In einem Vortrag über «Menschliches Wachstum» von 1971 hat Erich Fromm sich über guten und schlechten Überfluss Gedanken gemacht. Vielleicht können wir uns am Ende einer Phase überbordenden Konsums in der westlichen Welt von Erich Fromm inspirieren lassen.
Ein Jahr nach Fromms Vortrag im Süddeutschen Rundfunk Stuttgart erschien 1972 der Aufsehen erregende Bericht des Club of Rome «Die Grenzen des Wachstums». Viele weitere wachstumskritische Texte folgten, u.a. Global 2000 oder «Earth for all» im Jahre 2022 – von den einen als «Unfug» oder «Weltuntergangsszenarien « apostrophiert, von andern ernstgenommen, auch wenn nicht alle Voraussagen und Simulationen zutrafen und zutreffen.
Erich Fromm bezeichnet in seinem Vortrag das Wachstumsmantra «Was gut für die Industrie ist, ist auch gut für den Menschen, und was gut für den Menschen ist, ist auch gut für die Industrie» als Schwindel.
Menschen, die von der Gier nach Macht, Geld und Geltung getrieben werden, produzieren und konsumieren nicht, was nützt, sondern was ihnen Geld und Ansehen bringt, ungeachtet der Schäden, der sie mitverursachen, so Fromm.
Der wache Konsument könnte Gegensteuer geben, indem er lernt zwischen wahren und falschen Bedürfnissen zu unterscheiden. Es gebe Konsumenten, die wie ewige Säuglinge in sich hineinsaugen, was angeboten wird, egal ob es sich um Drogen, Essen, Kleider, Medienerzeugnisse usw. handle, was letztlich schläfrig, langweilig und passiv mache. Wer so konsumiere, leide an überflüssigem, zwecklosem, sinnlosem Überfluss.
Demgegenüber gebe es Formen der Befriedigung von Bedürfnissen, wodurch man aktiver, lebendiger, freier werde. Dies trage zur Entfaltung der Persönlichkeit bei, zu einem besseren Leben für uns und andere.
Gut, das wissen wir. Trotzdem ist der Produktions- und Konsumwahnsinn weiter am Wuchern. Der Mittelstand hat Verarmungsängste, wenn eine kapitalismuskritische Haltung eingenommen wird. Deshalb hüten sich allzu viele Politikerinnen und Politiker, notwendige Änderungen anzusprechen, um ja nicht in der Kiste der Phantasten und weltfremden Idealisten zu landen und abgewählt zu werden. Wer hingegen mit «Charme» und einer Rhetorik der einfachen Lösungen sicheres Einkommen «garantiert» und Ungerechtigkeiten und planetare Umweltprobleme runterspielt, kann auf Wählerstimmen hoffen. Es ist für viele einfacher, sich durch eine verzerrte Problemwahrnehmung täuschen zu lassen als sein Leben zu ändern.
Fromm macht Mut und es lohnt sich, nicht nur die Passagen über den überflüssigen Überfluss ab Minute 14 zu hören. Auch vorher ist der Vortrag anregend und man versteht vielleicht besser, warum sich nicht nur Jugendliche ganz aus einer Gesellschaft, die sie für passé halten, ausklinken oder dagegen protestieren.
Was Erich Fromm nicht anspricht, sei hier für Seniorinnen und Senioren nachgetragen: Das Gesundheitswesen ist auch zu einem lukrativen Teil der Wirtschaft geworden (in der Schweiz über 12 % des Bruttosozialprodukts) und auch wenn man unter chronischen Beeinträchtigungen leidet, ist es wichtig zu unterscheiden, welche Angebote der Gesundheitsbranche sinnvoll, vitalisierend, heilend und welche sinnlos, einschläfernd, entmündigend sind und welche Angebote dazwischen liegen…
Vortrag von Erich Fromm vom 31. Januar 1971, über «überflüssigen Überfluss» ab Minute 14.
Titelbild: Screenshot aus dem Vortrag von Erich Fromm (Foto bs)
Sehr guter Artikel! Leider sind sich die meisten Konsument:innen zu wenig bewusst, dass sie es in der Hand haben, wo ihr Geld hingeht. Bewusster einkaufen braucht eine gute Vorbereitung und mehr Zeit; die sollte man sich nehmen, wenn wir etwas verändern wollen.
Es ist bemerkenswert, dass Erich Fromm bereits 1971 das Thema des “überflüssigen Überflusses” aufgegriffen hat, das auch heute noch von Bedeutung ist. Die Jugend von damals sind die Senioren von heute, die oft weiterhin im Überfluss leben und selten bereit sind, Abstriche zu machen. Kein Wunder, dass die heutige Jugend genug davon hat und nun durch Demonstrationen versucht, die Welt ein Stück besser zu machen. Dieser Artikel hat mich auch dazu angeregt, mein eigenes Verhalten zu reflektieren. Danke Beat Steiger!
Wie aktuell doch der Beitrag von Erich Fromm heute ist! Um weniger und bewusster zu konsumieren, muss ich wohl zuerst meine echten Bedürfnisse kennen. Ein Weg der sich lohnt zu gehen…
Danke Beat und beste Grüsse!