StartseiteMagazinKolumnenBehinderte sind bei uns invalid, unwert

Behinderte sind bei uns invalid, unwert

Hier schreibt ein zorniger alter Mann. Sie, die Sprachpolizei, verbietet uns, Indianer, Eskimo, oder Zwerg zu sagen. Na ja. Lassen wirs halt gut sein. Doch, gopfriedstutz: Die Schweiz hat eine Invalidenversicherung und bezeichnet damit Behinderte offiziell als Invalide, als Unwerte. Invalid heisst ungültig, unnütz. Da untersagen sie uns, Zigeunerschnitzel und Mohrenköpfe zu essen. Und benennen Behinderte als nutz- und wertlos. Das ist nicht schlimm, das ist ein Skandal. Es ärgert mich bis aufs Blut.

Um wieder Boden zu finden, wende ich mich Harmloserem zu. Die neuen Sprachregelungen sind kompliziert. Es ist zum Verrücktwerden. Halt, das darf man nicht sagen, physisch beeinträchtigt ist richtig. Wenn es doch nur eine Schwarze Liste gäbe, auf der wir nachlesen könnten, was zurzeit verboten ist. Ui, schon wieder falsch. «Schwarz» weckt negative Verbindungen zur kolonial besetzten Hautfarbe. Sensible Menschen sind denn auch bereits unterwegs, um an die Schwarzfahrern neue Bussen zu verteilen: «Passagier ohne gültigen Fahrausweis» steht drauf. Demzufolge müssen Schwarzmaler neue Farbe kaufen und die Bäcker auf Schwarzbrot verzichten.

Hier kämpfen Unwerte. Die offizielle Schweiz bezeichnet Behinderte als invalid, als unnütz. Bild freepik

Toast Hawaii als kulturelle Aneignung

Wir bleiben bei den Lebensmitteln. Kürzlich las ich, dass der Toast Hawaii einigen nicht mehr schmeckt. Von wegen kultureller Aneignung und so. Nirgends habe ich allerdings vernommen, dass die Bewohner dieser Insel sich deswegen protestierend unter den Palmen vereinigt haben.

Spannend ist auch zu erleben, wie sich die Katze in den Schwanz beisst. «Penner» ist ein mittlerweile nicht mehr ganz stubenreiner Begriff. Dies weil das Wort allerlei Unangenehmes ins Hirn projiziert, Alk und Dreck. Also musste der «Obdachlose» her. Tönt unverfänglicher und ein bisschen Herrjemine. Unterdessen hat aber auch dieser Ausdruck ein Gschmäckle. Nun ist in deutschen Amts- und Studierstuben eine neue Erkenntnis gereift. Der «Wohnungssuchende» ersetzt den «Obdachlosen». Womit ein neues Problem entstanden ist: Wie sagen wir jenen, die aktuell wirklich verzweifelt nach Wohnungen suchen? Vorpenner, Frühpenner, Baldpenner?

Der Häuptling ist ein Widerling

Eine beliebte Möglichkeit, sich nicht mit einem schmutzigen Ausdruck zu besudeln, ist die Abkürzung. So ist das N-Wort entstanden. In Deutschland ist seit kurzem der Häuptling verfemt. Die korrekte Schreibe lautet Hä-Wort. Die Silbe -ling sei herabsetzend, das zeige sich beim Flüchtling oder beim Widerling. Jetzt bangen der Frühling und der Schmetterling um ihr Renommée.

Jetzt noch ein paar Verbots-Delikatessen. Verpönt ist es, «zwei linke Hände» zu sagen. Dies weil Linkshändigkeit lange als negativ galt, ein Makel, den man mit Umerziehung zu eliminieren versuchte. Den Ausdruck «das kommt mir spanisch vor» ist zu vermeiden, weil damit ein Land herabgesetzt wird. Lustig: Im Italienischen sagt man «mi sembra tedesco», «das scheint mir deutsch».

Und zum Schluss: «Hipp Hipp Hurra» gilt als pfui weil es im Mittelalter der Schlachtruf der Kreuzzüge war. Halt, da habe ich noch einen allerletzten: Hautfarbene Wundpflaster gelten als unschicklich. Weil sich damit Starkpigmentierte (vgl. N-Wort) ausgeschlossen fühlen.

