Für die Behandlung von Multipler Sklerose braucht es verlässliche Langzeitdaten über den individuellen Krankheitsverlauf. Fitness-Tracker und Handys können diese Daten liefern, wie Forschende unter der Leitung der ETH Zürich nun zeigen.
Multiple Sklerose (MS) ist eine tückische Krankheit. Patientinnen und Patienten leiden darunter, dass ihr Immunsystem die eigenen Nervenfasern angreift, wodurch diese Nervensignale langsamer weiterleiten. Betroffene erleiden vielfältige – leichte bis schwere – Beeinträchtigungen ihrer Motorik und ihrer Sinneswahrnehmungen. So individuell die Ausprägungen und Verläufe der Krankheit sind, so individuell ist auch der Umgang damit. Damit Ärztinnen und Ärzte wirksame Therapien empfehlen können, befragen sie Patienten regelmässig zu ihren Beschwerden und zum Krankheitsverlauf.
Aus der Erinnerung berichten
Die Patienten haben dabei die schwierige Aufgabe, aus dem Gedächtnis Auskunft über ihr Befinden und ihre Leistungsfähigkeit in den vergangenen Wochen und Monaten geben zu müssen. Die so erhobenen Daten können ungenau und unvollständig sein. Daher könnte es auch zu Fehlbehandlungen kommen.
«Ärztinnen und Ärzte würden davon profitieren, wenn sie Zugang hätten zu verlässlichen Langzeitmessungen der Gesundheitsparameter ihrer Patienten. Diese Daten zeigen ein genaues und umfassenden Bild vom Zustand der Patienten», erklärt Shkurta Gashi. Sie ist Erstautorin einer neuen Studie am Departement Informatik sowie Fellow des ETH AI Centers.
Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von der ETH Zürich, dem Universitätsspital und der Universität Zürich zeigt Gashi nun, dass Puls- und Sportuhren sowie Smartphones solche verlässlichen Langzeitdaten liefern können.
Digitale Marker für MS
Die Forschenden statteten Freiwillige mit einer Fitnessuhr aus. Von diesen Personen hatten 55 MS, 24 waren gesunde Kontrollpersonen. Während zwei Wochen sammelten sie Daten dieser Fitnessuhr und von den Smartphones der Studienteilnehmenden. Anschliessend werteten sie diese Daten statistisch und mittels maschinellen Lernens aus, um zu ermitteln, welche dieser Daten für die Ärzte nützlich sind.
Als besonders aussagekräftig erwiesen sich dabei Daten zur körperlichen Aktivität und zum Puls: Je geringer die körperliche Aktivität und der Puls, desto stärker beeinträchtigt und müder waren die Studienteilnehmenden.
Shkurta Gashi: «Durch die Kombination der Daten der Sportuhren und der Smartphones können wir gut zwischen Gesunden und MS-Erkrankten unterscheiden.»
Die Häufigkeit der Smartphone-Nutzung lieferte weitere wichtige Informationen zu Leistungsfähigkeit und Ermüdung: Je seltener die Testpersonen ihr Handy benutzen, desto stärker waren sie ermüdet, so die Folgerung. Rückschlüsse auf die motorischen Fähigkeiten gewannen die Forschenden durch einen spielähnlichen Test auf dem Smartphone. «Durch die Kombination der Daten der Sportuhren und der Smartphones können wir gut zwischen Gesunden und MS-Erkrankten unterscheiden», erklärt Gashi.
Zuverlässiger Ansatz
Mit dem neuen Ansatz können MS-Betroffene in ihrem Alltag einfach und unkompliziert verlässliche und nützliche Langzeitdaten sammeln. Die Forschenden gehen davon aus, dass sich durch diese Daten die Qualität der Behandlung verbessert.
Die Forschenden weisen darauf hin, dass es eine grössere Studie und mehr Daten braucht, um verlässliche Modelle für die automatische Datenauswertung zu entwickeln. Solche Modelle könnten in Zukunft ermöglichen, dass MS-Patienten dank Daten von Fitnesstrackern und dem Smartphone eine deutliche Verbesserung ihres Lebens erfahren
Multiple Sklerose
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems, die das Gehirn und das Rückenmark betrifft. Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung. Die Symptome von MS sind vielfältig und hängen davon ab, welche Bereiche des Nervensystems betroffen sind. Sie reichen von Müdigkeit und Taubheitsgefühlen in Armen oder Beinen über Sehstörungen bis hin zu schweren Koordinationsproblemen und Lähmungen. Die Krankheit verläuft bei jedem Betroffenen anders, was die Diagnose und Behandlung erschwert. MS ist nicht heilbar, aber verschiedene Therapieansätze können dazu beitragen, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Ärztinnen und Ärzte diagnostizieren MS derzeit in erster Linie durch Hirnscans mit hochauflösender Magnetresonanztomographie (MRI) sowie verschiedene medizinische Tests, um andere Krankheiten auszuschliessen.
Titelbild: In den Daten von Sportuhren stecken wichtige Informationen zum Verlauf einer Multiplen Sklerose. (KI-generieres Bild: ETH Zürich)
Von Fabio Bergamin, ETH News (gekürzt)
Die Studie ist in der Fachzeitschrift: externe SeiteNPJ Digital Medicinecall_made erschienen.