Rotkäppchens Grossmutter, Blaubart, die böse Stiefmutter, Hexen: Was verbindet diese unvorteilhaft dargestellten Berühmtheiten? Es sind alles Seniorinnen oder Senioren. Na also.
Eine Welt ohne Diskriminierungen ist noch weit entfernt. Auch wir Seniorinnen und Senioren sind angesprochen. Mal als Privilegierte, mal als Benachteiligte. Der Weg zur allzeit und überall gleichen Gesellschaft ist dank Gender- und Wokeness-Diskussionen umstritten. Die Rolle der Alten in Märchen und Mythen ist zwar ein Nebengeleise, aber immerhin amüsant.
Rotkäppchens Grossmutter. Ein erschreckendes Beispiel wie alte Frauen in der Märchenwelt dargestellt werden. Sie trägt ein unvorteilhaftes Nachthemd und ein Schlafhäubchen. Sie wohnt in einem mies isolierten alten Häuschen. Und lässt sich einfach, mir nix, dir nix, von einem Wolf verspeisen. Später wird ihn ein (Walliser?) Jäger töten. Der Wolf ist geschützt. Steckt Albert Rösti dahinter?
Frau Holle. Die einzige Beschäftigung dieser Seniorin ist es, Bettwäsche zu schütteln. Da haben wirs, das uralte Klischee, dass Frauen nur für niederschwellige Hausarbeiten zu gebrauchen sind. Jetzt ist sie womöglich auch diesen Job los: Für weisse Skipisten sorgen statt Frau Holle die Schneekanonen.
Ritter Blaubart. Die Darstellungen zeigen ihn als angejahrten Lüstling. Unser Bild fördert den Verdacht, dass es um Missbrauch von Minderjährigen im Schutzalter geht. Die hervorstehenden Glubsch- und Grapschaugen lassen ahnen, dass Schlimmes bevorsteht.
Hexen. Die bekanntesten Seniorinnen in Märchen sind die Hexen. Sie haben meist eine bös-böse Rolle. Daneben haben sie Probleme, die aber niemand beachtet. Sie haben Zahnlücken. Wieso spucken die Dentisten nicht in die Hände? Sie haben einen Buckel. Wieso bleiben die Physiotherapeutinnen untätig?
Stiefmutter. Die Patchwork-Familie ist wohlgelittener Alltag geworden. Da grätscht nun die böse Stiefmutter in diese neue Harmonie. Solche Übeltäterinnen kommen in mehreren Märchen vor. Am bekannstesten wurden sie durch Aschenputtel und Schneewittchen. In den älteren Märchenfassungen war übrigens nicht die Stief- sondern die leibliche Mutter böse. In der Romantik war es der Leserschaft nicht mehr zuzumuten, dass eine leibliche Mutter ihre Kinder einsperrt oder gar tötet. Deshalb wurde die Mutter durch die entfernter verwandte Stiefmutter ersetzt. Frühe Cancel-Culture also.
Bleibt noch der Samichlaus. Er wird stets durch Senioren verkörpert. Doch: Fühlt sich die dritte Generation durch einen Mann mit modisch undiskutabler Ganzkörperumhüllung vertreten? Fühlt sich ein Golden Ager durch einen Typ mit ungepflegtem Rauschebart repräsentiert? Kann sich ein pädagogisch versierter Grossvater mit einer Gestalt mit einer Rute identifizieren? In unserem Bild sehen wir den Chlaus mit einem Angestellten. Wird Knecht Ruprecht als wertvoller Mitarbeiter geschätzt? Hat er Aufstiegsmöglichkeiten? Geregelte Arbeitszeiten mit Überstunden- und Nachtzuschlägen? Pensionskasse?
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Es ist doch wie bei allem Geschriebenen von früher: Es sind fast ausschliesslich Männer, die aus ihrem eigenen Blickwinkel die Welt und die Menschen beurteilen. Die Frauen kamen selten bis nie vor und wenn, wie z.B. in den Märchen der Brüder Grimm, mussten sie herhalten für das Böse und Negative in ihren Geschichten. Eine Stigma, mit dem wir Frauen seit jeher leben müssen und die unsere Kultur bis heute prägt.
Jahrhunderte waren die Frauen entweder Huren oder Heilige und die Männer bedienten sich dieser ungerechten Klaviatur in Büchern, Filmen, Pädagogik und dem allgemeinen Frauenbild, wie es ihnen beliebte. Wie es dem (männlichen) Bild damaliger Märchenerzählungen entsprach, waren die Alten im besten Sinn klug und mit Weisheit oder Heldentum dekoriert, vor allem die Männer, denn die weisen Frauen, insbesondere die Hebammen und Heilerinnen, wurden mit dem Aufkommen des Christentums flugs von christlichen Kirchenmännern als Hexen denunziert, ausgegrenzt, im frühen Mittelalter gefoltert, geköpft, und zu Hunderttausenden auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Ihre wertvollen Hinterlassenschaften z.B. die der Pflanzen- und Heilkunde und das Wissen um Geburt und Tod, verschwanden in den bedeutenden Klöstern und wurden in späteren Jahrhunderten den Mönchen als Urheber zugeschrieben. Eine überlieferte Ausnahme sind die natur- und heilkundlichen Schriften der Hildegard von Bingen, die schon zu Lebzeiten im 12. Jahrhundert verehrt wurde. Heute finden sich viele dieser Heilkundeverfahren in der lukrativen Pharmaindustrie wieder, für die viele Frauen vom 11. bis noch ins 18. Jahrhundert gequält und ermordert wurden.
Akzeptiert werden heute alte Menschen wenn sie unentgeltlich etwas für die Allgemeinheit tun, tüchtig konsumieren und, wenn es etwas zu erben gibt, und das sind in der Schweiz xMilliarden, für das die Erben weder etwas leisten müssen noch adäquat besteuert werden.