Wir schreiben das Jahr 1936, als Maloya-Gründer Fritz Maurer (1902-1991) den ersten Schweizer Velopneu auf den Markt bringt. 57 Jahre später gibt Maurers Sohn Rolf auf Ende 1993 das Aus des letzten Schweizer Reifenherstellers bekannt. Ein grosser Schock.
Die Geschichte der Maloya AG beginnt im Jahr 1930 während der Wirtschaftskrise im Gefolge des «Schwarzen Freitags» vom 25. Oktober 1929: Der junge Kaufmann Fritz Maurer aus Diepflingen BL erwirbt die stillgelegte Seidenbandfabrik «Obere Fabrik» in Gelterkinden; erbaut wurde sie anno 1854 als Weberei. Der umtriebige Jungspund hatte sich zuvor als Leiter eines Kolonialwarenunternehmens, dann als Händler von Zichorien-Kaffeezusatz und schliesslich als Verlagsleiter der Buchdruckerei Farnsburg versucht.
Forellen, Bier, Ziegelsteine, Radios
Nun sucht Maurer ein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell für seine Fabrik. Dies getrieben vom Wunsch, möglichst viele Arbeitsplätze schaffen zu können. Doch Maurer hat zunächst kein Rezept, womit dies realisiert werden könnte. Nach dem Prinzip «Probieren geht über studieren…» züchtet er Forellen, braut Bier, stellt Aluminiumfolien her und Ziegelsteine, elektrische Stromzähler und Kühlschränke, Uhren und Radioapparate. Ein Flop jagt den nächsten, doch Maurer lässt sich nicht entmutigen.
Der rostige Nagel
Schliesslich ist es einer dieser seltenen glücklichen Zufälle, der ihm in die Hände spielt: Immer wieder gerne hat Fritz Maurer bei späteren Gelegenheiten von diesem rostigen Nagel erzählt, der ihm einst bei einer Velofahrt den Reifen durchbohrt hatte. Das, so Maurer, «war genau jene Marktlücke, nach der ich so lange gesucht habe».
So gründet Velofahrer Maurer 1936 die Pneu- und Gummiwerke «Schweizerische Velo-Pneufabrik Fritz Maurer», stellt die ersten acht Mitarbeiter an, kauft Maschinen und lässt den Rohstoff Gummi aus Malaysia und Indochina importieren. Bereits am 1. Mai des gleichen Jahres rollt der erste Schweizer Velopneu aus der kleinen Bereifungsmanufaktur.
Die Pneus tauft der Reifenpionier, der sich später auch als Baselbieter Landrat (1947-1956) und Nationalrat (1963-1967) engagierte, auf den Namen Maloja, benannt nach dem Strassenpass, der mit seinen 1815 Metern das Oberengadin mit dem Bergell verbindet. Die Velopneus verkaufen sich recht gut, auch dank einem Grossauftrag der Schweizer Armee. Doch erst mit der rasanten Verbreitung der Automobile in den 1940er-Jahren kann die Firma richtig erblühen und expandieren, Autoreifen produzieren und zu einer wichtigen Arbeitgeberin im oberen Baselbiet heranwachsen.
Kontinuierliches Wachstum
Das Unternehmen entwickelte sich fortan ständig weiter und dehnte sich über ein Fabrikareal von über 80000 Quadratmetern aus: In den 1940er Jahren wurde das Sortiment mit technischen Gummiartikeln erweitert, aber auch mit Schuhsohlen, Motorrad- und Traktorbereifungen.
In den 1970er Jahren expandierte Maloya ins benachbarte Frankreich nach Rupt-sur-Moselle. Dort, in den Vogesen, wurde die Tochterfirma Maloya-France AG eröffnet. Maloya hatte sich auf diese Weise geschickt Zutritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG (heute EU) verschafft. Ein weiterer wichtiger Schritt bestand in der Aufnahme der Fabrikation von Hochleistungs- Breitreifen sowie in der sukzessiven Automatisierung verschiedener Produktionsprozesse. Zu Beginn der 1970er-Jahre war die Belegschaft bis auf knapp 400 Mitarbeitende angewachsen. Und in den Fabrikationshallen wurde in drei Schichten produziert.
Weil die Franzosen den Firmennamen meistens falsch, nämlich «Maloscha» aussprachen und dies wenig vertrauenswürdig klang, griff die Geschäftsleitung zu einem einfachen Trick und ersetzte das «J» durch ein «Y». Als dann die Maloya AG 1977 ihr neustes Produkt – Stahlcord-Einlageringe für Seil-, Gondel- und Pendelbahnen – an die Alpenländer liefern konnte, prangte auf den Fabrikaten und Briefschaften bereits der neue Name.
