Das Literaturmuseum Strauhof präsentiert «Maschinenpoesie», das sind literarische Experimente aus den letzten 70 Jahren mit Schreibmaschine, Computer und Textgeneratoren. Mitspielen und Nachdenken ist erwünscht.
Mit einer einfachen Schreibmaschine wurden Typogramme erstellt, die sowohl grafischen als auch poetischen Inhalt haben, heute können dank künstlicher Intelligenz nicht nur journalistische oder wissenschaftliche Texte schnell verfasst werden, sondern auch Romane. Aber ist das Dichtung?
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Diese und weitere Spielereien mit einzelnen Silben stehen an der weissen Wand im Obergeschoss des Strauhof. Sie sind aus dem unerschöpflichen Fundus von Beat Gloor, der jahrelang als Silben-Sammler die deutsche Sprache erforschte. Buchstaben-Sammlungen gibt es, Wörterbücher jede Menge, aber die Silben-Sammlung ist ein Unikat.
Ausstellungsansicht mit Maschinen und im Hintergrund Reto Hännys Arbeit «Schreiben»
Drei «grenzwertige» Werke, darunter die Silben-Arbeit, haben die Ausstellungsmacher in je einem Raum in den Fokus gestellt. Die Bücher sind jeweils der Versuch, das technisch Machbare auszureizen.
Marianne Fritz (1948-2007) mit ihrem monumentalen Prosawerk Naturgemäss II: Es ist im Faksimile des Typoskripts erschienen, Kursivschrift, Unterstreichungen, wechselnde Schriftbilder, Karten, Formeln und Randnotate überwuchern den Text. Die Kritik damals war herausgefordert, die preisgekrönte Autorin, die als eine der wichtigsten zur Jahrtausendwende gilt, heute fast vergessen. Hier in der Ausstellung kann in dem aufgeschlagenen Buch gelesen werden. Dazu wird – wie bei allen drei besonders hervorgehobenen Büchern – auch vorgelesen.
Beat Gloor (1959-2020) mit der Sammlung einsilbiger Wörter: Die drei Bände be deuts mit 1,1 Millionen Einträgen haben eigentlich keine Story, dennoch ist ihr Inhalt sehr dicht. Einige von Gloors Lesern, wenn die Bezeichnung überhaupt passt, sind mit kurzen Kommentaren in einem Video zu sehen, darunter der Schriftsteller Clemens Mettler.
Hannes Bajohr (*1984) mit seinem Roman (Berlin, Miami): Der Berliner Autor liess das Buch durch eine KI schreiben, die er zuvor mit vier Romanen gefüttert hat. Das Experiment liegt gedruckt vor und kann auch erworben werden. Fürs letzte Kapitel gab er der KI die vorigen drei ein: das chaotische Ergebnis ist praktisch unlesbar, das Sprachmodell ist gescheitert, während die ersten Teile durchaus Sinn-Angebote zu Geschichten machen.
Maschinenpoesie beginnt mit der Erfindung der mechanischen Schreibmaschine
«Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken», schrieb Friedrich Nietzsche im Februar 1882. In dieser als Ausstellung gezeigten Geschichte der Experimente von Menschen mit Maschinen und Texten wird einem Nietzsches Aussage eingängig und regt an, über die Weiterentwicklung der nun mit Mengen von Texten zur Textherstellung herangefütterten Maschinen und deren Wirkung auf die Gesellschaft nachzudenken. Immerhin: Literatinnen und Schriftsteller befürchten vorerst nicht, sie würden überflüssig, sondern beginnen, die Möglichkeiten einer KI zu nutzen.
Ausstellungsansicht mit Vorschlägen aus Beat Gloors Silbenschatz
Bei der Vernissage dachte Autorin Martina Clavadetscher darüber nach, dass die Maschine nicht ohne Mensch könne. Im Hintergrund war eine wandfüllende Projektion zu sehen. Sie zeigte einen weissen Raum mit einem Elefanten mittendrin. Die Lösung: die Aufgabe für die künstliche Intelligenz lautete, einen Raum ohne Elefanten zu generieren. Da die KI mit der Negation Mühe hat, ist das Ergebnis entsprechend.
