Bislang wurde meist die Fortpflanzung der Tiere kontrolliert. Nun plädieren Forschende für ein Umdenken: Zoos müssen den Tod von überzähligen Tieren in Kauf nehmen, um fortpflanzungsfähige Populationen zu erhalten.
Im Gegensatz zu Tieren in der Wildnis stehen Tiere im Zoo weniger stark unter Druck. Sie haben ausreichend Nahrung zur Verfügung und werden nicht von Fressfeinden gejagt. Daher leben Tiere in Zoos meist viel länger als in der Wildnis. Dies stellt Zoos wiederum vor die Herausforderung, die begrenzten Aufnahmekapazitäten optimal zu managen.
Aus logistischen und finanziellen Gründen beschränken viele Zoos die Nachzucht ihrer Tiere. Andere Zoos gehen einen anderen Weg und töten überzählige Tiere – und riskieren damit öffentliche Reaktionen: So löste die Verfütterung von Marius, einer gesunden, zweijährigen Giraffe, vor zehn Jahren eine internationale Debatte darüber aus, was Zoos mit ihren überzähligen Tieren tun sollen.
Zoopopulationen werden immer älter
In einem Meinungsbeitrag unter der Leitung der Universität Zürich argumentieren Forschende nun, dass die weit verbreiteten Verhütungspraktiken das Altersprofil von Zoopopulationen verändern – und zwar nicht zum Besseren. «Fortpflanzung ist ein Grundbedürfnis von Tieren. Ohne Reproduktion wird ihnen einer ihrer wichtigsten evolutionären Antriebe genommen», sagt Marcus Clauss vom Tierspital der UZH und Erstautor der Studie. «Mit der Zeit werden die Zoopopulationen immer älter, was eines der Grundprinzipien von Zoos gefährdet: die Erhaltung der eigenen Populationen.»
2014 löste die Tötung einer Giraffe namens Marius im Zoo Kopenhagen eine Debatte über die Praxis des Einschläferns überzähliger Tiere in Zoos aus. Wir argumentieren, dass solche Praktiken ein wesentlicher Bestandteil des Tierschutzes, der öffentlichen Aufklärung und der Erhaltung sind. Bild: Wikipedia/Daderot.
Überzählige Tiere können oft nicht anderweitig untergebracht werden, da der Platz in Zoos begrenzt ist und eine Auswilderung von Tieren spezielle Programme und einen geeigneten Lebensraum erfordert. Daher plädieren die Forschenden für eine geplante Tötung überzähliger Zootiere. «Wir halten das für ein rationales und verantwortungsvolles Populationsmanagement. Zudem kann dieser Ansatz den Zoos dabei helfen, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen», so Clauss.
Lebenszyklus der Tiere als Bildungsauftrag
Jedes Jahr besuchen mehr als 700 Millionen Menschen zoologische Einrichtungen auf der ganzen Welt. «Zoos können dazu beitragen, das öffentliche Verständnis für den natürlichen Lebenszyklus von Tieren zu fördern. Indem sie den Tod von Tieren an den Rand drängen, halten Zoos jedoch unrealistische Erwartungen an das Leben in der Wildnis aufrecht», erklärt Mitautor Andrew Abraham von der Universität Aarhus.
Gegenwärtig hindern der wahrgenommene öffentliche Druck und die Rechtsprechung Zoo- und Wildtierexperten oft daran, solche Ansätze wirksam einzusetzen. Wir möchten sicherstellen, dass Wildtiermanager die geplante Tötung als praktikable Lösung ethisch und objektiv in Betracht ziehen können. Dies ist für das langfristige Überleben der Arten, die zu schützen sie sich verpflichtet haben, unerlässlich.
Zoos haben die Pflicht, die Tierpopulation zu erhalten. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz. «Schon heute sind viele Tierarten vom Aussterben bedroht, und in den kommenden Jahrzehnten werden zahlreiche weitere Tierarten dazukommen. Es ist daher entscheidend, dass die Zoos fortpflanzungsfähige Populationen und das Wissen über die Aufzucht von Jungtieren erhalten. Was wir nicht brauchen, ist eine Sammlung geriatrischer Tiere – und eine Tierarztmedizin, die sich mit Palliativpflege beschäftigt», fügt Abraham hinzu.
Eigene Fleischversorgung verbessert Klimabilanz
Soll es mehr Geburten in den Zoos geben, müssen überzählige Tiere getötet werden dürfen. Ein Zoo in Deutschland ist so in der Lage, seine Raubtiere mit bis zu 30 Prozent des Fleisches von Tieren aus der eigenen Einrichtung zu füttern, seine Kohlenstoffemissionen und den Bedarf an kommerziell geschlachtetem Vieh zu reduzieren.
Auch wenn die Tötung von Säugetieren wie etwa der Giraffe Marius oft Kontroversen auslöst, gibt es Hinweise darauf, dass die öffentliche Meinung ausgewogener ist, als in den Medien dargestellt. «Zoos haben die Verantwortung, ihre Gäste über die Realitäten von Leben und Tod in der Tierhaltung aufzuklären», sagt Clauss. «Eine transparente Kommunikation kann dazu beitragen, die öffentliche Wahrnehmung zu verändern und die Akzeptanz von langfristigen, nachhaltigen Ansätzen zu erhöhen.»
Titelbild: Eisbär frisst den Kopf eines Wisents aus einer Zuchtgruppe, die auch für die Wiederansiedelung von Wisenten genutzt wird. (Bild: Timo Deible, Zoo Karlsruhe)