Der 22. Februar 1993
Der Himmel ist verhangen an diesem Februartag und draussen liegt Schneematsch. In den Räumlichkeiten der Maloya AG geben Verwaltungsratspräsident Rolf Maurer und der als Troubleshooter angeheuerte Unternehmensberater Peter Böhler die Aufgabe der Reifenproduktion in Gelterkinden bekannt. Das Unternehmen wird praktisch aufgelöst und nur einzelne Teile werden verkauft. Die Nachricht, wonach rund 200 Beschäftigte entweder frühpensioniert oder die Kündigung erhalten, verursacht im Oberbaselbiet eine veritable Schockwelle.
Allerdings: So ganz überraschend kommt diese Nachricht nicht. Denn schon Wochen zuvor machten Gerüchte die Runde, wonach die Tage des letzten Reifenherstellers im Land bald gezählt sein könnten. Denn erstens deutete die Schliessung der Firestone in Pratteln 15 Jahre zuvor schon darauf hin, dass die Reifenproduktion hierzulande grundsätzlich nicht mehr konkurrenzfähig war.
Zweitens hatte Maloya schon im Frühjahr 1992 die Ausgliederung der Pneuproduktion in die damalige Tschechoslowakei bekanntgegeben. Zu allem Übel hatte das Eidgenössische Militärdepartement im Herbst des gleichen Jahres einen schmerzhaften Bestellungsstopp verfügt.
Das Aus von Maloya bedeutet damals in Kurzform: Der Baselbieter Bezirk Sissach verliert seine grösste Arbeitgeberin, die Gemeinde Gelterkinden jeden fünften der damals rund 1900 verfügbaren Arbeitsplätze.
Drei Handicaps
In den regionalen Medien wurden die düsteren Nachrichten aus Gelterkinden entsprechend kommentiert. Die «Basler Zeitung» schrieb von einem «programmierten Untergang» und von einem «Wunder, dass die Oberbaselbieter Firma bis heute hat überleben können». Das Beispiel Firestone habe schon im Jahre 1978 «deutlich gezeigt, dass selbst grössere Unternehmen kapitulieren müssen, wenn das Umfeld nicht mehr stimmt». Für die industrielle Massenfertigung sei ausgangs des 20. Jahrhunderts hierzulande ganz offensichtlich kein Platz mehr.
In der «Basellandschaftlichen Zeitung» werden im Kommentar die Hauptgründe der Misere folgendermassen beschrieben: «Die Streichung von Bundesaufträgen, schwindende Exportanteile, die hohen Produktionskosten und andere Tiefschläge mehr konnte Maloya nicht länger verkraften.»
Ausrollen
Nach dem Abstossen von einigen Geschäftsteilen wurde Maloya 1993 von der holländischen Vredestein-Gruppe übernommen. Es gelang den Liquidatoren, knapp zwei Drittel der ehemaligen Maloya-Mitarbeitenden einen neuen Arbeitsplatz zu vermitteln. Als Folge davon wurde die Reifenproduktion schrittweise nach Enschede in den Niederlanden verlegt. Maloya blieb noch ungefähr ein Jahrzehnt als Markenname erhalten und als Zweitmarke von Vredestein vertrieben. Im Jahre 2012 rollte der letzte Maloya-Reifen vom Band, hergestellt in den tschechischen Barum-Werken.
Der Rest ist Geschichte…
Der Firestone-Schock
Bis weit in die 1970er Jahre war das Baselbiet in der Schweiz so etwas wie die Hochburg der Pneus. Die beiden Reifenfabrikanten Firestone in Pratteln und Maloya in Gelterkinden beschäftigten zusammen bis zu 1500 Personen.
Im März 1978 jedoch benötigte der US-Amerikaner John R. Thompson nur gerade fünf Minuten, um im Filmsaal von Firestone in Pratteln 620 seiner 837 Schweizer Arbeitnehmenden zu feuern. Originalton Thompson: «Wegen hoher Produktionskosten und teurem Frankenkurs wird die Reifenproduktion in der Schweiz am 31. Juli eingestellt.» Es halfen weder die Interventionen der beiden Baselbieter Regierungsräte Paul Nyffeler und Paul Manz (mit persönlichem Besuch in der Konzernzentrale in Acron USA), noch die Rückendeckung des damaligen Bundesrates Fritz Honegger. Und auch die Demonstrationen der verbitterten Firestone-Arbeiter und Gewerkschafter («Statt Treu und Glauben – Lug und Trug aus USA») blieben letztlich ungehört: die Maschinen wurden Ende Juli 1978 endgültig abgestellt.
Copyright Fotos: ETH-Bibliothek
Maloya-Artikel Teil 2
https://seniorweb.ch/2023/10/15/man-muss-das-fahren-im-fuedle-spueren/
Sehr interessanter Artikel und gute Fotos!