Mit der Schweizer Erstaufführung des britischen Bestsellers «State of the Union» von Nick Hornby bringt das Berner Theater Effingerstrasse zehn Szenen einer Ehekrise auf die Bühne. Das Stück hält uns einen Spiegel über die Vielfalt der Konflikte in einer Ehe vor, britisch gewürzt mit viel schwarzem Humor.
Vor einer Paartherapie-Sitzung ist immer nach der vorangegangenen Sitzung. Auf diesem Setting baut das aufwühlende Gesellschaftsstück «Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst» auf. Tom und Louise (gespielt von Fabian Guggisberg und Gulshan Bano Sheikh) sind seit fünfzehn Jahren verheiratet, haben zwei Kinder, die sie lieben. Aber irgendwie läufts zwischen den beiden nicht mehr rund.
In einem Punkt sind sie sich einig: Sie wollen ihre Ehe nicht kampflos aufgeben. Also machen sie eine Paartherapie und treffen sich vor jeder Sitzung im örtlichen Pub. Zehn Mal in zehn Wochen stimmen sie sich bei einem Drink auf die bevorstehende Sitzung ein, diskutieren Rückschritte, Fortschritte und spekulieren über andere Ehepaare. Glaubwürdig und authentisch wirkt das Spiel des aus dem Gleichgewicht geratenen Paars. Das schlichte Bühnenbild gefällt mit einem langen Bar-Tisch und fünf Hockern.
Louise und Tom im Zustand der Verzweiflung.
Ähnlich wie nach einer unerwarteten Kündigung durchleben die beiden vier Phasen: Das Spiel beginnt mit dem Zustand der Verzweiflung. Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht und Zukunftsangst machen sich vor allem bei Tom breit. Er stellt unmissverständlich klar, dass Louise das Ehedebakel mit vier Seitensprüngen verursacht hat. Tom empfindet seine Situation als völlig aussichtslos und sieht keine Möglichkeit, etwas daran zu ändern. Seine Verzweiflung führt zu Niedergeschlagenheit, Angst und Isolation. Er zieht aus und lebt allein.
In den Zustand der Verwirrung rutschen die beiden, als Louise ihr Argument für die Untreue ausspricht: Sie sei fremd gegangen, weil Tom nicht mehr mit ihr geschlafen habe. Mit dieser Aussage löst sie bei ihrem Partner Unklarheit sowie Unsicherheit aus. Toms Gedanken sind durcheinander, er sucht nach Orientierung. Die beiden befinden sich in einer psychologisch herausfordernden Situation. Aussage gegen Aussage, Argument gegen Argument. Bei der Themensuche für die bevorstehende Sitzung dominiert einmal der Wunsch auf eine Beendigung der Ehe, dann auf ein Happy End.
Tom und Louise scheinen am Ende verbaler Argumente zu sein.
Aus dieser Stimmung heraus betreten die beiden den Zustand der Ohnmacht, der Machtlosigkeit. Die Streitenden erleben das Gefühl der Hilflosigkeit und des mangelnden Einflusses auf ihre eigenen Wünsche. Damit einher gehen Wut und Frustration. Tom will endgültig aufhören, weil die Ehe für ihn keinen Sinn mehr macht. Louise stellt das Glas ihres Noch-Ehemannes weit entfernt von ihrem ab und demonstriert damit grösstmögliche Distanz. Die Szene zählt zu den ganz starken Regieeinfällen (Regie: Stefan Meier).
Tom und Louise im Zustand der Ohnmacht.
Ansonsten ist die Inszenierung ausgesprochen handlungsarm. Es dominiert der Text. Die Aktivitäten der Protagonistin und des Protagonisten beschränken sich aufs Anziehen und Ausziehen von Kleidungsstücken, aufs Herumtragen von vollen sowie leeren Gläsern und auf Dart-Einlagen. Mit dem wechselseitigen Werfen von Pfeilen machen die Noch-Eheleute klar, dass sie das Gegenüber ignorieren, absichtlich nicht zuhören, sich stattdessen aufs Pfeilwerfen konzentrieren.
