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Michel Richter – der Oldies-Druide

Michel Richter

Michel Richter nimmt für sich in Anspruch, der dienstälteste Discjockey des Landes zu sein. Der Mann aus dem luzernischen Horw pflegt seine eindrückliche Sammlung an Vinylplatten und lebt dafür, dem Publikum Hit nach Hit zu servieren. Eine Begegnung.

Realer, authentischer, ehrlicher. Und analoger. Diese Begriffe stehen im Raum, wenn man mit Michel Richter über dessen Passion spricht. Einen weiteren Begriff – besser: ein Material – müsste man mindestens gleichberechtigt erwähnen: Vinyl.

Der Mann mit der zu einem Rossschwanz zusammengebundenen weissen Haarmähne bezeichnet sich als amtsältester Discjockey (DJ) der Schweiz. Womöglich ist der 70Jährige auch der an Jahren älteste. Aber das ist nicht relevant. Wichtiger für ihn ist: «Ich bin mit 55 Jahren DJ-Tätigkeit wohl landesweit der Dienstälteste meiner Zunft, der noch professionell auftritt.» Einer, der zu den vom Publikum gewünschten Hits auch etwas zu berichten hat über die betreffenden Musiker, Sänger oder über die Musik. Mittlerweile dürften es über 4500 Auftritte sein, die er in seiner Karriere absolviert hat.

Viel Zeit verbringt Richter damit, seine immense Sammlung à jour zu halten und nach Möglichkeit allfällige Löcher zu stopfen. Gerade heute sei wieder eine Single angekommen, die er auf einschlägigen Plattformen seit Längerem gesucht habe.

Im Alter von drei Jahren kam Michel Richter mit seiner Familie von Norddeutschland in die Schweiz. Fast sein ganzes Leben hat er seither in der Zentralschweiz verbracht. Wären in seiner Wohnung nicht ein paar Fotos und Souvenirs aus seiner alten Heimat zu sehen, würde nichts darauf hindeuten, dass er den roten Pass erst seit wenigen Jahren besitzt.

Reporter, Moderator, Discjockey

Zum ersten Mal als DJ unterwegs war Michel Richter mit 16. Mit 28 Jahren hörte er vorerst damit auf, beschäftigte sich mit anderem: Er wurde Musikjournalist («Ich habe noch einen Dankesbrief von Claude Nobs, dem Begründer des Montreux Jazz Festival»), Lokalradiomoderator und Musikchef (Radio Sunshine), später Sportjournalist für das Schweizer Fernsehen, zuletzt Produktmanager und Künstlerbetreuer der Plattenfirma K-tel.

In seine zweite Karriere als DJ startete Richter vor gut zwei Jahrzehnten – als «Plättlileger» vor allem im prächtigen Luzerner Art Deco-Hotel Montana. Seit 20 Jahren lädt er da von Oktober bis April jeden Sonntag zum «Good Old(ies) Sunday» in die Louis Bar ein. Dort legt er seine Vinyl-Singles mit den grössten Hits und Raritäten aus 60 Jahren Popmusikgeschichte auf. Er kann seit Jahren auf eine grosse Fangemeinde zählen von Leuten, die seinen Erzählungen und den gespielten Hits lauschen und dafür teilweise von weit her anreisen.

Speziell dabei ist, dass der Mann wenn immer möglich auf Musikwünsche aus dem Publikum eingeht. Seit vielen Jahren führt er Listen der beliebtesten Songs. Das heisst umgekehrt auch, dass er üblicherweise jene paar hundert Singles mit dabei hat, von denen er weiss, dass sie verlangt werden. «Ich weiss genau, welche Songs gefragt sind – es sind über die Jahre und Jahrzehnte immer etwa die gleichen», erklärt Richter. So gesehen könnte er seine Show mit den besten 150 Titeln durchziehen… Theoretisch.

Eagles und Schacher Seppli

Stattdessen versuche er stets, den Leuten auch anderes vorzuspielen. Das Problem: «Du spielst drei grossartige Titel hintereinander, die das Publikum nicht kennt, und plötzlich tanzt niemand mehr.» Deshalb müsse es immer «Hotel California» der Eagles sein und nicht ein anderer guter Titel dieser Band. Dieser Song sei der mit Abstand meistverlangte seiner vielen Jahre als DJ. «Dazu der Schacher-Seppli bei den Senioren-Nachmittagen und Musik aus den Jugendjahren der Senioren».

Ausserdem wird Michel Richter für Firmenevents und Privatanlässe gebucht. Und: Seit einem Jahr ist er neu auch bei der sehr erfolgreichen Ü-40-Party in Horw engagiert.

Doch auch der DJ hat seinen Kopf, nicht nur das Publikum. So ist für Michel Richter ein Song nur spielbar, wenn er mindestens 25 Jahre auf dem Buckel hat. Gemäss dieser Prämisse ist er mit seinem Oldies-Set erst Mitte der 1990er-Jahre angelangt. Und damit bei Hits wie «Cotton Eye Joe» von Rednex, «Sie ist weg» von den Fantastischen Vier oder Michael Jacksons «Earth Song».

War die Musik denn früher grundsätzlich besser, Michel Richter? «Die Musik von damals ist realer, authentischer – echter. Heute ist sie zumeist computergeneriert, synthetischer, künstlicher. Früher waren die Musiker einfach mit mehr Herz und Seele bei der Sache!»

