StartseiteMagazinKulturEin Panorama der Klangmalerei

Ein Panorama der Klangmalerei

Beim Berliner Musikmonat in der Philharmonie wetteifern Spitzenorchester und -Chöre aus der halben Welt ums interessierte Publikum.

Noch ist nicht Halbzeit beim jährlichen Musikfest, aber das wohl aussergewöhnlichste Ereignis liegt in der Vergangenheit: die Aufführung von Hector Berlioz› Les Troyens, ein über fünf Stunden dauernder Abend, mit Spannung, dann mit Skepsis erwartet, am Ende in einer stehenden Ovation gefeiert.

Der grossartige Monteverdi Choir in Berlioz› Les Troyens. Foto © Fabian Schellhorn

Der Ohrfeigen-Skandal um den Heber des Schatzes, John Eliot Gardiner, weckte Befürchtungen. Das Wieweiter ist jedoch gelungen: Gardiner zieht sich bis Ende Jahr zurück, sein Assistent Dinis Sousa übernimmt und bringt die einmalige und bis zur letzten Note vollständige Aufführung mit historischen Instrumenten des Orchestre Révolutionnaire et Romantique, dem Monteverdi Choir und den Solistinnen und Solisten mitreissend zum Klingen. Seine Koordination gelingt ebenso wie das dank der historischen Instrumente immer neu überraschende Klangspektrum. War Berlioz verglichen mit dem avantgardistischen Richard Wagner eher klassisch rückwärtsgewandt, wirken Les Troyens dank der einst innovativen Überwindung des Orchesterraums fast postmodern. Die halbszenische Aufführung war für den Berliner Saal geeignet, weil die Singenden – Solisten und Chor – in alle Richtungen performten, statt an der Rampe zu stehen. Ein spannender, hochemotionaler Abend voller Musik von erstklassigen Solistinnen und Solisten, einem einmaligen Klangkörper von Chor und dem Orchester, das die Fein- und Grobheiten der Partitur bis ins letzte meisterte.

Das Septett im Garten der Königin mit Paula Murrihy als Didon und an ihrer rechten Seite Michael Spyres als Enée. Foto: Fabian Schellhorn

Mit einem anderen Hauptwerk, Bachs h-Moll-Messe, setzen Philippe Herreweghe und das Collegium Vocale Gent den Kontrapunkt und der RIAS Kammerchor Berlin ist der dritte der Geschichtsbewussten auf der Suche nach dem Ursprung. Mit dem Freiburger Barockorchester wird Joseph Haydns Missa in tempore belli aufgeführt.

Das Deutsche Symphonieorcherster beim Schlussapplaus. Das Publikum sitzt rund um das Orchester. Foto © Peter Adamik

Das ganze Programm des Berliner Musikfests 2023 ist eine Art Starparade der weltweit besten Orchester. Bei den Konzerten werden Kompositionen von rund 45 Komponisten und Komponistinnen aufgeführt. Die Namen reichen von Hildegard von Bingen bis zu Jörg Widmann, zurzeit Composer in Residence bei den Philharmonikern.

Den Anfang machte am 26. August das Royal Concertgebouw Orchestra. Gegen Ende des Musikmonats treten die Berliner Philharmoniker mit Kirill Petrenko gleich dreimal hintereinander auf, um der Nachfrage eines musikaffinen Publikums gerecht zu werden. Beide Orchester haben auch beim Lucerne Festival Station gemacht – warum dann überhaupt nach Berlin reisen? Vielleicht, weil es in diesem Jahr besonders viel spannende Musik gibt, unter anderen ist Persien zu Gast, und weil die Philharmonie gerade 60 geworden ist.

Eine erste Skizze der Philharmonie von Architekt Hans Scharoun (1883-1972)

Eine kleine Ausstellung im Foyer des Hauses zeigt die Stationen der Entstehung des bis heute klanglich kaum übertroffenen Konzerthauses von Hans Scharoun auf. Ein bemerkenswerter Kommentar von Max Frisch aus dem Jahr 1964 zeigt die Bewunderung von Architekt zu Architekt: «Man ist einfach da. Man ist da, wo die Musik herkommt, in der Musik. Ich sehne mich nach diesem Raum – in grosser Bewunderung».

Die Berliner Festspiele verfolgen das Ziel, nicht nur die Ohrwürmer der symphonischen Musik abzuspielen. So nimmt sich jedes Ensemble vor, auch Sperriges zu bieten. Schwerpunkte sind in dieser Saison Gustav Mahler und Sergej Rachmaninow, dessen 150. Geburtstag gefeiert wird.

