Seit mein Kollege Christoph und ich uns vor fünf Jahren erstmals aufgemacht haben, um im September eine Velotour von Trier nach Koblenz entlang der Mosel zu unternehmen, sind wir zu jährlichen Wiederholungstätern geworden. Heuer ging es von Salzburg aus über die Alpen nach Grado an der Adria. Mit E-Bikes, wohlverstanden.
Die Mosel, die Seen des Salzkammerguts, die Altmühl und die Drau. In den vergangenen Jahren waren es stets Gewässer, denen wir mit gemieteten E-Bikes entlanggeradelt sind. Über 300 Kilometer und eine «homöopatische» Anzahl an Höhenmetern sind wir dabei nie hinausgekommen. Heuer haben wir uns zwei Ü65-er mit gegen 500 Kilometern eine etwas längere Tour zugemutet und dabei um die 4000 Höhenmeter absolviert.
Tag 1: Salzburg – Werfenweng
Ausgangspunkt der Tour namens «Alpe Adria» ist erneut die wunderbare Stadt Salzburg. Die Stimmung hier ist sommerlich aufgeräumt und der Duft des Altweibersommers weht durch die Gassen. Zunächst können wir recht gemütlich der Salzach entlanggondeln. Vorbei an Hallein und Golling erreichen wir Tenneck, von wo es ein erstes Mal aufwärts geht und wir ins Schwitzen geraten. Die ebenso grandiose wie beeindruckende Burg Hohenwerfen oberhalb von Werfen belächelt uns mitleidlos und buchstäblich von oben herab. Wer hätte da gedacht, dass es hinauf nach Werfenweng auf rund 900 m ü. M. nochmals eine gute Stunde und steil bergauf geht? Wir jedenfalls nicht – und so sind wir sehr froh, dass die allerletzten Akku-«Körner» bis just vor die Türe des Hotels reichen…
Tag 2: Werfenweng – Bad Gastein
Was wir tags zuvor erklettert haben, geht’s heute wieder rasant bergab. Zumindest anfänglich. Denn dann steigt unser Weg – noch immer mehr oder weniger der Salzach entlang – nach und nach an. Hinauf nach Schwarzach im Pongau müssen wir entlang der Bundesstrasse durch die Klamm-Tunnel fahren, was wir aber entgegen der offiziellen Beschreibung als gar nicht so krass empfinden. Je näher wir unserem Etappenziel Bad Gastein kommen, desto mehr gespannt sind wir, ob der Aufstieg zum legendären Kur- und Wintersportort tatsächlich so «überhängend» ist wie beschrieben.
In der Tat erweist sich der Schlussanstieg als recht heftig. Zum Glück haben wir unsere Bike-Akkus tagsüber einerseits geschont, andererseits in einem Gasthof aufladen dürfen. So erreichen wir unser Hotel «Mozart» wohlbehalten. Dass dieses 110-jährige Haus in Familienbesitz ist, spürt man auf Schritt – im positiven Sinne. Wir jedenfalls fühlen uns sehr wohl im grosszügigen Hotelzimmer und fragen uns insgeheim, welche Promis und Persönlichkeiten wohl schon vor uns an gleicher Stelle genächtigt haben.
Tag 3: Bad Gastein – Millstättersee
Gut geschlafen und verköstigt besichtigen wir am Morgen – heute ist bereits Samstag – den Kurort und staunen nicht nur über die zahlreichen Hotels mit klingendem Namen, die sich an die Steilhänge um den eindrücklichen Wasserfall klammern. Sondern auch, dass der Ort heute ganz im Zeichen des «adidas Terrex Infinite Trails 15K run» steht. Trainrun-Profis und -Laien aus aller Welt stehen im Einsatz, um eine Distanz von 15-Kimometer mit rund 900 Höhenmetern zu absolvieren.
Wir sitzen lieber auf unsere Räder und machen uns auf, die andere Seite des Graukogels (2492 m ü. M.) und damit auch das Bundesland Kärnten zu erreichen. Bei Böckstein besteigen wir den Autozug, der uns in wenigen Minuten durch den Tunnel («Tauernschleuse») nach Mallnitz bringt. Beim Warten auf den Zug begegnen wir dem Ehepaar Elisabeth und Günter aus Deutschland ein erstes Mal. Die beiden sagen uns, dass es am Montag heftig regnen werde, dass es aber auf Mittag damit aufhören werde.