Eine menschliche Jukebox

Macht er Disco andernorts als im «Montana» – zum Beispiel in der Luzerner «Bar 59» –, so lässt er die Hits praktisch ohne Pause laufen und verzichtet auf seine Geschichten und Hintergrundinformationen zu den Liedern. Dann habe er jeweils gut 1500 Titel mit dabei – und zwar in der ganzen Bandbreite vom Schlager über Blues, Country, Soul und Pop bis Heavy Metal. Aber auch dann darf das junge Party-Publikum seine Lieblingssongs wünschen.

seniorweb macht die Probe aufs Exempel und nennt ein paar Titel. Hätte Richter diese dabei? Und was würde er dazu sagen?

«Ma»: Diesen Song aus den frühen 1970er Jahren der ersten weissen Soulband Rare Earth habe er im Standardsortiment. Aber in Singlelänge, denn die LP-Version sei über 17 Minuten lang und damit viel zu lang für seine Show.

«Midnight Train to Georgia»: Auch hier kommt wie aus der Pistole geschossen, dass der Song ein Hit von Gladys Knight & the Pips sei, das Original aber nicht von ihnen stamme und ursprünglich «Midnight Plane to Houston» hiess.

«Disco Inferno»: Die Trammps hätten diesen Song zum Soundtrack von «Saturday Night Fever» beigesteuert. Er mache gelegentlich eine Rollschuh-Disco – da gehöre dieser Titel immer mit dazu.

Unseren Test führen wir noch etwas weiter, auch mit französischen Chansons, Schlagern und sogar mit volkstümlichen Titeln. Michel Richter gibt sich keine Blösse und muss nur einmal passen, als wir nach einem Titel aus dem Jahr 2014 verlangen. Eindeutig zu jung für Mister Oldies DJ …

Plattenspieler, King of Vinyl, Oldies-Papst oder DJ-Legende: Solche und ähnliche Bezeichnungen hat Michel Richter im Verlaufe seiner Karriere schon viele über sich lesen und hören können. Am besten gefällt ihm, wie ihn Chris von Rohr einst bezeichnet hat: als «Oldies- Druide». Noch immer habe er mächtig Spass an seiner Leidenschaft.

Ungebrochene Sammelleidenschaft

Von allen Interpreten, die in den letzten 70 Jahren Musikgeschichte je eine Bedeutung gehabt haben, besitzt Michel Richter jede Vinylsingle, die erschienen und in den Hitparaden aufgetaucht ist. So befinden sich mittlerweile über 35000 Singles und je weit über 10000 Langspielplatten und CDs in seiner beeindruckenden Sammlung.

Von Elvis, einem seiner Helden neben den Beatles, Johnny Cash und Leonard Cohen, hat er bis auf drei sämtliche der 120 Top-40-Hits: «Die Top-10-Hits sind selbstverständlich ein Muss! Die Sammelleidenschaft hört nie auf».

Michel Richter fahndet ständig nach Raritäten, die ihm noch fehlen. Seit Jahren auf seiner Suchliste befinde sich der Titel «Besonders in der Nacht» der deutschen Schauspielerin Elisabeth Flickenschildt (1905–1977), die nur dieses eine Lied gesungen hat. Übrigens: Neben Vinyl sammelt Richter, bei dem es sogar ein eigenes Beatles-Zimmer gibt, auch Briefmarken, Comics, Autogrammkarten, Schachspiele und Gadgets aller Art. Längst reicht seine Wohnung nicht mehr, um all seine Schätze zu stapeln. So hat er sich in der Nähe eine Zivilschutzanlage für seine Musikwelt gemietet.

«…the music will never stop»

Doch auch ein Vinyl-Aficionado wie Michel Richter wird nicht jünger … dessen sei er sich bewusst, räumt er ein: «Solange ich es durchhalte, sechs Stunden am Stück aufzulegen, und das Publikum an meine Gigs kommt, so lange mache ich weiter und versuche etwas Magie zu streuen.»

Gerne zitiert Richter in diesem Zusammenhang auch den Rock ‘n’ Roller Chuck Berry, der in «Roll over Beethoven» über die Jukebox sagt: «…as long as you got a dime, the music will never stop!». Das treffe es gut, zumal ihn das Innerschweizer Kulturjournal 041 einmal als «die menschliche Jukebox» bezeichnet habe.

Was später einmal mit seiner Sammlung geschieht, dafür hat er noch keine Lösung. Vielleicht brauche es dereinst eine Stiftung, sinniert Richter.

LINK

musicmagicians.com

Drei Songs für die Insel

Michel Richter hat nur in sehr jungen Jahren einmal kurz mit dem Gedanken gespielt, selber Musiker oder Sänger zu werden: «Bei einem Jekami-Wettbewerb habe ich ‹Doktor Schiwago› gesungen – danach war Schluss.» Auf die berühmte einsame Insel würde er die folgenden Platten mitnehmen: «In My Secret Life» von Leonard Cohen («Habe ihn vergöttert, mehrfach getroffen»), «River Of Dreams» von Eagles-Mitglied Glenn Frey («Wo in einem Song voller Hoffnung ein wunderbarer Gospelchor einsetzt») und «You Take My Breath Away», gesungen von der US-Sängerin Eva Cassidy («Es gibt kein schöneres Lied auf Erden!»).

ABBA forever

Zum 50jährigen ABBA-Jubiläum («Abba ist inzwischen die meistverlangte Band noch vor Queen, AC/DC, Beatles und Stones» veranstaltet Michel Richter am 27. Oktober 2023 in der «Bar 59» in Luzern für ein sehr junges Publikum eine «ABBA-Special Night». Da lässt er alle Hits und Songs der Schweden auf englisch, schwedisch, deutsch und spanisch rotieren, überdies Coversongs ihrer Hits sowie Soloaufnahmen von Agnetha und Frida.

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