StartseiteMagazinGesundheitAufrecht zwischen Himmel und Erde

Aufrecht zwischen Himmel und Erde

Laufen lernen ist ein wichtiger Entwicklungsschritt vom Baby zum Kleinkind. Wenn das Kind gelernt hat, frei zu gehen, beginnt es, die Welt zu erobern. Bis zum hohen Alter bleibt das Zu-Fuss-Gehen wichtig für die Selbständigkeit im Leben.

Was gibt es Schöneres, als durch Wiesen, Felder und Wälder zu spazieren! Wer das regelmässig tut, weiss, dass entspanntes Gehen in der Natur unter freiem Himmel die beste Erholung für Körper, Seele und Geist ist. Als würde uns dabei bewusst, dass wir mit allen Elementen der Erde verbunden sind und unsere Umgebung nicht nur mit dem Verstand, sondern mit allen Sinnen wahrnehmen. Wer diese einfache Erkenntnis untermauern will, zitiert gern den altgriechischen Arzt Hippokrates:

Gehen ist des Menschen beste Medizin.

Über das Gehen haben sich während Jahrtausenden viele Denkerinnen und Denker geäussert – war doch das Gehen neben dem Reiten oder den Kutschfahrten bis vor ungefähr 200 Jahren die einzige Möglichkeit, sich zu Lande fortzubewegen. Ein überzeugter Prophet des Gehens war Johann Gottfried Seume (1763-1810). Als man in der Romantik begann, sich beim Wandern für die Phänomene in der Natur zu interessieren, erlangte sein Reisebericht «Spaziergang nach Syrakus» Kultstatus:

«Ich bin der Meinung, dass alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge…
So wie man im Wagen sitzt, hat man sich sogleich einige Grade von der ursprünglichen Humanität entfernt…
Fahren zeigt Ohnmacht, Gehen Kraft.»

Nicht immer fällt das Gehen leicht, Schmerzen und allerlei Beschwerden können daran hindern, leichten Schrittes zu gehen. Unzählige Ratschläge und Therapien bieten sich dann an. – Am besten beginnt man damit, so lange man sich noch gesund fühlt! Mich hat besonders Moshé Feldenkrais und seine Methode beeindruckt. DRS-Radiohörerinnen und -hörer erinnern sich vielleicht an eine Folge spätabendlicher Sendungen im Jahre 1969: «Der aufrechte Gang» und anschliessend «Bewusstsein durch Bewegung».

Moshé Feldenkrais: Der aufrechte Gang

Gross und sportlich war Moshé Feldenkrais (1904 – 1984) und wissensdurstig. Sein Leben verlief ungewöhnlich: Als 14-Jähriger war er nach Palästina ausgewandert; seine Familie hatte in der Gegend zwischen Belarus und der Ukraine gelebt, die damals zum russischen Zarenreich gehörte, wo viele Juden angesiedelt waren. Der junge Mann begann als Strassenarbeiter, besuchte dann das Gymnasium in Tel-Aviv.

Vermutlich als er genug Geld zum Leben und Lernen verdient hatte, studierte er in Paris Physik und Ingenieurswissenschaften, ein damals neues Studienfach. Danach arbeitete er am Forschungsinstitut der beiden französischen Atomforschenden Joliot-Curie, die wie Marie Curie einen Nobelpreis erhielten. Der 2. Weltkrieg zwang Feldenkrais, nach England zu flüchten. Auch dort erhielt er Forschungsaufgaben.

Moshé Feldenkrais zeigt Struktur und Funktion des Beins (1978). © International Feldenkrais Federation, www.feldenkrais-method.org

Für seine Erkenntnisse waren seine Studien zu Neurophysiologie und Neuropsychologie entscheidend, die er 1949 in seinem Buch Body and Mature Behavior niederlegte. Es wurde der Grundstein der Feldenkrais-Methode.

Das Geniale daran besteht einerseits in den einfachen Übungen, die er konzipierte, und den damals revolutionären Erkenntnissen über das Zusammenspiel von Gehirn, Nervensystem und den Bewegungen des Körpers. Die Neurowissenschaft – heute eine der wichtigsten Forschungszweige der Medizin – stand damals noch ganz am Anfang.

Dass die spätere Feldenkrais-Methode überzeugte, hängt wiederum mit seinem Erfinder zusammen. Der Wissenschaftler Feldenkrais hatte sich nämlich seit Jugend mit den damals wenig bekannten asiatischen Kampfsportarten befasst. Feldenkrais muss ein besonderes Talent besessen haben, Gelerntes sehr schnell umsetzen zu können. So unterrichtete er Selbstverteidigung für junge jüdische Siedler, noch bevor er zum Studium nach Paris ging.

Westliche und östliche Erkenntnisse verbinden

Besonders wichtig war seine Begegnung mit einem der damals bedeutendsten japanischen Judolehrer in Paris. Feldenkrais lernte Judo und Budo hervorragend und erhielt in kurzer Zeit den für Europäer höchsten Grad.

Unstillbare Lust zu lernen, überdurchschnittliche Intelligenz und das Verständnis für systemische Zusammenhänge, ausgezeichnete Körperbeherrschung und das Glück, im richtigen Moment die Menschen zu treffen, die ihm zu Fortschritten verhalfen, das war wohl das Schicksal von Moshé Feldenkrais.

Ihn selbst habe ich nicht mehr kennengelernt, seine Methode aber beobachtet, selbst ausprobiert und bei der Arbeit einer Therapeutin mit meinem Sohn erfahren, wie einfühlsam und angepasst an die individuellen Bedürfnisse die Feldenkrais-Methode ausgeübt wird.

Der Geist – stärker als der Körper

Grundsätzlich ist der Weg, gesund zu werden, die Beweglichkeit des Körpers wiederzuerlangen, ein individueller Prozess. Es gibt keine Garantie wie für technische Geräte. Es gibt auch Menschen, die durch schwere Krankheiten oder Unfälle auf Dauer so beeinträchtigt sind, dass ihnen auch gewissenhafte Arbeit mit der Feldenkrais-Methode nicht hätte helfen können.

Ich denke an die mexikanische Malerin Frida Kahlo (1907–1954). Als Kind an Kinderlähmung erkrankt, erlitt sie als junge Frau einen schrecklichen Unfall, der sie ihr ganzes Leben lang behinderte und ihr immer wieder grosse Schmerzen bereitete. Trotzdem war sie eine lebensfrohe Künstlerin. Wie äusserte sie sich zu der Frage «Gehen, um den Geist zu lüften»?

«Füße, wofür brauche ich euch, wenn ich Flügel zum Fliegen habe?

Feldenkrais-Methode
Der aufrechte Gang
Bewusstsein durch Bewegung
Moshé Feldenkrais
Frida Kahlo

Titelbild: pixabay

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