2 Kommentare"Mich interessieren nicht in erster Linie die Kosten, sondern die Leistung" - Seniorweb Schweiz
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«Mich interessieren nicht in erster Linie die Kosten, sondern die Leistung»

Seit den 1970-er Jahren befasst sich der Gesundheitsökonom Heinz Locher (Titelbild) aus ökonomischer Sicht mit den vielfältigen Aspekten von Gesundheitssystemen. Seniorweb befragte ihn nach dem aktuellen Zustand unseres Gesundheitssystems sowie nach den Folgen der Nachlasstundung am Spital Wetzikon.

Das Gesundheitswesen der Schweiz galt seit jeher als beispielhaft: Spitäler in allen Kantonen, Pharma, Krankenkassen… Dieses Faktum widerspiegelt sich im Urteil der Bevölkerung. Diese beispielhafte soziale Errungenschaft der Schweiz steht zwischenzeitlich öfters in der Kritik. Wegweisende Reformen sind zwingend notwendig. In erster Priorität müssten die Prämienbelastung gesenkt und falsche Anreize zu vermeidbaren Leistungen beseitigt werden. Der alljährliche Prämienanstieg der Krankenkassen trifft die Bevölkerung zunehmend. Angesichts des permanenten Kostenanstiegs und der Sorgen der Bevölkerung sind mehr Verantwortungsbewusstsein, aber auch eine vermehrte Zusammenarbeit aller Leistungsträger wichtiger denn je.

Die primären Anliegen von Heinz Locher sind, dass alle Zugang zu qualitativ hochstehenden Leistungen erhalten und dabei die Beziehungen aller Beteiligten von Respekt und Wertschätzung geprägt sind. Gegenwärtig gilt sein Hauptinteresse dem Betreuungsbereich, insbesondere für alte Menschen, wo noch erhebliche Missstände bestehen. Zu deren Korrektur engagiert er sich in der Care(at)Home Schweiz GmbH. Wir unterhielten uns mit dem Experten.

Seniorweb: Wie gesund ist unser Gesundheitssystem?

Heinz Locher: Das hängt davon ab, was und wo wir messen. Wenn die Gesundheitssysteme verschiedener Länder miteinander verglichen werden, verwendet man drei Messgrössen: Zugang, Leistungen und deren Qualität, Ressourcenverbrauch (Personal, Finanzen). Viele Jahre war ich stolz, wenn ich auf internationalen Tagungen mit gutem Gewissen sagen durfte: Bei uns haben dank des Obligatoriums der Krankenpflegeversicherung alle Zugang zu einem grosszügig ausgestalteten Gesundheitssystem, unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dann kamen die unseligen schwarzen Listen, und ich wurde etwas leiser.

Aber dafür profitierten wir doch von der hohen Qualität!

Die Frage nach der Qualität war mir immer etwas peinlich. Jeder konnte behaupten, was er wollte, denn die Qualität wurde viele Jahre lang gar nicht gemessen. In den internationalen Vergleichstabellen stand oft ein Hinweis auf die Fussnote: Switzerland: «not available».

Auch beim Ressourcenverbrauch, vor allen bei den Kosten, war es wohl nicht immer leicht, unser System positiv darzustellen?

Jein. Als Gesundheitsökonom interessieren mich nicht in erster Linie die Kosten, auch wenn dies erstaunen mag, sondern die Leistung. Erst wenn diese bekannt ist, kommt die Forderung, diese wirtschaftlich zu erbringen. Ich muss immer etwas schmunzeln, wenn von der Gefahr der Ökonomisierung der Medizin die Rede ist. Das wird sofort klar, wenn die Frage auftaucht, was denn das Gegenteil von «ökonomisch» ist. Die Antwort lautet «verschwenderisch». Ich kenne nur einen «Beruf», der bewusst unökonomisch handelt: Es ist der Clown mit den viel zu langen Schuhen, der den Ball, den er aufheben möchte, zur Freude des Zirkuspublikums immer wieder von sich stösst. Von der Ökonomisierung klar zu unterscheiden ist die «Kommerzialisierung», die «Gschäftlimacherei».

Machen Sie es sich nicht etwas zu einfach, wenn wir an die vielen, gerade älteren Menschen denken, die unter der Last der Krankenkassenprämien schwer leiden.

Zugegeben, das ist eine Schwachstelle. Ich unterstütze deshalb die diesbezüglichen Verbesserungsbemühungen.

Wenden wir uns nach diesem «Tour d’Horizon» noch einem Aufsehen erregenden Ereignis zu?