Penner ist pfui. Mohrenkopf ist schlimm. Eskimo ist igitt. Häuptling ist kolonialistisch. Aber in der Schweiz sind Behinderte invalid, ungültig.


Bundesrätin und VBS-Chefin Amherd unterstützte die Namensänderung

Immerhin hat sich auch die Eidgenössische Politik mit Mohrenkopf vs. invalid befasst. Die ehemalige Nationalrätin, die EVP-Politikerin Marianne Streiff, hat 2016 eine Motion eingereicht. Sie forderte, dass der Bundesrat im Regelwerk der Gesetze den diskrimierenden Begriff invalid ersetzt. Der Bundesrat lehnte die Motion ab. Er verstehe die Gründe, aber, zusammengefasst: «viel zu kompliziert».

Die Motion wurde innerhalb der vorgeschriebenen zwei Jahren in den Räten nicht behandelt. Sie gilt deshalb als abgeschrieben. 32 Mitunterzeichnende aus allen Parteien haben Streiffs Vorstoss unterstützt. Die Liste liest sich wie ein Promi-Zusammenzug. Unter den Unterschriften findet sich auch jene der heutigen Bundesrätin und VBS-Chefin Viola Amherd.

Was meinen Sie? Ist die Kritik am Namen Invalidenversicherung gerechtfertigt oder bloss Wortklauberei? Wir freuen uns, wenn Sie uns und unserer Leserschaft Ihre Meinung über die Kommentarspalte mitteilen.

Link zur Motion Streiff zur Invalidenversicherung

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2 Kommentare

  1. Ich kann Ihren Groll auf den manchmal ungerechten Umgang mit Wörtern in unserer Sprache verstehen. Das Adjektiv invalid meinte ursprünglich, dass einem Menschen etwas fehlt, z.B. früher die Gebrechen der im Krieg verwundeten Soldaten, im Gegensatz zu valid. Anfänglich betraf die Invalidität nur die offensichtlichen Makel des Körpers, heute sind auch die seelisch-geistigen Beeinträchtigungen mitgemeint und von der IV grundsätzlich anerkannt und werden finanziell abgegolten. Das Ziel einer IV-Rente ist in erster Linie die mögliche Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Bei Erreichen der Altersgrenze wird aus einer IV- eine AHV-Rente, wo wir wieder bei einem streibaren Thema wären.
    Wie so vieles in heutiger Zeit, ändert sich die Sicht der Menschen auf bisher Selbstverständliches rasant; die sozialen Medien tragen viel dazu bei und wie ich finde, nicht immer zu einer Verbesserung oder Klarheit. Wovon ich jedoch überzeugt bin, dass die gesprochene und geschriebene Sprache enorm wichtig ist für unser Selbstverständnis und den Umgang miteinander. Wenn sich Menschen mit Beeiträchtigungen verletzt fühlen, wenn man sie als invald betitelt, so sollte der Begriff öffentlich diskutiert werden, was, wie ich gelesen habe, auch politisch mit einem Vorstoss für einen neuen offiziellen Begriff, gerade geschieht.
    Analog zum Thema Invalidität sehe ich persönlich auch die immer noch dominante männliche Form in Sprache und Schrift. Nur weil Männer das Weltbild dokumentierten (die Frauen hatten ja nichts zu sagen) und nur eine Geschlechterform in Wort und Schrift dafür existierte, sogar Gott (der Herr) ist ja scheinbar männlich, muss die Hälfte der Menschheit, die Frauen, das nicht mehr hinnehmen. Es ist deshalb nur fair, auch die weibliche Form in unsere Sprache und das geschriebene Wort dem heutigen Geschlechterverständnis von Frau und Mann anzupassen. Wie das geschehen soll, ist m.E. zweitrangig, Hauptsache es wird gemacht.

  2. Es ist mehr als verletzend, Menschen mit einer Behinderung als unwert/ungültig zu bezeichnen. Wie sie darunter leiden, haben mir mehrere Betroffene und Angehörige mitgeteilt. Es ist höchste Zeit, dass wir diesen abwertenden Begriff «invalid» aus unserem Sprachgebrauch streichen. Danke, Herr Steiger, dass Sie das Thema aufgenommen haben.

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