StartseiteMagazinKolumnenWeisheit des Alters

Weisheit des Alters

Ich frage mich oft, ob ich mit dem Alter weise geworden sei. Ich versuche dies in Selbstbetrachtungen zu ergründen.

Gerhard Pfister sagte als Alterspräsident in seiner Eröffnungsrede der neuen Parlamentsperiode den Gewählten, dass ihre Person nicht so wichtig sei wie das Amt. Pfister sprach sie als Persönlichkeiten an, die eine bedeutende Rolle im Dienst des Landes zu übernehmen hätten. Das bedeutet, dass jeder und jede im Amt mehr sei, als ein blosses Ego. Würden sie dann irgendwann vom Amt zurücktreten, werden sie spüren, dass sie wieder zu den einfachen Ichs gehören werden.

Es gibt freilich andere, die sich nach dem Rücktritt zum Tribunal erheben. Es besteht die Gefahr, dass sie sich zu wichtig nehmen. Ähnlich ist es bei CEOs grosser Unternehmen. Nach ihrem Ausscheiden bleiben sie vielleicht noch Aktionäre, haben aber ihre Macht verloren. Ein jeder wird wieder ein gewöhnliches Ich und muss schauen, wie er mit diesem zurechtkommt. Ein hoher Offizier, der straff eine Brigade führte, musste von seiner Frau den Vorwurf hinnehmen: «Zu Hause brauchst du nicht den Truppenführer zu spielen!» Sie hätte auch sagen können: «Da bist du ein gewöhnliches Ich und du musst mit einem Du auskommen».

Ich erhielt das das Buch «Die Weisheit der Stoiker»* und stiess auf ein Zitat von Epiktet: «Wir müssen aus den Dingen, die in unserer Macht stehen, das Beste machen und alles andere so nehmen wie es ist». Dieser Satz, sagte ich mir, ist wie die Initiale, das Verhalten neu zu denken. Es gibt Dinge, die man nicht ändern kann, zum Beispiel das Wetter. Würde ich über den Wettergott schimpfen, würde ich mich mehr als unglaubhaft machen. Wenn ich altere und immer mehr Probleme beim Laufen habe, muss ich dasjenige, was ich noch verbessern kann, tun, aber den Prozess des Alterns hinnehmen.

Also übe ich mich in Geduld und komme immer wieder zur Einsicht, dass Jammern nichts hilft und ich mich dem Gegebenen fügen muss. Dabei spüre ich, dass ich zufriedener werde. Selbstverständlich ist mir bewusst, dass ich das Unvermeidliche nicht bagatellisieren darf, denn am Ende steht immer der Tod. Als ich so über die Weisheit im Alter nachdachte, fiel mir der Streit zwischen Sokrates und Platon ein. Platon sah sich als weiser Philosoph und bekannte dies gegenüber Sokrates. Dieser aber sagte, kein Mensch könne weise sein. Diese Antwort verstimmte Platon und er liess Sokrates in seinen Schriften und Dialogen nicht mehr für ihn sprechen

Als ich den Unterschied dieser Selbsteinschätzung bedachte, spürte ich, dass ich zwischen den beiden Philosophen stand. Ich neigte mich Sokrates zu und lehnte Platons Meinung ab. Und doch befriedigte mich dies nicht ganz und ich fragte mich, ob ich nicht für mich eine Formel finden könnte, um dem Dilemma zu entkommen? So sagte ich mir: «Ich bin weise, weil ich weiss, dass ich nicht weise bin». So endete mein Nachdenken in der Paradoxie und ich bin mir bewusst, dass diese Wahrheit nur eine einzige Konsequenz hat, die heisst, im hohen Alter bescheiden und demütig zu bleiben.

*Massimo Pigliucci: Die Weisheit der Stoiker. Piper

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2 Kommentare

  1. Ganz zuerst: Ich bin überzeugt, dass Gerhard Pfister sich die etliche Mühe gab bei seiner Eröffnungsrede als Alterspräsident. Trotzdem, für das Abzählen der Demütigen und Bescheidenen im Parlament reicht vermutlich eine Hand. Und den wenigsten droht nach dem Rücktritt oder gar nach einer Abwahl die absolute Bedeutungslosigkeit. Im Gegenteil, für manche ist es lediglich eine Stufe zu noch höheren Weihen. Just bei dieser Gelegenheit sprach Pfister als primus inter pares und jede und jeder, der dessen Ambitionen kennt, weiss auch, morgen ist diese Rede bereits wieder Geschichte. Aktuell hackt jeder auf Jositsch ein, obgleich er sich lediglich erlaubt und ausgesprochen hat, was sehr viele ebenfalls denken. Das war zwar nicht sehr gescheit und schon gar nicht diplomatisch, aber sehr sehr nahe der Wahrheit. Das zu Pfisters Rede.
    De plus: Sokrates hatte recht. Aber Herr Iten, was hilft einem einfachen Bürger bei der Suche nach der Weisheit, wenn ihm weder Sokrates noch Platon begegneten. Ist die Weisheit an akademisches Wissen gebunden oder ist sie lediglich ein allzu grosser Anspruch? Reicht nicht auch eine gewisse Klarsicht über die Fährnisse des gelebten Lebens?

  2. Ihren für mich etwas allzu philosophischen Gedanken zur Weisheit im Alter, möchte ich den Anfang des Lebens entgegenhalten. Der Mensch wird als Rohdiamant mit seinen einzigartigen Merkmalen in diese Welt geboren. Zeit seines Lebens, bis zu seinem Verschwinden im Tod, wird dieser Diamant geschliffen und seine bereits vor der Geburt angelegten positiven und negativen Charaktereigenschaften durchlaufen einen steten Wandlungsprozess.
    Ob wir im Alter strahlen wie ein schöner Diamant, oder wie Sie es nennen, weise geworden sind, hängt nach meiner Auffassung davon ab, ob wir die Lehren des Lebens in einen schlüssigen Zusammenhang bringen und eine Sinnhaftigkeit in allem was uns widerfahren ist erkennen können und damit im Alter von einer gewissen Zufriedenheit und Dankbarkeit für die gelebten Jahre erfüllt sind.

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