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Ff – Fortsetzung folgt

Können Sie sich an Ihr erstes, selbst gelesenes Buch erinnern? «Heidi» vielleicht, «Hanni&Nanni », die wunderbaren Geschichten über das Kindermädchen «Mary Poppins»? Oder war es wie bei mir «Bärbeli»? All den genannten Werken ist gemeinsam, dass ihre Autorinnen sie als mehrbändige Fortsetzungsgeschichten anlegten. Für mich enthielten die beiden Buchstaben Ff am Ende dieser Bücher ein Versprechen und legten in mir den Grundstein für meine Lese-, Schreib- und Serienleidenschaft.

«Die Wahrheit ist, dass Geschichten nie enden. Schriftstellerinnen und Schriftsteller müssen Enden finden.» Das sagt die Autorin Deborah Levy in einem Interview und ich pflichte ihr gerne bei. Geschichten haben immer Fortsetzungen, erzählte und nicht erzählte. Das Erfinden von Enden finde ich selbst das Schwierigste am Schreiben, deshalb sind die beiden Buchstaben Ff eine Verlockung. Hier gebe ich ihr nach, indem ich die Geschichte meiner ersten Lektüre fortschreibe.

Liebe Sophie Gasser, du stehst zu Beginn meiner Lesebiografie. Als ich sechs Jahre alt war, schenkte mir meine Patin zu Weihnachten mein erstes eigenes Buch: ‘Bärbeli’, von dir verfasst und 1954 erschienen als erster Band der Trilogie: ‘Bärbeli’, ‘Was wird mit Bärbeli’, ‘Aber Barbara’. Ich musste jeweils ein ganzes Jahr warten, bis ich den nächsten Band erhielt. Natürlich las ich unter dem Jahr auch andere Bücher aus der Schulbibliothek, aber meine Sehnsucht nach der Fortsetzung von ‘Bärbeli’ wuchs stetig. Zwar hatte ich mir schon viele Versionen davon selbst ausgedacht, denn Abend für Abend war ich Bärbeli. Ich hatte keine Mutter und lebte bei Tante Regine.

Ich habe die Bücher vor kurzem antiquarisch wieder gekauft und sie wieder gelesen. Das Frappierendste steht bereits auf der ersten Seite: ‘Merkwürdiges Kind’. Und Bärbeli war auch ein ‘herzloses Kind’, weil es sang am Tag der Beerdigung seiner Mutter. Ich war also auch ein merkwürdiges, herzloses Kind, denn in meiner Fantasie war meine Mutter, die ich im Alltag heiss liebte, längst gestorben und ich war zu Tante Regine ins Seehaus gekommen. Später, als ich bereits mit Ernid Blyton und Hanni&Nanni ins Internat gezogen war, variierte ich die Geschichte ein wenig. Bärbeli und ich lebten gemeinsam bei Tante Regine.

Liebe Sophie Gasser, ich recherchiere dein Leben. Du warst die Tochter eines Landwirtes. Der im Zürichsee ertrank, als du drei Jahre alt warst. Dann verkaufte deine Mutter den Hof und zog mit dir und deiner Schwester in die Stadt. Du hast aus mir eine Leserin gemacht und mein Leben früh bereichert. Weil ich eine Freundin hatte. Bärbeli. Sie war da. Ich redete mit ihr. Ich taufte meine Puppe Barbara und noch heute, wenn ich Frauen mit diesem Namen kennen lerne, bringe ich ihnen Vorschusssympathie mit. Bärbeli hatte eine Katze. Den Peterli. Und eine Puppe. Und ich hatte Bärbeli, eine Katze, eine Puppe und nach drei Jahren drei eigene Bücher. Meine Patin war Tante Regine. Nur wohnte sie nicht im Seehaus, sondern in einem winzigen Häuschen, sie hatte neun Kinder, fünf eigene und vier, die schon da waren, als sie Jean geheiratet hatte. Sie war eine kleine, dünne Person, die tagsüber schuftete für ihre Familie und abends und nachts viel las. Sie starb mit 49 an den Folgen eines Autounfalls, nach dem sie neun Monate im Koma gelegen hatte. Ich war damals fünfzehn und hatte sie nie besuchen dürfen im Krankenhaus. Aber manchmal hole ich diese Besuche nun nach. Ich lese ihr vor. Aus Bärbeli. Ich bin sechs Jahre und fünfzehn Jahre und neunundvierzig alt. Und meine Patin liegt da. Im Koma. Vielleicht im Wachkoma. Vielleicht lauscht sie den Geschichten. Ich bringe auch dich mit, Sophie Gasser. Du sitezst mit mir im Krankenhauszimmer. Und später, in der Cafeteria erzählst du mir, wie es war, als du mit einundvierzig, nachdem du fünfundzwanzig Jahre lang bei der eidgenössischen Post-, Telefon- und Telegrafenverwaltung gearbeitet hast, mit deinem Mann nach Innsbruck zogst, mit dem du schon sieben Jahre verheiratet warst. Konntest du dort ungestört schreiben? Denn geschrieben hast du schon immer. Die ersten Gedichte mit dreizehn, vier Jahre später hast du die Gedichte publiziert. Mit fünfundzwanzig Jahren hast du einen Förderungspreis für Lyrik der Schweizerischen Schillerstiftung erhalten, 1950 den Preis für die beste Jugendgeschichte des Jahres in Wien.

Liebe Sophie Gasser, ich habe deine Trilogie nochmals gelesen. Mit den Augen von heute trieft die Story vor Kitsch, Klischees und Moral. Aber was ich daran immer noch mag: Du hast deine Hauptfigur Bärbeli facettenreich dargestellt. Ihre Widerborstigkeit, ihren Trotz, ihr Ungestüm. Ihre Zugewandtheit zu Pflanzen und Tieren und vor allem zu Geschichten. Deine Hauptfigur war nicht bloss ein braves, angepasstes Mädchen, vielmehr stand sie innere Kämpfe aus, Gewissensbisse überkamen sie, wenn es in besinnungsloser Wut Dinge angestellt hatte, ohne an die Konsequenzen zu denken. Bärbeli hatte früh die Mutter verloren. Du selbst den Vater. Die Autofiktion beginnt nicht erst im 21. Jahrhundert, liebe Sophie. Ff! Danke dir.


Von Theres Roth-Hunkeler ist eben ist ihr 7. Roman erschienen, «Damenprogramm», edition bücherlese Luzern 2023

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