In der Medical Humanities Reihe «Alt werden» zum Thema «Inklusion und Gesundheit im Alter: Wege zur Lebensqualität» gab Andrea Radvanszky Einblick in die Welt von demenzbetroffenen Personen und deren Angehörigen.
Mögliche Anzeichen von Demenz sind gemäss Alzheimer Schweiz beispielsweise Gedächtnisstörungen, Mühe mit der Sprache, Desorientiertheit in Raum und Zeit, Verwirrtheit mit Personen und Gegenständen, ungewohntes Verhalten, Wegfallen von Routinen, wahnhafte Vorstellungen, Antriebslosigkeit und Passivität.
Seit die Schweiz die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) im Jahre 2014 unterzeichnet hat, wird der Begriff der Inklusion immer häufiger in verschiedenen Kontexten genannt, auch bezogen auf Demenz. Allgemein versteht man unter Inklusion, dass alle Menschen zur Gesellschaft gehören und an ihr teilhaben können, unabhängig von Alter, Herkunft, Behinderungen und Krankheiten. Damit sollen Diskriminierungen bekämpft und die Gleichstellung in der Gesellschaft gefördert werden.
Die Soziologin Andrea Radvanszky stützte sich bei ihren Ausführungen auf die Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie des von Alzheimer Schweiz geförderten, schweizweiten Forschungsprojekts DIPEx Demenz. Inklusion bei Demenz könne gefördert werden, wenn Personen mit dementiellen Symptomen unterstützt werden beim Aufrechterhalten liebgewonnener Gewohnheiten und beim Alltagshandeln. Wenn sie in ihrer Handlungsfähigkeit bestärkt werden, wenn sie mithandeln und in Gemeinschaften mitgenommen werden, kann ein aktives soziales Leben bei Demenz ermöglicht werden. In ihrem Referat hob sie vier Bereiche der Inklusion bei Demenz hervor: Die soziale Beziehung, die Medikamentendosierung, die Finanzierung der Begleitung/Betreuung und die Transparenz der Pflegeheimqualität.
Andrea Radvanszky ist Soziologin und arbeitet als Assistentin am Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte. Sie hat das DIPEx Projekt Demenz durchgeführt und ihre Doktorarbeit zu den Auswirkungen der Krankheit auf die Interaktion und Beziehung zwischen Angehörigen und Erkrankten geschrieben.
Die soziale Beziehung
An- und Zugehörige können viel zur sozialen Inklusion von Personen mit der Diagnose Demenz beitragen. Aber gesellschaftliche Integration könne bei Demenz weder dauerhaft noch vollständig gelingen. „Wenn Fehler passieren, Dinge vergessen gehen oder Handlungen übernommen werden müssen, weil der andere nicht mehr weiss, wie etwas funktioniert, kommt es unabwendbar zu einem Abhängigkeitsverhältnis.“ Dieses Abhängigkeitsverhältnis berge für die erkrankte Person wie für Begleitende ein Frustrationspotential, denn Erkrankte möchten selbständig bleiben und Begleitende/Betreuende möchten nicht in die Rolle des Aufpassers rutschen.
Wie kann stationär und/oder ambulant eine Begleitung/ Betreuung gelingen, die nicht „grenzverletzend, bevormundend, depersonalisierend“ ist? Es brauche, so Andrea Radvanszky, eine Demenzethik, welche „die Grenzen der Inklusion, der Beschränkungen der Freiheit und Selbstbestimmung ausformuliert“.
Medikamentendosierung
Die Medikamentendosierung sei in hohem Grad inklusionsrelevant. „Denn nur eine individuell angepasste Dosierung gewährt für die an Demenz erkrankten Personen eine optimale Behandlung, welche Kommunikation und Aktivität zulässt und unterstützt.» In den Interviews sprechen sich Angehörige „in verschiedenen Zusammenhängen für eine Reduzierung der Medikamente oder für eine geringere Dosierung insbesondere der eingesetzten Antipsychotika aus.“ Angehörige betonen, es sei wichtig, diesbezüglich mit dem medizinischen Personal ins Gespräch zu kommen.
