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Ding zum Anziehen

Die Ausstellung «Kimono – Kyoto to Catwalk» im Zürcher Museum Rietberg zeigt japanische Kimonos seit der Edo-Zeit bis heute. Auch die westliche Mode war stets fasziniert von der exotischen Kleidung.

Der Kimono ist unzertrennlich mit dem Bild Japans verbunden und wird als traditionell-unveränderliches Kleidungsstück angesehen. Die Ausstellung zeigt jedoch, dass der Kimono in Japan eine dynamische, modische Entwicklung erlebte und auch die Mode im Westen beeinflusste. Die Schau Kimono – Kyoto to Catwalk konnte das Museum Rietberg vom Victoria & Albert Museum in London übernehmen, ebenso den Katalog.

Ausstellungsansicht. Kimono in historischer und moderner Ausführung

Kimono bedeutet so viel wie «ein Ding zum Anziehen». Die Geschichte dieses Kleidungsstücks reicht über mehr als tausend Jahre zurück. Mit dem Beginn der Edo-Zeit (1615-1868) wurde der Kimono von Frauen, Männern und Kindern aller Schichten getragen. Das Zentrum der Produktion prachtvoller Kimonos lag zuerst in Kyoto und Osaka, wurde aber später von Edo, dem heutigen Tokyo, abgelöst.

Frauen vor dem Kimono-Geschäft «Daimaruya», das Firmensignet prominent im Zentrum hinter dem Model. Holzschnitt von Utagawa Kunisada (1786-1864), Edo, 1840-1845.

Während der Edo-Zeit kamen die Kaufleute zu grossem Reichtum und folgten den neuesten Modetrends, um ihren Wohlstand zu präsentieren. Der Markt für Luxuswaren breitete sich aus. Vergnügungen, Glamour, subtile Erotik und Mode spielten besonders in den urbanen Zentren eine grosse Rolle. Es kursierten Geschichten von Frauen, die um die extravagantesten Kleider wetteiferten. Bekannte Stoffhandlungen und Modehäuser mit eigenem Firmensignet warben mithilfe von Holzschnitten um Kundschaft. Hörstationen in der Ausstellung geben aufgrund von alten Texten Einblick in jene Welt, die uns recht vertraut vorkommt.

Übermantel für eine Frau, Seidensatin, Applikationen, Stickerei in Seide und Goldlahn um Seidenseele (Seide wird spiralförmig von einem dünnen Metallstreifen umsponnen), vermutlich Kyoto, 1860-80.

Das Kabuki-Theater war das Herzstück der japanischen Modewelt. Die Schauspieler waren die Idole ihrer Zeit. Nur Männer standen auf der Bühne, auch in Frauenrollen, was eine fluide Genderthematik in der Gesellschaft förderte. Theaterkostüme wurden in Farbe und Muster vom Publikum nachgeahmt. Zudem gaben die Schauspieler besonders designte Kleidungsstücke in Auftrag, die sich durch Holzschnitte erfolgreich verbreiteten.

Kurtisanen gehörten ebenso zu den Trendsettern und gaben luxuriöse und auffällige Kimonos in Auftrag, um Kunden anzuziehen. Drucke von berühmten Kurtisanen in den modischsten Kimonos dienten nicht nur Bordellen, sondern auch Modegeschäften und Stoffhändlern als Werbeträger. Die Elite liess ihre Kleidung von Fachleuten herstellen, die weniger zahlungskräftige Kundschaft erwarb Stoffe beim Händler und nähte sie zuhause selbst.

Ausstellungsansicht, Kimonos 1800-1850. Foto: rv

Die Ausstellung zeigt den Reichtum und die oft raffiniert hergestellten Kleidungsstücke. Der gerade Schnitt ermöglicht fantasievolle Musterungen, von pflanzlichen Motiven bis zu Szenen aus Literatur und Poesie, ausgeführt in mitunter äusserst anspruchsvollen Web- und Färbetechniken, verziert mit Stickereien und mit Blattgold belegten Applikationen. Diese Techniken werden in kurzen Videos vorgestellt.

