«Heidi» ist weltweit bekannt. Doch der Name Martha Pfannenschmid, Illustratorin der «Silva Heidi-Bücher», ging vergessen. Mit der Publikation «Heidi, Pinocchio und der Tod» würdigt die Kunsthistorikerin Anna Lehninger das Leben und Werk der Künstlerin.
Für die Basler Künstlerin Martha Pfannenschmid (1900-1999) jährte sich 2024 der 25. Todestag. Doch kaum jemand erinnert sich an sie. 1944 und 1946 illustrierte sie die beiden erfolgreichen Heidi-Bücher aus dem Silva-Verlag und gab Johanna Spyris Romanfigur ein Gesicht. Das schweizerische Alpenkind mit dunklem Kraushaar und roten Backen prägte über Jahrzehnte die Vorstellung von Heidi, inspirierte sogar die japanische Anime-Serie von 1974.
Silva-Bücher auch für Kinder
An die Silva-Bücher erinnere ich mich gern. Als Kinder sammelten wir eifrig «Silva-Punkte», die auf der Verpackung von Produkten wie Lindt & Sprüngli Schokolade oder Steinfels Waschmitteln aufgedruckt waren, und schnitten diese aus. Gegen Einsendung einer bestimmten Anzahl Punkte erhielt man vom Verlag eine Serie Bilder, die man in die Leer-Stellen des Silva-Buches einklebte. So waren wir Kinder an der Herstellung eines Bildbandes mitbeteiligt.
Der Silva-Verlag wurde zu Beginn des Zweiten Weltkriegs von einer Genossenschaft von Unternehmern in Zürich initiiert mit dem Zweck: «Künstlerisch und erzieherisch wertvolle Bildwerke» zu fördern und in der Kriegszeit ein positives Bild der Heimat abzubilden – im Sinn der Geistigen Landesverteidigung, aber auch Schweizer Produkte zu bewerben. Heidi kam als erstes Silva-Buch 1944 heraus. 1998 wurde die Buchproduktion eingestellt.
Martha Pfannenschmid arbeitete von Beginn weg mit dem Silva Bilderdienst zusammen. Für den ersten Heidi-Band schuf sie 121 kleinformatige Aquarelle (8 x 5,5 cm) und nochmal so viele für den zweiten Band. Sie näherte sich dem Thema mit grosser Ernsthaftigkeit, reiste ins Bündnerland, skizzierte die Landschaft, die Alphütten, die Menschen, die Pflanzen und Tiere vor Ort. Auch Johanna Spyris Text studierte sie eingehend und schuf passende Bilder für ausgewählte Passagen. Während sieben Jahren arbeitete sie an dem Projekt, stets in der Freizeit, neben ihrem eigentlichen Brotberuf.
Die Künstlerin als wissenschaftliche Zeichnerin
Beruflich war Martha Pfannenschmid von 1925 bis zur ihrer Pensionierung 1960 Zeichnerin am Institut für Rechtsmedizin an der Universität Basel. Nach ihrer künstlerischen Ausbildung an der Gewerbeschule Basel musste sie, nach dem Tod des Vaters 1923, die Familie finanziell unterstützen. Dank ihrer zusätzlichen Ausbildung in wissenschaftlichem Zeichnen und dank ihrer akkuraten Arbeitsweise war sie in der Lage, sowohl im makroskopischen als auch im mikroskopischen Bereich Gegebenheiten für die Rechtsmedizin exakt wiederzugeben.
Für den Lehrbetrieb der Universität Basel erstellte sie über 50 grosse Vorlesungstafeln in Wandbildgrösse (1,5 x 3,5 m), die im Hörsaal aufgehängt wurden. Die Studierenden lernten damit, gewaltsame Todesarten zu erkennen und zu interpretieren: Verkehrsunfälle, Einschüsse, Tod durch elektrische Energie, Vergiftung, Ertrinken, Erhängen, aber auch Blutproben, Blutspuren oder Alkoholgehalt im Blut. Sie zeichnete auch mikroskopische Darstellungen von Präparaten des Pathologischen Instituts, die in Lehrbüchern reproduziert wurden, zudem illustrierte sie medizinische und forensische Gutachten. Ob sie bei Obduktionen gezeichnet hat oder lediglich nach Vorlagen arbeitete, ist unklar.