Mit grossem Staunen, aber auch mit Besorgnis, haben wir vernommen, dass dem Spital Wetzikon eine sogenannte provisorische Nachlassstundung gewährt worden sei, nachdem es sich nicht in der Lage sieht, eine bald fällige Anleihe von 160 Mio. Franken zurückzuzahlen. Da stellen sich verschiedenste Fragen: Wie konnte es so weit kommen? Was bedeutet «provisorische Nachlassstundung» für das Spital und das Personal?

Welche Konsequenzen ergeben sich für Patientinnen und Patienten aus der Region. Finden sie im Bedarfsfall ein Spitalbett?

Das sind wirklich viele Fragen. Beginnen wir mit der provisorischen Nachlassstundung. Das ist ein Instrument aus dem Schuldbetreibungs- und Konkursrecht. Vereinfacht gesagt: dem Spital wird vom zuständigen Gericht eine Schonfrist gewährt, während der es nicht betrieben werden kann. Während dieser Frist von vorerst vier Monaten – sie kann auch verlängert werden – sollen Lösungen gesucht werden, um einen Konkurs zu vermeiden. Ein geordnetes Verfahren ist auch im Sinne der Gläubiger ein ungeordneter Zusammenbruch, würde viel mehr Schaden anrichten, und für das Personal können die Arbeitsplätze zumindest vorerst gesichert werden.

Das wäre nun geklärt. Aber wir alle sind doch überrascht worden, dass so etwas in unserem Lande vorkommt?

Da muss ich etwas ausholen. Tschernobyl, Schweizerhalle, Spar- und Leihkasse Thun – alles diese Namen stehen stellvertretend für eine Krise eines Wirtschaftszweiges – und nun Wetzikon. Allen ist gemeinsam, dass sich die Krise schon lange Zeit abzeichnete, ihre sich verdeckt zeigenden «Signale» aber nicht erkannt, negiert oder verdrängt wurden.

Dass es gerade die betroffenen Unternehmungen und nicht andere traf, ist Zufall und entspricht den Erkenntnissen von Friedrich Dürrenmatt, der in seinen 21 Punkten zu seiner Tragikomödie «Die Physiker» festhielt: «Die schlimmstmögliche Wendung ist nicht voraussehbar. Sie tritt durch Zufall ein.» So konnte mit dem Spitalneubau in Wetzikon nur deshalb vor demjenigen in Uster begonnen werden, weil das Projekt Uster durch eine Baubeschwerde blockiert wurde.

Gegenwärtig sind (oder wären) in unserem Gesundheitssystem einige «Signale» unübersehbar. Begnügen wir uns an dieser Stelle mit einem Missverständnis, das die Situation von Wetzikon mitverursacht hat. Und das hängt mit einem unklaren Begriff zusammen.

Das tönt seltsam?

Ist es auch. Man könnte die Geschichte mit dem Titel: «GZO Wetzikon oder «Was ist ein Leistungsauftrag?» versehen. Banken, Baufirmen und Lieferanten sind davon ausgegangen, ein Leistungsauftrag sei – wie vom Obligationenrecht her bekannt – ein Rechtsgeschäft, mit dem sich der Auftraggeber engagiert, den Auftrag zu erteilen und dann nach ordnungsgemässer Abwicklung auch zu bezahlen. Ein Auftrag mit dem Absender «Kanton Zürich» ist also eine sichere Angelegenheit, eine unausgesprochene Staatsgarantie. Dem ist aber mitnichten so. «By Appointment to His Majesty the King» lautet der stolze Aufkleber in etlichen Geschäften der Londoner Innenstadt – zugelassen als «Hoflieferant». Ob der König aber die Samen für seine Gartenkräuter auch dort einkauft, bleibt offen. Der König wird auch einen allfälligen Verlust in der Jahresrechnung des Samenhändlers nicht decken und sich gegebenenfalls an einen andern wenden.

Zurück zum Spitalwesen?

Gerne. Für das Spital bedeutet der Leistungsauftrag, dass es Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nach Massgabe eines Tarifvertrags erbringen darf – es wird zur «Hoflieferantin», Kundinnen und Kunden muss es aber selber finden. Für die Patienten bietet der Leistungsauftrag Gewähr, dass ihr Krankenversicherer die Leistung bezahlen darf, und für den Krankenversicherer, dass er im Bereich der obligatorischen Krankenversicherer einen Tarifvertrag abschliessen muss.

Und die Moral von der Geschichte?

Nicht nur für Banker und Generalunternehmer: Prüfe die verwendeten Begriffe. Hoffen wir, dass nicht viele «Wetzikon» auftauchen?

 

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2 Kommentare

  1. Was will der «gescheite» Ökonom eigentlich sagen? keine klare Stellungnhme – etwas summarische Rechtsbegriffe erwähnt – ,denn Aussage! bleibe so dumm als zuvor……

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