Von Mallnitz aus führt der Weg rasant hinab ins Mölltal nach Obervellach. Nach einer Verpflegungspause auf einem lokalen Markt führt uns der Weg zumeist auf Radwegen Richtung Spittal an der Drau. Dass der Schreibende Stunden später bei Lendorf zufällig realisiert, dass er seinen Rucksack samt Portemonnaie, Geld und Papieren nicht mehr dabei hat (und damit eine spontane Taxifahrt zurück nach Obervellach samt wundersamem Happy-End auslöst), ist eine andere Geschichte…
Zurück auf den Rädern, erreichen wir wie immer vor dem Eindunkeln unser Hotel, in unserem Fall in Seeboden am Millstätter See.
Tag 4: Seeboden – Tarvisio
Einmal mehr könnte das Wetter an diesem Tag prächtiger nicht sein. Die Prognosen hingegen sprechen von Bewölkung und Regen. Wir geniessen die Fahrt entlang des Millstätter Sees und der Drau und erreichen Villach. In dieser Stadt waren wir schon im Jahr zuvor, als wir vom Tirol aus der Drau entlang via Kärnten den Klopeinersee in der Steiermark erreichten.
Hier, von Villach aus, führt uns der Weg südwärts entlang der Gallitz Richtung Tarvisio und damit Italien. Der Himmel ist mittlerweile dunkel bedeckt und wir befürchten, es könne beginnen zu regnen. Zudem bereitet uns das Sitzen auf dem Sattel je länger je mehr Mühe. Beim Zoll verabschieden wir uns von der Überlandstrasse und bezwingen den 15-Prozent-Aufstieg, um so auf den abenteuerlichen Radweg nach Tarvisio zu gelangen. Minuten, bevor Petrus seine Schleusen öffnet, erreichen wir endlich unser Hotel für heute Nacht.
Tag 5: Tarvisio – Udine
Dieser Tag, das wissen wir, wird in mehrfacher Hinsicht so etwas wie eine «Königsetappe» werden: Weil hier der spektakulärste Abschnitt des «Ciclovia Alpe Adria» auf uns wartet: der Radweg ist auf dem ehemaligen Bahntrasse angelegt und so fahren die Biker durch Tunnels und über Viadukte und Brücken, wo früher Bahngäste unterwegs waren. Erstens. Zweitens, weil die heutige Strecke etwas mehr als 100 Kilometer beträgt. Und drittens, weil das Wetter gewöhnungsbedürftig ist. Tatsächlich verheissen die Wetterapps, dass es bis nach Mittag ausgiebig regnen würde.
Wir warten geduldig, bis es nur noch «täuelt» (zu deutsch: nieselt/ tröpfelt). Gegen 13 Uhr machen wir uns auf den Weg – und geniessen die Abfahrt in vollen Zügen. Weil es zumeist bergab geht, schonen wir unsere Akkus so gut es nur geht. Selbstverständlich machen wir – und nicht nur wir – Halt am ehemaligen Bahnhof von Chiusaforte, wo dem Vernehmen nach der beste Cappucino serviert wird. Einmal mehr treffen wir auf Elisabeth und Günter.
Lange Zeit, um zu plaudern haben wir nicht. Es wartet noch eine längere Strecke bis Udine. Meistens sind wir flott unterwegs auf Radwegen. Doch hie und da werden wir von unserem App oder/und von Google Maps in die Irre oder in unwegsames, steinig-sumpfiges Gelände geleitet. Die Berge des Friaul liegen nun hinter uns und wir erreichen die Poebene. Und: glücklich und zufrieden erreichen wir Udine, noch bevor es eindunkelt.
Tag 6: Udine – Grado
So. Heute liegt unsere Schlussetappe vor uns. Der Himmel ist blau, die Temperaturen (wieder) deutlich wärmer als an den beiden letzten Tagen. Es fährt sich wunderbar durch die Ebene und wir stellen fest: So eintönig wie befürchtet ist es nicht hier. Ganz im Gegenteil entdecken wir immer wieder schöne Gegenden und Ortschaften. Wir fahren quasi durch einen riesigen Garten.
Doch ganz besonders hat es uns Palmanova angetan. Die 5300-Seelen-Gemeinde wurde am Ende des 16. Jahrhunderts von den Veneziern als Planstadt angelegt. Ihr typischer sternförmiger, neuneckiger Grundriss hat sich bis heute erhalten. Im Herz der Stadt befindet sich eine gigantische, sechseckige Piazza Grande. Die Venezier tauften den Platz «Piazza d’Armi», weil sich dort die Garnisonen zu Militärübungen versammelten. Hier, in Palmanova treffen wir erneut auf Elisabeth und Günter. Doch weil Elisabeth nicht gut ist und sie kaum noch stehen kann, wird sie von ihrem Mann (und der Ambulanz) ins nahegelegene Spital begleitet.
