Im Kanton Schwyz gehört es zur gelebten Tradition – und fast nur hier: das Chlefele. Was ist das? Woher kommt es und wer pflegt es? Eine Spurensuche in der Werkstatt von Röbi Kessler in Schwyz.
Röbi Kessler (66) begrüsst uns freundlich in seinem Haus am Rande von Schwyz. Nach dem Eintreten fällt unser Blick sofort auf die Gangwände. Es sind über 365 Chlefelipärli, die da in Reih und Glied hängen. Damit Röbi Kessler diese Chlefeli – alle aus unterschiedlichen Hölzern gefertigt – auseinanderhalten kann, haben sie an ihrem Fuss eine kleine Nummer eingeprägt. Tatsächlich dürfte es unwahrscheinlich sein, dass jemand aus dem Stand die verschiedenen Holzarten bestimmen könnte.
Alle diese Chlefeli hat Röbi Kessler selber hergestellt. Er nimmt ein Paar aus auffällig schwarzem Holz vom Haken und erklärt: «Das Holz für diese Chlefeli stammt von einer Mooreiche, die bei einem Bauvorhaben in Lauerz zum Vorschein gekommen ist.» Es handle sich um eine Eiche, die sehr lange im Moor gelegen sei und so die schwarze Farbe angenommen habe. Später wird er uns die Urkunde des Geographischen Instituts der Universität Zürich zeigen, auf der ihr mutmassliches Alter bescheinigt ist: 8580 Jahre, plus/minus 140 Jahre.
Margrit Kessler, die auf den Tag genau drei Jahre jünger ist als ihr Mann, bittet zum Kaffee. Die Sonne scheint durchs Küchenfenster und aus dem Radio klingt volkstümliche Musik. Sie entstammt der Musikerfamilie Bürgler; ihr Vater Toni ist ein bekannter Akkordeon- und Schwyzerörgelispieler («Trio Bürgler» und «Huusmusig Bürgler») und gilt als Erfinder des Flaschenklaviers.
Seine Frau habe er beim «Gäuerlen» gewonnen, sagt Röbi. Margrit nickt vielsagend. Bei diesem temperamentvollen Innerschweizer «Balztanz» versucht der Mann, die Angebetete mit allerhand Kunststücken zu beeindrucken: einerseits mit akrobatisch anmutenden Figuren und Tanzeinlagen, anderseits durch «Bödele».
Instrument für die Fastenzeit
Das Chlefelen, sagt Röbi Kessler, sei ein regional begrenzter Brauch aus dem Raum Schwyz, von welchem man in der Restschweiz erst in den letzten paar Jahrzehnten Notiz genommen habe. Über die Herkunft und Bedeutung gebe es unterschiedliche Theorien. Gemäss mündlichen Überlieferungen aber sei schon um 1850 herum gechlefelet worden.
Röbi Kessler kam als Schulbube in Kontakt mit dem urchigen Schlaginstrument. «Nach der Fasnacht, also ab Aschermittwoch bis zu Ostern, wird gechlefelet.» Doch heute werde das Instrument unabhängig von der Jahreszeit in der Volksmusik als Rhythmusinstrument benutzt.
Nicht nur ein Kinderspiel
Viele Kinder tun es von klein auf. Margrit Kessler berichtet: «Die Kinder laufen auf dem Schulweg an unserem Haus vorüber, unterhalten sich und chlefelen gleichzeitig. Und auch auf dem Pausenplatz hört man es hier oft chlefelen.» Und: Viele der Schülerinnen und Schüler beteiligen sich jeweils an dem durch den Schwyzer Schoggihersteller Max Felchlin 1964 ins Leben gerufenen Schwyzer «Priis-Chlefele»; seit 2001 führt der Verein «s Chlefele läbt» diesen Wettbewerb weiter.
Kessler schätzt, dass von den rund tausend Schulkindern der Gemeinde Schwyz gut die Hälfte mehr oder weniger gut mit den Chlefeli umgehen kann. Das Chlefeli, glaubt er, sei vermutlich das meistgespielte Instrument in der Gemeinde Schwyz. Ist das Chlefele also nur ein Kinderspiel? Er verneint: «Es wird oft unterschätzt.» Früher hätten die Lehrer das Chlefele gefördert, heute kämen die Lehrpersonen von überall her. Kessler: «Deshalb wäre ich dafür, das Chlefele ins Pflichtenheft jeder Lehrperson aufzunehmen.» Umso mehr, als das Spiel mit den Hölzchen seit bald zehn Jahren auf der Liste der lebendigen Traditionen figuriere.
Weil dies wohl eher Wunschdenken ist, bieten Kessler und weitere Mitglieder des Vereins «s Chlefele läbt» an, in die Schulklasssen zu gehen, um dort das traditionelle Schlaginstrument und den Umgang den Kindern vertraut zu machen.
Jedes Holz klingt anders
Das Chlefele hat den gelernten Forstwart und späteren Netzelektriker Röbi Kessler schon früh in seinen Bann gezogen. Zunächst habe er die Chlefeli von einem älteren Mann erhalten; doch dann, vor einem Vierteljahrhundert, habe er beschlossen, sie selber herzustellen. So entstehen heute in seiner Werkstatt («Buttig») im Untergeschoss kleine Serien von Chlefeli.
Lange hat er an der idealen Form gefeilt. Seit einigen Jahren sehen nun alle Chlefeli gleich aus und ähneln einem zur Seite blickenden Männchen mit Hut. Und weil mittlerweise weitherum bekannt ist, dass dem so ist, erhalte er immer wieder Holz aus aller Welt. Oft auch Holz, das sich noch nicht in seiner Chlefeli-Sammlung befindet.