Zu feiern hat auch das Bayerische Staatsorchester, nämlich 500 Jahre, während das Rundfunk Sinfonieorchester Berlin (RSB) gerade 100 geworden ist. Beide Klangkörper werden von Vladimir Jurowski geleitet. Für beide hat er je eine Art Heimatstück ausgewählt. Ist es bei den Münchnern die Alpensymphonie von Richard Strauss, die bei den Musikern laut Jurowski längst in der DNA verankert sei, spielt das RSB Kurt Weills Kleine Dreigroschenmusik für Blasorchester. Dass der Solist des Abends, Kirill Gerstein, es sich nicht nehmen liess, den Klavierpart beim Dreigroschenblasorchester zu übernehmen, machte nicht nur ihm und dem Dirigenten Spass.

Bei der Probe im Grossen Saal: Iván Fischer und das Royal Concertgebouw Orchestra. Foto © Fabian Schöllhorn

Faszinierend war das Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin. Erstens hat sich das DSO vorgenommen, in der kommenden Saison kein Konzert ohne Komponistin zu spielen, zweitens hat es mit Mahlers Lied von der Erde auf altchinesischer Lyrik und der Komposition Šu (Atem/Seele) für Sheng (über 3000 jährige chinesische Mundorgel) und Orchester von Unsuk Chin eine Art west-östlichen Diwan gebaut.

Wu Wei, Wahlberliner seit dem DAAD-Stipendium 1995, mit der chinesischen Mundorgel Sheng. Proton Musikagentur

Die Sheng – meisterhaft, innig, auch überschwänglich gespielt vom Virtuosen Wu Wei – wird als etwas bezeichnet, das aus der Erde wuchs. Was alles mit dem Instrument möglich ist, zeigte Wu Wei in der Zugabe. Unsuk Chins Komposition thematisiert die Natur und weist über die Vergangenheit in die Zukunft.

Eine zweite Tondichtung der Koreanerin Chin eröffnete den Abend mit dem Ensemble Modern Orchestra. Es folgten harmonische Klangwolken von Elizabeth Ogonek, welche diskret aus dem Great American Songbook zitierte. Mit der Sängerin Anna Prohaska hat der musikalische Leiter Sir George Benjamin die ideale Stimme für sein eigenes Werk und vor allem für die tief berührende Uraufführung des Cantico delle Creature von Francesco Filidei zum Sonnengesang des Franz von Assisi gefunden. Abschliessend und in der Wucht und Ausdifferenzierung der Klangvielfalt wiederum an das Stück von Chin anknüpfend fand das Orchester mit Dieter Ammanns glut zur grossen Form. Der Schweizer Komponist hat in der Transparenz und Weite des Konzertsaals den idealen Raum gefunden. Insgesamt war es ein Abend, der sich von den opulenten symphonischen, jedoch auch rückwärtsgewandten Kompositionen der Grossmeister wie Rachmaninow wohltuend abhob.

Zeitgenössische Musik begeistert: Mehr Applaus als manche Starorchester bekamen das Ensemble Modern Orchestra und der Schweizer Komponist Dieter Ammann (Mitte). Foto © Fabian Schellhorn

Noch vor uns liegt das Konzert des Boston Symphony Orchestra, geleitet von Andris Nelsons, mit unter anderem George Gershwins Concerto in F für Klavier und Orchester und Jean-Yves Thibaudet am Flügel. Eingeladen sind auch das Israel Philharmonic Orchestra oder das Kyiv Symphony Orchestra, längst total ausverkauft war der Abend mit Simon Rattles Londoner Symphonikern.

Die neue Chefdirigentin des Konzerthausorchesters Berlin, Joana Mallwitz. Foto © Martin Walz

Last but not least werden die weiteren Orchester und -Chöre der Metropole, die integriert ins Musikfest ihre Saison eröffnen, für erfüllende Abende sorgen. Das Konzerthausorchester Berlin präsentiert seine neue Chefdirigentin Joana Mallwitz nach dem fulminanten Auftritt im Stammhaus nun in der Philharmonie, der Rundfunkchor wird die Ganznächtliche Vigil op. 37 von Rachmaninow in der Gethsemanekirche singen, die Staatskapelle Berlin hat das Cellokonzert von Unsuk Chin angekündigt.

Exotisches Gastland ist 2023 Persien. Das Māhbānoo (Mond+Dame) Ensemble, gegründet 2011 führt in die klassisch-traditionellen Tonsysteme und Instrumente des Iran ein. Es besteht aus Frauen, die seit der islamistischen Revolution nur noch im Ausland auftreten können.

Für schnell entschlossene Musikliebende ist Berlin zwar weit weg, aber erreichbar, und Tickets für die meisten Konzerte sind online noch zu haben.

Titelbild: Die Philharmonie bei Nacht.

Hier geht es zur Homepage des Musikmonats bei den Berliner Festspielen.

Einige der Konzerte werden zeitversetzt vom Deutschlandfunk Kultur ausgestrahlt und sind über Internet zu hören.

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