo die Kompetenzen in dieser Partei gelagert sind.
    Unter diesen Vorzeichen wurde die Schweiz in Moldau durch Alain Berset vertreten. Gerne hätte man mehr angeboten, hiess es, aber der böse Ständerat will partout nicht; so ist es eben mit der direkten Demokratie. E così la Svizzera fa bella figura con poca spesa.

    Monsieur Macron, definitiv unbeliebtester Präsident Frankreich, hat es geschafft, gegen sämtliche Widerstände in Europa und der nur scheinbar «mächtigsten Frau der Welt» die EPG zu begründen. Seine Vision, seinen Mut zu unpopulären Entscheidungen und sein Format sind endlich zur Kenntnis zu nehmen. In Europa und auch in der Schweiz.
    Leider: Gross zu denken ist keine typisch schweizerische Eigenart und wenn es einer trotzdem tut, wird er gleich zum definitiv unbeliebtesten Bundespräsidenten gewählt. So darf es einfach nicht weitergehen!

  2. Ich kann mich der Meinung von Herrn Weber nur anschliessen. Ein Italiener, der mit seiner Familie schon einige Jahre in der Schweiz lebt und diese durchaus schätzt, hat nach längerem Gespräch gemeint, schade, dass die Schweiz sich mit ihrem Selbstverständnis und ihrem fehlenden Mut Altes zu hinterfragen, im Weg steht. Er meinte noch, die Schweizer*innen seien ein Volk von Ja-Sagern.
    Ich schätze, die nachfolgenden Generationen werden die Ängste der Altvorderen hinter sich lassen, spätestens dann, wenn die rasanten Entwicklungen sie eines Besseren belehren. Leben heisst Veränderung, zum Glück für die Menschheit.

  3. Ihr Optimismus ehrt Sie, geschätzte Frau Mosimann. Die Hoffnung auf die kommende Generation ist trügerisch. Sie beschäftigt sich mit der Midlife-Crisis und steueroptimierenden Rentensäulen. Die Politik ist wenig attraktiv, wenn man in Kaderfunktionen in jeder Hinsicht bereits mehr als ein Bundesrat erwarten darf. Und wer dann noch zur Auswahl steht, war irgendwann ehemaliger Gemeindepräsident von Seldwyla und dank guter Führung vielleicht auch mal Bundesrat. Man hat den festen Eindruck, unsere Rätinnen und Räte wären immer noch in Seldwyla und hätten einen Reisepass in ihren Kantonsfarben. Solange man nach jahrelanger Wirkungslosigkeit einfach ein Departement weiterrutschen kann, solange man trotz ausdrücklicher Lustlosigkeit nicht zurücktreten muss, kann ich nicht an Ihre Hoffnungen glauben. Und solange mit konstanter Bosheit im Vierjahres-Rhythmus irgendwelche auch kleinste Veränderungen verweigert werden, ist das schweizerische Volk anderweitig beschäftigt. En France droht man mit einer erneuten Revolution, en Suisse stände im Communiqué aus dem Bundeshaus: Wegen fehlendem Interesse und Ressourcen ist die Revolution abgesagt.

    • Eine Revolution oder doch hin und wieder einen aufmüpfigen Streik fände ich gut für die Entwicklung der Schweiz. Vielleicht ist das Mitgehen am morgigen Frauenstreik ein Anfang. Besonders wenn man bedenkt, dass im Entwurf des Basler Gleichstellungsgesetz die Bezeichnung «Frau und Mann» gar nicht mehr vorkommen?? Übrigens im Kanton Genf ist diese Gesetzesänderung bereits Realität!

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