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Die Medien sind besser als ihr Ruf

Kritiker schimpfen über den vermeintlich desolaten Zustand der Medien. Sie haben recht, wenn sie die sozialen Schrottkanäle meinen. Sie haben unrecht, wenn sie die Qualitätsmedien verurteilen.

Die „Klima-Grosis“ haben viele beschäftigt. In meiner letzten Kolumne vor zwei Wochen habe ich mich über diese beleidigende Bezeichnung geärgert. Alle grossen Medienhäuser haben viele ihrer Artikel über die Klima-Seniorinnen so blöd betitelt. Der Hintergrund: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine Klage der Klima-Seniorinnen gutgeheissen und damit die offizielle Schweiz aufgefordert, mehr für den Klimaschutz zu tun.

In der Seniorweb-Kolumne gings nicht um die Umwelt, sondern um die abwertende Bezeichnung „Klima-Grosi“. Mit einer einzigen Ausnahme bestätigten unsere Kommentatorinnen und Kommentatoren, dass es unzumutbar sei, die engagierten Frauen so zu verniedlichen. Einige Schreibende ergänzten ihre Kritik und fügten an, dass der aktuelle Journalismus weder Hand, noch Fuss, noch Kopf habe. Werte Medienskeptiker, mit Verlaub, das „Grosi“ war zwar ein dummer Ausrutscher. Jedoch:

Übers Ganze gesehen darf man die Qualitätsmedien nicht verprügeln.

Hinter dieser Qualität steckt allerdings viel Leid: Massenentlassungen, Schliessungen, Abbau. In den letzten Jahrzehnten sind viele Zeitungen zu Kopfblättern geworden. Sie wurden aufgekauft oder eingegliedert und beziehen nun den grössten Teil ihres Inhalts über die Zentralredaktionen von Tamedia, NZZ oder CH-Media. Den gestutzten Blättern bleibt nur noch die Regionalberichterstattung.

Das führte dazu, dass viele Journalistinnen und Journalisten auf die Strasse gestellt wurden. Manche wechselten ans andere Ufer und wurden Öffentlichkeitsbeauftragte oder PR-Mitarbeiterinnen. Sie vergrössern damit das Heer der Kommunikationsfachleute bei den Behörden und Firmen und kämpfen in dieser Position fortan gegen ihre ehemaligen Kolleginnen und Kollegen.

Früher berichteten 15 Redaktionen über die gleiche Abstimmungsvorlage. Weil sie zuwenig Ressourcen hatten, nutzten sie gerne die identischen Texte der Nachrichtenagentur SDA. Jetzt können die verbliebenen, aber besser ausgestatteten Zentralredaktionen vertiefter drauf eingehen. Zwar bemängeln Kritiker nun, dass die Meinungsvielfalt leide. Doch so divers schrieben früher die unterdotierten SDA-abhängigen Kleinredaktionen auch wieder nicht.  Heute kämpfen die NZZ und Tamedia um die Meinungsführerschaft. Das genügt.

Ausschnitt aus einer Ostschweizer Zeitung aus den Siebzigerjahren.
Früher war nicht alles besser. Bild Uni Bern

Die vergrösserten Redaktionen können nun komplexe Umfragen stemmen oder interaktive Darstellungen bauen. Die Bündelungen funktionieren auch international. Es entstanden Recherche-Zusammenschlüsse mehrerer grosser Redaktionen von «Le Monde» über die «Frankfurter Allgemeine» bis zur «Times». Mit viel Manpower erreichen diese Netzwerke nun auch politische Bewegungen, die früher nicht möglich waren. Prominentes Beispiel sind die «Panama Papers», die Steuerhinterziehung und Geldwäsche im grossen Stil aufdeckten.

Die Zeitungen und ihre Medienportale sind zwar besser als ihr Ruf. Digitalisierung und Fusionen haben aber auch viele Opfer gefordert. Auf den regionalen Seiten fehlt nun die Gemeindeversammlung von Kleindieterswil, beim Sport vermissen die Anhänger des Zweit- und Drittligaklubs den Artikel über den letzten Match. Beim Theater, bei den Konzerten, Ausstellungen oder Filmen besprechen die Journalistinnen nur noch die grossen Kisten.

Zum Glück gibts für die Kultur abseits des Mainstreams noch Seniorweb.

 

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3 Kommentare

  1. Frage: Kann man heutzutage den Wahrheitsgehalt der Inhalte von guten und schlechten Medien noch erkennen? Ich bin mir nicht mehr so sicher. Als authentische Journalistin oder wahrheitsliebender Reporter muss es schwierig sein, einen guten Job zu machen, sofern man überhaupt noch einen hat. Das Meiste was wir täglich lesen oder hören kommt von den grossen Medienhäusern. Diese sind jedoch nur so gross und mächtig geworden, weil sie u.a. die lokalen Zeitungen zusammengekauft und damit die Diversität zerstört haben. Medienschaffende sind zum Kostenfaktor verkommen, Lokalkolorit und die Nähe zu den Leser:innen bleiben auf der Strecke.

    Diesen Zentralismus sehen wir auch beim Radio und Fernsehen SRF. Das Radiostudio Bern musste nach Zürich in das neue Grossbüro Leutschenbach zügeln. Wer weiterhin bei SRF arbeiten und in Bern wohnen will, muss notgedrungen pendeln.
    Dem einzigen regionalen, privaten TV-Sender, der für die Stadt Biel, das Seeland und den Berner Jura ausgestrahlt wird, hat das Bakom per 1. Januar 2025 die Konzession entzogen. Ein Schock und ein Affront für all diejnigen, die sich seit 25 Jahren mit Herzblut für die gelebte Zweisprachigkeit in dieser Region einsetzen. Der Privatsender TeleBärn, der zur Tamediagruppe gehört, bekommt weiterhin eine Konzession. Das ist diskriminierend und macht mich wütend. Als fleissige Leserin und Schreiberen bei Seniorweb bin ich dankbar für die vielfältigen Beiträge und vertraue weiterhin auf die Seriosität dieser Plattform.

  2. Stimmt nicht ganz: Das Radiostudio Bern musste nicht gänzlich nach Leutschenbach zügeln. Nur die Nachrichten- und Info4-Redaktion ist jetzt in Zürich – der Rest konnte (nach einigen politischen Bemühungen) in Bern verbleiben.

  3. Danke, Peter Steiger: ein wohltuendes und fundiertes Gegengewicht zum allg. Gejammer über die Qualität der Medien!

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