So legen mein Kollege Christoph und ich die letzten gut 30 Kilometer zurück in Gedanken an Elisabeth und der Hoffnung, es möge ihr bald besser gehen. Bald erreichen wir die Küste und damit den Damm, der das Festland mit der Halbinsel Grado verbindet. Die Überfahrt ins Städtchen Grado kommt einem kleinen Triumphzug gleich. Denn wir haben es tatsächlich geschafft: Mit dem E-Bike von Salzburg über die Alpen an die Adria. Wahrlich ein gutes Gefühl!
Nach dem Bezug des Hotels und der Rückgabe der Räder erkunden wir bei prächtigem Abendlicht die Innerstadt und den Weg am Strand. Dann stossen wir im Restaurant auf unsere erfolgreiche Fahrt an – ausnahmsweise nicht mit Bier, sondern wie Champions mit Champagner.
Übrigens: In unsere E-Bikes der Marke KTM haben wir uns in diesen Tagen nicht verliebt, und trotzdem hat uns das Abschiednehmen von ihnen nicht kalt gelassen. Schliesslich haben sie uns die ganze Strecke heil hierher gebracht – ohne Panne, Unfall und Ausfall. Vielen Dank.
Tag 7: Ruhetag in Grado
Die Alpenquerung ist geschafft! Heute erkunden wir das Städtchen Grado, sitzen da und dort auf eine Bank und machen «Stilstudien», wie unterschiedlich die Velofahrenden auf ihren Zweirädern sitzen und in die Pedale treten… Und wir lassen uns am Strand auf Liegestühlen von der Sonne bescheinen und geniessen das Feeling, am Meer zu sein. Mein Kollege wagt sich sogar ins Wasser, während ich aus sicherer Distanz das Treiben beobachte und ganz oldschool Ansichtskarten schreibe. Beim Herumschlendern in Grado fragen wir uns, wie es wohl Elisabeth geht und ob die beiden es womöglich doch noch schaffen, den letzten Streckenabschnitt von Palmanova nach Grado zu absolvieren. Und siehe da: Unvermittelt stehen sie vor uns. Hätten wir es vereinbart, hätte es wohl kaum geklappt. Die Freude ist gross und wir haben uns viel zu erzählen. Den letzten Abend vor unserer Rückkehr nach Salzburg verbringen wir mit den beiden – bei Bier und südländischem Essen. Und – wie jeden Abend – mit einem abschliessenden Averna (mit Limone und Eis).
Heimreise
Morgens um 9 Uhr werden wir von Uroš abgeholt. Er, ein Slowene aus dem nahe gelegenen Ljubljana, bringt uns und sechs weitere Radlerinnen und Radler in seinem Transporter zurück nach Salzburg. Unterwegs regnet es aus Kübeln und die Berge um uns erhalten einen weissen Zuckerguss. Jedenfalls sind wir heilfroh, wohlbehalten in Salzburg zurück zu sein. Von da aus geht es, mit Übernachtungshalt am Tegernsee, zurück in die Schweiz mit dem Auto. Wir sind dankbar, eine derart interessante, spektakuläre und spezielle Velotour gemacht zu haben – und dies bei richtig gutem Spätsommerwetter. Jene, die nach uns die «Ciclovia Alpe Adria» in Angriff haben nehmen wollen, konnten dies angesichts der grossen Unwetter mit Überschwemmungen und Rutschungen wohl nicht mehr.
Bilder (von oben nach unten):
> Auftaktbild: Start in Salzburg
> Burg Hohenwerfen
> Bad Gastein
> Millstättersee in Kärnten
> Liebliches Kärnten
> Spektakulär: unterwegs auf der «Ciclovia Alpe Adria» über Brücken und durch Tunnels
> Die zwei wackeren Radler haben die Poebene erreicht
> Auf dem Damm zwischen Festland und der Halbinsel Grado
> Am Meer die Beine hochlagern und geniessen...
Lieber Robert,
dein Reisebericht hat uns sehr gefallen und macht Lust auf mehr.
Schön auch, dass unsere Wege sich während der Radtour immer wieder gekreuzt haben.
Elisabeth und Günter