Gestalterin von Kinderbüchern und Kunstmalerin
Neben dem Beruf gestaltete die Künstlerin verschiedene Publikationen und Kinderbücher. Von 1929 bis 1951 illustrierte sie regelmässig die Kinderbeilage der National-Zeitung. Auch für den Schweizerischen Beobachter machte sie Illustrationen sowie für das Schweizerische Jugendschriftenwerk SJW. Dieses wurde 1931 gegründet und trat mit guter, preiswerter Literatur – auch mit qualitativ hochstehenden Illustrationen – der sogenannten Schundliteratur entgegen.
Nach der Fertigstellung der Heidi-Bücher war Martha Pfannenschmid weiterhin als Malerin und Illustratorin tätig. Sie nahm an Ausstellungen teil, schuf Bilder, die vom Kunstkredit Basel zur Förderung der Basler Künstlerinnen und Künstler erworben wurden, malte Sujets für Postkarten von Pro Infirmis oder Pflanzenbilder für den Schweizer Nationalpark. In ihren grossformatigen Gemälden nutzte sie, wie für Comics, mitunter einen besonderen Blickwinkel. So stehen in Der Tod des Heupferdchen drei winzige Menschen neben einer riesigen Heuschrecke im Gras. Oder sie malte vom Fenster ihrer Wohnung aus Ansichten aus der Vogelperspektive wie Der Petersplatz zur Messezeit. Selbst in den grossformatigen Gemälden ging ihr Blick für Details nicht verloren.
Ein persönlicher Pinocchio
Nach der Pensionierung 1960 war sie endlich frei, sich vollumfänglich auf ein Projekt einzulassen. Über 20 Jahre nach Heidi widmete sie sich Pinocchio, der Holzpuppe, mit der sie sich schon früher auseinandergesetzt hatte. Die Künstlerin kannte die Toskana, aus der Carlo Collodis Geschichte stammte. Wieder für einen Silva-Band erschuf sie 1968 ihren «ganz persönlichen Pinocchio», schreibt die Kunsthistorikerin Anna Lehninger. Doch diesmal sind die Bilder mit 12,5 x 16 cm mehr als doppelt so gross. In leuchtenden Farben gemalt, erinnern sie an die italienische Renaissance-Malerei, ebenso an die toskanische Landschaft und Architektur.
Grande Dame der Illustration
Die Illustratorin blieb bis ins hohe Alter künstlerisch aktiv. Noch in den 1980er Jahren machte sie Entwürfe für das Basler «Läckerli Huus».
Zum 90. Geburtstag von Martha Pfannenschmid würdigte die Universität Basel die «Grande Dame der Illustrationen» mit einer Ausstellung ihrer Werke. Foto: Wikimedia Commons
Als traditionsbewusste Baslerin begleitete Martha Pfannenschmid auch die Fasnacht. Mit Bleistift, Farb- und Filzstift hielt sie in schnellen Strichen die Kostüme und charakteristischen Haltungen der Schnitzelbanksängerinnen und -sänger fest. Ein Konvolut von über 30 Fasnachtszeichnungen aus den 1970er Jahren gelangte 2023 in den Besitz des Landesmuseum in Zürich.
Anna Lehninger, «Heidi, Pinocchio und der Tod. Die Bilderwelt von Martha Pfannenschmid (1900-1999)». Publikation der Universitätsbibliothek Basel, Schwabe Verlag, Basel, 2024. ISBN 978-3-7965-5169-7
Vielen Dank für diesen schönen Bericht.
Hat mich berührt.