Während der Edo-Periode durfte nur die Niederländische Ostindien-Kompanie Handel treiben. Sie exportierte Kimonos nach Europa und brachte fremde Stoffe nach Japan. Besonders begehrt waren farbenprächtig gemusterte Baumwollstoffe aus Indien und Südostasien, sogenannte sarasa, welche die japanischen Textilhandwerker später in eigenen Versionen herstellten.

Ausstellungsansicht mit Export-Kimonos, Ende 19./frühes 20. Jahrhundert

In den 1850er Jahren wurde Japan gezwungen, seine Häfen für den Aussenhandel zu öffnen. Die Hauptstadt wurde von Kyoto nach Edo verlegt, das in Tokyo umbenannt wurde. In der Folge trugen bürgerliche Männer bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hauptsächlich westliche Anzüge, während Frauen bis in die 1940er Jahre beim Kimono blieben. Als dieser immer seltener getragen wurde, wuchs seine Symbolkraft. Man trug ihn noch zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten oder Teezeremonien, dabei verkörperte er nationale und kulturelle Identität.

Ausstellungsansicht mit neuzeitlichen Kimonos

In der westlichen Mode beziehen sich seit dem frühen 20. Jahrhundert britische und europäische Designer immer wieder auf den Kimono, auf seine geraden Linien und drapierten Stoffbahnen. Der Kimono wurde internationaler Trendsetter, verbindet das Fremde mit dem Vertrauten. Sein Einfluss auf die Mode ist bis heute ungebrochen. Modeschöpferinnen und Modeschöpfer interpretieren ihn immer wieder neu. Besonders beliebt und aufwendig inszeniert wird er in Filmen und in der Musikszene. Ausgestellt ist einer der Kimonos, die der Queen-Sänger Freddie Mercury (1946-1991) getragen hat.

Kimono, zartblaue Furisode mit rotem Uchikake, 2019

Reist man heute nach Japan, sieht man Touristinnen in Kyoto, die sich einen Kimono ausleihen, um möglichst «japanisch» durch die Strassen zu ziehen. Hin und wieder begegnet man auch echten Geishas in traditioneller Aufmachung. Eine neue Generation von Designerinnen und Designern demonstriert, dass der Kimono ein wandlungsfähiges, modisches Kleidungsstück ist, das, neu gestylt, durch junge Japanerinnen und Japaner ein Revival erlebt.

Titelbild: Ausstellungsansicht, Foto: rv
Fotos: Zur Verfügung gestellt vom Museum Rietberg, Zürich und
© Victoria and Albert Museum, London

Bis 7. Januar 2024
«Kimono – Kyoto to Catwalk», Museum Rietberg, Zürich
Ausstellungskatalog, verschiedene Essays in Englisch, reich illustriert, Hrsg. Anna Jackson, V& A Publishing London, CHF 49.00

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  1. Einfach traumhaft diese Seidenstoffe. Ich habe mich schon vor vielen Jahren bei meiner ersten Begegnung eines Kimono-Seidenstoffes in einem kleinen Geschäft in den Soux von Tunis in diese kunstvolle Stoffverarbeitung verliebt. Wie der Stoff dorthin gelangte, weiss ich nicht. Mit fester Absicht, mir daraus einen Kimono zu schneidern, nahm ich ihn mit nach Hause. Er fristete dort ein jahrelanges Dasein bei meinen übrigen «Schätzen» im Schrank. Es genügte mir, ihn mir ab und zu anzusehen und durch die Finger gleiten zu lassen. Durch meine vielen Umzüge mit vorherigem Ausmisten meiner Habe, ist er mir leider irgendwann abhanden gekommen.

    So sehr ich die Kunst der Fertigung dieser kostbaren Seidenstoffe und die ausserordentlichen Kleidungsstücke, die daraus entstanden, bewundere, so sehr verabscheue ich die Ausbeutung der vielen Kurtisanen und Geishas, die lediglich als Gespielinnen und Unterhalterinnen ohne Rechte der männlichen, zahlungskräftigen Kundschaft, zur Verfügung stehen mussten.

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