Jonas Gygax liest aus «Naturgemäss II» von Marianne Fritz (2024), Vitrine mit Textseiten
Wer Lust hat, darf sich an einen Computer setzen und versuchen, eine KI mit seinen Hinweisen für die Herstellung eines Bilds zu füttern. Das Ergebnis kann man sich per Mail heimschicken, aber damit ist die Frage nach dem Urheberrecht keineswegs gelöst. Wem gehört das Bild, dessen Einzelteile die KI irgendwo als digitale Vorlagen im Netz gefunden hat?
Reto Hänny, Seite aus: Schreiben (1976) © Schweizerisches Literaturarchiv Bern, Vorlass R. H.
«Mit einer neuen Technik zu spielen ist die erste Stufe zur ernsthaften Bedienung und richtigen Nutzung,» steht in englisch am Eingang zur Ausstellung. Es ist ein Zitat der britischen Philosophin und Linguistin Margaret Masterman, 1971 ihren computergenerierten Haikus vorangestellt.
Ruth Wolf-Rehfeldt, «Stillleben» (um 1975). © The Estate of Ruth Wolf-Rehfeldt and ChertLüdde, Berlin
Wer hat früher nicht probiert, ob sich die Schreibmaschine zur Herstellung von Grafik eignet? Die drei Beispiele aus den Typewritings von Ruth Wolf-Rehfeldt sind um 1975 entstanden und illustrieren den Bildtitel als Maschinenzeichnung. Und der Schriftsteller Reto Hänny hat um 1976 mit seiner Schreibmaschine eine Serie von rund 100 Blättern, ausgehend von dem Satz «Ich muss Text auf Papier schreiben», produziert. Diese Arbeit wurde noch nie gezeigt. Eine weitere Lösung hat Raymond Queneau gefunden.
Raymond Queneau: «Cent mille milliards de poèmes», Gallimard (1961). Leihgabe: Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg. Foto: Strauhof
Mit viel weniger Aufwand als vor Jahrzehnten kann man in der Ausstellung auch KI-unterstützte Gedichte produzieren. Die Strauhof-Crew legt wert darauf, dass nicht nur Spielerisches gezeigt wird, sondern das Publikum auch mitspielen kann.
Ausstellungsansicht mit Lesung aus Hannes Bajohrs «(Berlin, Miami)»
Maschinenpoesie und computergesteuerte oder -generierte Texte waren noch bis in jüngste Zeit eher ein Nischenphänomen. Das ändert sich nun rasant mit dem Einsatz von Chat GPT und ähnlichen Entwicklungen. Der Traum von der autonomen Maschine wurde oft in alter Science Fiction Literatur beschrieben. Mit KI scheinen wir diesen Vorstellungen immer näher zu kommen. Aber vorerst bleibt eine Gewissheit: Die menschliche Kreativität ist noch lange nicht obsolet. Das ist eine zentrale Aussage der Ausstellung Maschinenpoesie mit ihren zahlreichen Begleitveranstaltungen.
Titelbild: Strauhof / openart, «create an image of a minimalistic all white room with no elephant present» (2024)
Fotos: Strauhof und E. Caflisch
Bis 12. Januar 2025
Hier gibt es Informationen zur Ausstellung und den Begleitveranstaltungen
Die Bücherliste:
Marianne Fritz: Naturgemäß II, Es ist ein Ros entsprungen. Wedernoch heißt sie. Roman. Fünf Bände in Kassette. Typoskript, 1455 Seiten, Suhrkamp 1998. ISBN 978-3-518-40992-3.
Beat Gloor: be deuts. 3 Bände, 2940 Seiten, 1. Auflage 2013. ISBN 978-3-906195-03-2.
Hannes Bajohr: (Berlin, Miami), 273 Seiten, Verlag Rohstoff 2023, ISBN 978-3-7518-7013-9