Interessant sei, dass die unterschiedlichen Hölzer auch unterschiedlich klingen. Seine persönlichen Lieblingschlefeli sind jene aus Mirabelle und Steineiche. Das Holz der Steineiche hat er aus Spanien mit nach Hause gebracht. Röbi Kessler nimmt die beiden Holzinstrumente in seine Hände und chlefelet. «Werden sie miteinander geschlagen, so klingt es ganz spannend.» Vor Jahrzehnten habe man meistens noch mit einer Hand gechlefelet; «heute chlefelen viele beidhändig.»
In seiner «Buttig» zeigt uns Röbi Kessler, wie er die Chlefeli herstellt. Zunächst kürzt er auf einer Maschine die Holzlisten auf die benötigte Breite und Länge in drei Grössen, um sie anschliessend von Hand weiter zu bearbeiten. Sind sie fertig, werden sie noch mit einem Öl veredelt und erhalten die eingestanzte Nummer je nach Holzart.
Die Sammlung wächst
In seiner Werkstatt landet Holz von überall auf der Welt. Röbi Kessler ist jeweils besonders gespannt, wie sich das Holz beim Bearbeiten und beim Chlefele verhält. Als kleines Dankeschön für eine ausgefallene Holzart gehe ein Paar Chlefeli stets an den Holzlieferanten – und ein weiteres Paar bereichert seine Sammlung. Angesichts der Tatsache, dass es weltweit schätzungsweise 72000 Baumarten gibt, dürfte die Sammlung nicht so rasch komplettiert sein.
Nachdem wir von Röbi Kessler einen Crashkurs erhalten haben (und dabei realisierten, dass der Umgang mit den Hölzern alles andere als ein Kinderspiel ist), zeigt er uns ein paar besonders ausgefallene Stücke seiner imposanten Sammlung. Zum Beispiel jene aus dem Edelholz Cocobolo (Rio Palisander) aus Afrika, eines der härtesten und schwersten Hölzer; es klingt prächtig und laut.
Die Holzliste von Kessler reicht von A wie Apfel und B wie Blaugummibaum über G wie Goldregen («Mein schönstes Chlefeli») und L wie Lorbeer bis T wie Teufelsspazierstock und Z wie Zürgelbaum. Und immer wieder gibt uns der Chlefeli-Meister eine Hörprobe der Hölzer. Zuweilen stimmt er dazu noch eines der Liedchen an, welches Schwyzer Kinder gerne zum Chlefele singen:
«D Mülleri het, si het
D Mülleri het, sie het
D Müllerli het, si het
D Mülleri het in d Suppe gschisse und der Chatz der Schwanz abbisse
D Mülleri het, sie het»
Fotos von Christian Roth
Exklusive Tradition
Zur Herkunft der Chlefeli gibt es verschiedene Theorien. Eine naheliegende besagt, dass die berüchtigten Innerschweizer Reisläufer seinerzeit von der Iberischen Halbinsel Kastagnetten mit nach Hause gebracht haben, die sich dann im Verlaufe der Zeit zu Chlefeli gewandelt haben.
Eine zweite Deutung geht davon aus, dass die Chlefeli Nachfahren der Siechenklappern sind: Kamen die ansonsten separierten Kranken mal ins Dorf, so mussten sie zur Warnung der Gesunden lärmen. Dazu sagt Röbi Kessler: «Heute tragen wir Gesichtsmasken, damals wurde geklappert.»
Eine dritte Theorie kommt von daher, dass in katholischen Orten an Karfreitag keine Kirchenglocken läuten. Stattdessen wird der Stundenschlag mit grossen Rätschen angezeigt; diese Rätschen aus Holz klingen wie Chlefeli. Die Kinder hätten diesen knatternden Lärm imitiert.
Keine dieser drei Theorien ist gesichert. Kessler ist das auch nicht so wichtig. Viel wichtiger sei, dass die Tradition des Chlefele lebendig ist und bleibe.
Gechlefelet wird vor allem noch im Kanton Schwyz und in der Berner Gemeinde Schattenhalb. In den verschiedenen Dialekten des Landes finden sich aber Ausdrücke, die vermuten lassen, dass früher auch anderswo gechlefelet wurde. Beispiele: Chläppere (ZH), Chläpperli (BE), Gläppere (BS), Chlipperä (Ostschweiz).
Hauptakteure in Sachen Chlefele waren und sind im inneren Kanton Schwyz die Schulkinder; sie chlefelen auf der Strasse und in der Schule. Am «Priis-Chlefele» in Schwyz – stets eine Woche vor Karfreitag – nehmen Jahr für Jahr 180 bis 190 Kinder und Erwachsene teil. Gechlefelet wird in drei Kategorien. Erwachsene dürfen in der Kategorie «Chruut und Chabis» antreten.
Auch heute noch können Kinder ihre Chlefeli zum Teil gratis bei einem Schreiner erbitten. Manchmal werden sie auch selber gemacht. Inzwischen lassen sich die Hölzchen auch online ordern oder bei Röbi Kessler erwerben. Der Preis pro Paar liegt je nach Holz zwischen 15 und 35 Franken.
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Wunderbar, endlich bin ich als Badener/Schwyzerin auf den originalen Chlefelitext gestossen, kann meine Chlefeli aus dem Keller holen und beidhändig trainieren.