Nach dem einheimischen Dällebach Kari im vergangenen Jahr zeigen die Thuner Seespiele diesen Sommer das Musical des britischen Kindermädchens Mary Poppins. Fantastische Stimmen, ein tolles Bühnenbild, farbenfrohe Kostüme, eine perfekte Choreografie und viele verzaubernde Momente sind die Hauptmerkmale des Spektakels am Ufer des Thunersees.
Es braucht viel Mut, den aufwändigen Nanny-Klassiker Mary Poppins als Freilichtinszenierung auf eine offene Seebühne zu bringen. Die Disney-Verfilmung aus dem Jahr 1964 und die Uraufführung als Musical 2004 im Londoner Westend haben die Latte hoch gelegt. Diesen Sommer bilden die ebenso häufigen wie starken Abendgewitter eine zusätzliche Herausforderung für das ganze Team. Es ist den Produzenten Freddy und Oliver Burger deshalb hoch anzurechnen, das Traditionsmusical allen Widerwärtigkeiten zum Trotz in diesem feuchten Sommer realisiert zu haben.
Familie Banks.
Das Stück erzählt die Geschichte der Familie Banks. Deren Kinder Jane und Michael (an der Premiere gespielt von Karin Anreiter und Victor Delaquis) tanzen ihrem Kindermädchen auf der Nase herum. Die Eltern sind unzufrieden und entscheiden: Sie brauchen dringend eine neue Nanny. Die Banks (Johanna Zett und Patrick Imhof) haben klare Vorstellungen davon, wie die Person sein soll. Doch keine der neuen Bewerberinnen hat die nötige Strenge. Mit der Anstellung von Mary Poppins (Alexandra-Yoana Alexandrova) kommt neuer Wind ins Haus.
Mary Poppins.
Humorvoll und einfühlsam gestaltet die junge Frau den Alltag mit Jane und Michael. Sie zaubert einen Spiegel, eine Garderobe, eine Zimmerpflanze aus ihrer grossen Tasche. Sie nimmt die Kinder mit auf zahlreiche magische Abenteuer und Traumreisen. Im Park erleben sie, wie Statuen und Bäume tanzen. In der Küche zaubert sie aus einem Chaos eine wunderbare Ordnung. Dank dem Kaminfeger und Erzähler Bert (Christopher Bolam) lernen Jane und Michael ein ganzes Kaminfeger-Ballett kennen, das aus einem Meer von Schirmen einen zauberhaften Sternenhimmel entstehen lässt. Mit Liebe, Verständnis und Fürsorge verändert Mary Poppins nicht nur das Wesen der Kinder, sondern die Dynamik der ganzen Familie.
Kaminfeger und Erzähler Bert über den Dächern von London.
Als Vater Banks, der vor allem aufs Geld schaut, glaubt, er habe falsch investiert, erteilt Mary Poppins auch dem strengen Geschäftsmann eine Lektion. Reichtum und Macht seien nicht das höchste der Gefühle, lautet ihre Botschaft. George Banks entdeckt dank dem Kindermädchen und seinem Nachwuchs das Menschsein und schwört Geld, Profit und dem Berufsstress ab. Damit hat Mary Poppins ihre Aufgabe in der Familie erfüllt. Ihre Kette reisst und sie entschwebt mit ihrem Regenschirm und dem legendären Koffer über die Köpfe des Publikums in die dunkle Nacht.
Mary Poppins und Bert während einem nächtlichen Ausflug.
Die Thunerseespiele-Produktion 2024 ist rundum gelungen. Regie führt Matthias Davids vom Landestheater Linz. Die Inszenierung glänzt dank origineller Einfälle und viel Präzision. Für die Kinderrollen wurde der lokale Nachwuchs aktiviert. Es ist erstaunlich, wie sich die 10-15jährigen Nachwuchskünstlerinnen und Künstler in das Profi-Ensemble einfügen. Sie singen, tanzen und spielen mit, als ob sie nie etwas anderes getan hätten. Natürlich steckt sehr viel zeitlicher Aufwand und tägliche Präsenz hinter diesem Engagement.
Präzise Choreografie.
Das gilt auch für die Tänzerinnen und Tänzer (Choreografie: Kim Duddy), die mit Charme, Präzision und ausdrucksstarken Massenszenen begeistern. Das Bühnenbild (Andrew D. Edwards) erinnert an einen umgekehrten Regenschirm, dessen Griff leuchtend in den Abendhimmel zeigt. Aus den Schornsteinen steigt immer wieder Rauch empor. Auf dem Bühnenboden erkennt man einen Stadtplan. Links steht ein überdimensioniertes Puppenhaus, rechts: die St. Paul’s Cathedral. Zahlreiche Auf- und Abhänge machen rasche Szenenwechsel möglich. Während sich die Nacht über die Seebühne legt, wird während gut zwei Stunden mit viel Lebensfreude und Charme getanzt, gesungen, gespielt. Eine fantastische Gesamtleistung.
Farbenfroh und originell sind die vielen Kostüme (Ales Valasek). Mary Poppins wechselt von einem blauen Kleid in einen roten Mantel. Vater und Mutter Benks tragen klassische Kostüme, ebenso Jane und Michael. Ins Auge sticht der Kontrast zwischen den Tänzerinnen und Tänzern, den schwarzen Schornsteinfegerinnen und -fegern, den Statuen, Bäumen und Pflanzen. Ein farbiger Höhepunkt ist die Drachenszene, welche die Lebensfreude, Spiellust und Freude der gesamten Produktion ausdrückt.
Der Nachthimmel über der Bühne, anlässlich der Première. Foto PS
Das 20köpfige Orchester unter Dirigent Iwan Wassilevksi liefert aus dem Graben die wunderschöne Begleitmusik mit vielen Ohrwürmern. Ein perfektes Tondesign (Thomas Strebel) und Lichtdesign (Tim Deiling) sind bei Freilichtaufführungen unverzichtbar. In diesen beiden Punkten ist man als Zuschauer der Seespiele Höchstniveau gewöhnt.
Matchentscheidend aber ist das Wetter. Die Organisatoren entscheiden jeweils am Mittag, ob die Aufführung am Abend stattfinden kann. Die Premiere ging am vergangenen Donnerstag glücklicherweise ohne Regen über die Bühne. Mary Poppins und dem ganzen Ensemble sind diesen Sommer noch viele trockene Aufführungen zu wünschen. Sie hätten es verdient.
Weitere Aufführungen bis 24. August 2024
- Reguläre Aufführungstage: Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag.
- Reservetage (wetterbedingt) für ausgefallene Vorstellungen: Montag und Dienstag.
LINK MIT MEHR INFOS: Thunerseespiele
Titelbild: Das Bühnenbild erinnert an einen umgekehrten Regenschirm, dessen Griff leuchtend in den Abendhimmel zeigt. Fotos PD / Phil Wenger
Tolle Bilder und Beschreibung – Haette mir diese Show zu gerne angesehen!