In der Pause des Zweipersonenstücks lese ich im Gästebuch den Eintrag eines Besuchers, der ein französisches Sprichwort zitiert: «Männer sind wie Tee. Man sollte sie ziehen lassen.» Mit der Frage, ob das wohl die Lösung sein wird, gehe ich zurück in den Theaterraum.
Hervorragend beobachtet und gespielt sind auch im zweiten Teil menschliche Verhaltensweisen im Moment der Trennung: Der Mann verweigert den Dialog, zieht aus, um nachzudenken («die Ehe zu sezieren»), sehnt sich in der Isolation nach vergangenen romantischen Momenten und verharmlost die offensichtlichen Differenzen. Die Frau dagegen will reden, reden, reden, sieht in der Trennung eine «Chance für Veränderungen» und begeht in der Verzweiflung einen Seitensprung, von dem sie dann doch wegen «schlechtem Sex» enttäuscht ist. Man fühlt sich an das schwedische Filmdrama «Szenen einer Ehe» von Ingmar Bergmann (1973) erinnert.
Ein neues Hemd: Tom möchte Louise plötzlich wieder gefallen.
Der Autor des am Effinger gezeigten Bühnenstücks, Nick Hornby, ist spätestens seit «High Fidelity» und «About a Boy» zum weltbekannten Bestsellerautor geworden. Mit «State of the Union» hat er ein Pointenbuch über die Ehe verfasst. Stephen Frears hat die Episoden erfolgreich unter dem gleichnamigen Titel verfilmt und Ingo Herzke hat die Dialoge auf Deutsch übersetzt. Mit seinem unvergleichlichen Humor und dem Blick für sympathische Antihelden formt Regisseur Stefan Meier ein ganz normales Ehepaar sowie die komischen Seiten einer Ehekrise.
Besonders komisch wirken am Schluss jeder Bar-Szene die kommentierten Beobachtungen von Tom und Louise, wenn sie anderen Ehepaaren dabei zusehen, wie diese das Lokal verlassen, in dem die Paartherapien stattfinden. Die Kommentare sind angesichts der verzweifelten Situation der beiden skurril, absurd, ironisch und immer in Bezug auf die eigene Situation verräterisch. Verstohlen schaue ich mich im Theaterraum um und frage mich, ob wohl die anwesenden Paare ähnliche Erfahrungen gemacht haben und sich nun durch das Spiel ertappt fühlen.
Eine Umarmung, ein Kuss und ein vermeintliches Happy End zum Schluss.
Ein überraschendes Ende weckt mich aus dem Spekulieren und führt die Spielenden in die Phase der Hoffnung. Begeistert erzählen Tom und Louise in der letzten Szene von der gemeinsam verbrachten Nacht mit stürmischem Sex. Louise hat bekommen, was sie wollte, und Tom kehrt aus der Isolation zurück in die eheliche Wohnung. Es folgt die erhoffte Versöhnung mit einem fast schon kitschigen Happy End: Endlich, nach zehn schmerzhaften Therapiesitzungen mit ebenso schmerzhaften Vorbereitungsgesprächen, bringt Tom die drei Worte «ich liebe dich» über die Lippen. Und die Ehe ist geflickt.
So einfach funktionierts leider nur im Theater.
Titelbild: Tom und Louise befinden sich in einer psychologisch herausfordernden Situation: Aussage gegen Aussage, Argument gegen Argument. Alle Fotos: Severin Novacki.
Aufführungen noch bis zum 24. Mai 2024
Das Theater an der Effingerstrasse
Eine anschauliche Beschreibung eines Theaterstückes über eine Ehekrise, die ich vor vielen Jahren selbst erlebt habe, bis zur schmerzhaften aber auch befreienden Scheidung. Darum möchte ich den zitierten Eintrag im Gästebuch: Männer sind wie Tee, man sollte sie ziehen lassen, ergänzen mit: …die Frauen auch.