Finanzierung der Begleitung/Betreuung von Personen mit Demenz
Informelle Demenzpflege funktioniere ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr einfach nebenher, sondern habe Auswirkungen „auf den Beruf, auf die Familie, auf die Freizeit, auf die eigene Gesundheit. Wenn die Pflege nicht mehr in den Alltag eingepasst werden kann, reduzieren die Angehörigen ihr Erwerbspensum oder kündigen ihre Arbeit.“ Zudem seien unter den An- und Zugehörigen mehr Frauen als Männer mit hohem Engagement dabei.
Die häusliche Demenzpflege sein kein privates Problem, weswegen Andrea Radvanszky klare finanzielle Forderungen aufstellt: „Bei der Demenzpflege müssen wir die faire Verteilung, die Ausbeutung und die angemessene Honorierung in den Blick nehmen.“ Es sei nicht fair, dass jemand Verdiensteinbussen und tiefere Renten in Kauf nehmen müsse, weil er oder sie jahrelang Angehörige gepflegt habe.
Transparenz der Pflegeheimqualität
In der sozialwissenschaftlichen Demenzforschung dominiere die Auffassung, dass Pflegeheime „sinnbildlich für das Gegenteil der Inklusion“ stünden. Andrea Radvanszky teilt diese Auffassung nicht. Durch die Erforschung der Praxis kommt sie, im Gegensatz zum fortlaufenden unhinterfragten Rückgriff auf die strukturalistische Machttheorie von Michel Foucault, zum Schluss, dass die institutionelle Pflege insbesondere in der Spätphase der Erkrankung sehr entlastend werden kann. Wichtig sei aber, die Qualitätsstandards in den Pflegeheimen zu verbessern. Zudem müsse es für Angehörige einfacher werden, Qualitätsunterschiede bei den Pflegeheimen einschätzen zu können. Nur so vermeide man aufwändige und belastende Wechsel.
Titelbild: «Dementia» von Gerd Altmann auf pixabay
UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
Programm der Veranstaltung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften und der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften vom 31. Oktober 2024 zum Thema «Inklusion und Gesundheit im Alter: Wege zur Lebensqualität»
Mindestens ebenso wichtig wie die Inklusion kranker und beeinträchtigter Menschen in der Gesellschaft ist die finanzielle Unterstützung aller sozialen Institutionen und Forschungsbereiche, die die Inklusion erst ermöglichen. Die neusten Sparmassnahmen des Bundes machen genau das Gegenteil: Sie kürzt nicht nur die Unterstützung medizinischer Forschung an den Unis und den medizinischen Labors, sondern als grösster Posten bei der sozialen Wohlfahrt. Grösster Posten ist der Verzicht auf Bundesbeiträge für familienergänzende Kinderbetreuung von 896 Millionen Franken. Eine Entflechtung des Bundesbeitrags an die AHV von 289 Millionen Franken, Umwelt und Raumordnung (72 Millionen Franken), Kultur und Freizeit (60 Millionen Franken), Gesundheit (50 Millionen Franken), Sicherheit (25 Millionen Franken) Institutionelle und finanzielle Voraussetzungen?? (2 Millionen Franken). Diese Kürzungen tangieren die wichtigsten sozialen Einrichtungen, die für eine Inklusion wichtig sind.
Das Sparpaket von BR Karin Keller-Sutter ist ein Schlag gegen die sozialen Institutionen unserer Demokratie und gegen die Bedürfnisse der Schweizerischen Bevölkerung. Mir scheint, mit einem Jahresgehalt von einer halben Million Schweizer Franken, haben die etablierten Bundesräte den Blick für die Anliegen der Bevölkerung und die vorausschauende Planung verloren.